Der Fall Rachel Dolezal:Die Weiße, die schwarz sein wollte

Der Fall Rachel Dolezal: Rachel Dolezal, Bürgerrechtsaktivistin und Professorin für Afrikastudien in Spokane im US-Bundesstaat Washington.

Rachel Dolezal, Bürgerrechtsaktivistin und Professorin für Afrikastudien in Spokane im US-Bundesstaat Washington.

(Foto: AP)
  • Die US-amerikanische Aktivistin Rachel Dolezal, die sich für die Rechte Schwarzer einsetzte und sich selbst auch als schwarz bezeichnete, wurde nun als Weiße entlarvt.
  • Der Fall entfesselt eine Debatte darüber, wie sinnvoll das Konzept der Einteilung von Menschen nach ihrer Hautfarbe ist.

Von Jannis Brühl

Die Popkultur ist voll von weißen Hampelmännern, die gerne schwarz wären und sich deshalb Klischees entsprechend verhalten: Ali G, gespielt vom Komiker Sacha Baron-Cohen, der als blasser Vorstadtjunge in zeltartigen Gangster-Klamotten versucht, sich mit jamaikanisch-afro-amerikanischer Großstadtkultur zu schmücken. Oder der weiße Drogenkocher Jesse Pinkman aus Breaking Bad, dessen Vokabular sich vor allem aus Texten schwarzer Rapper speist ("Cheddar, Mr. White. Dead presidents. Cash money." Soll heißen: Lass' uns Geld verdienen.). Wenn sich aber in der Realität eine weiße Amerikanerin jahrelang als schwarz ausgibt und ihr auch noch geglaubt wird, dann wird es ernst. Der Fall Rachel Dolezal irritiert und fasziniert die USA derzeit gleichermaßen.

Bis Donnerstag war die 37-Jährige eine völlig unbekannte Bürgerrechtsaktivistin auf Lokalebene. Sie ist Professorin für Afrikastudien in Spokane im Bundesstaat Washington und war bis vor Kurzem Vorsitzende der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) der Stadt. Die NAACP ist die wichtigste Organisation, die sich für die Rechte von Afro-Amerikanern einsetzt. Jahrelang gab Dolezal an, schwarz zu sein.

Blond statt dunkler Locken

Kinderfotos zeigen Dolezal als blondes Mädchen mit glatten Haaren, heute trägt sie viele dunkle Locken auf dem Kopf, zwischendurch waren es schwere lange Zöpfe. Sie gab einen dunkelhäutigen Mann als ihren Vater aus und sprach von "uns", wenn es um die Diskriminierung von Afro-Amerikanern ging. Nur: Rachel Dolezal ist weiß. Ein Lokalreporter konfrontierte sie mit ihrer Geburtsurkunde, woraufhin Dolezal das Gespräch abbrach. Letztendlich "geoutet" haben sie dann ihre Eltern in der Presse. Sie habe vor allem tschechische und deutsche Wurzeln, aber keine afro-amerikanischen. Ein Sturm brach in Medien und sozialen Netzwerken los.

Die Debatte mag im Ausland seltsam erscheinen, doch in den USA weiß jeder: Ob jemand als schwarz oder weiß angesehen wird, kann darüber entscheiden, wie man im Alltag behandelt wird - und auch über Leben und Tod.

"Passing" - ein altes Phänomen, nur diesmal andersrum

Das Phänomen nennt sich "passing" - also in etwa: "als etwas durchgehen". Historisch war es oft ein Vorteil für hellhäutige Afro-Amerikaner, als weiß angesehen zu werden. "Passing as white" bedeutete immer Schutz vor Diskriminierung und Gewalt der Mehrheit. Aber was, wenn es in die andere Richtung passiert? Wenn Weiße, also Mitglieder der dominanten ethnischen Gruppe, sich als Teil einer Minderheit ausgeben?

Dafür gibt es nur wenige Beispiele, meist waren es Weiße, die sich mit den Ureinwohnern eines Landes identifizierten, in dem sie lebten. Der berühmteste von ihnen ist wohl Grey Owl, ein vermeintlich indianischer Naturschützer aus Kanada. Nach seinem Tod 1936 wurde er als Brite "enttarnt", der eigentlich Archibald Belaney hieß und sich die Identität als Mitglied des Ojibwe-Stammes nur zugelegt hatte.

Weiße Jazz-Fans, die sich afro-amerikanische Kultur aneigneten, besprach der Schriftsteller Norman Mailer 1957 in seinem berühmten Essay "The White Negro". Diese "Hipster", wie Mailer sie nannte, waren also die Vorgänger von Ali G - oder Vanilla Ice. In den USA gibt es sogar das Literaturgenre "passing novel", in dem es um Identität und ihre Verwirrung in dem multiethnischen Land geht. Berühmtestes Beispiel ist wohl "Der Menschliche Makel" von Philipp Roth. Die Hauptfigur, ein schwarzer Professor, gibt sich jahrzentelang als weißer Jude aus - und verliert wegen eines Kommentars über schwarze Studenten, den viele als rassistisch auffassen, seinen Job.

Der Fall Dolezal ereignet sich auch vor dem Hintergrund einer neuen Debatte über die Diskriminierung von Schwarzen. Erst vergangene Woche hatte das Video eines weißen Polizisten, der eine junge Schwarze an einem Pool in einer weißen Wohngegend brutal und ohne offensichtlichen Grund zu Boden drückt, die Wut vieler Schwarzer entfacht.

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