Der Fall Messner:Finale ohne Schlussakkord

Günther Messner ist die Gletscherleiche vom Nanga Parbat - ein Ende des Streits um seine Todesumstände wird es aber nicht geben. Niemand wird seinen Frieden finden, am allerwenigsten der Bruder des Opfers Reinhold Messner.

Achim Zons

Eigentlich müsste hier eine Entschuldigung stehen. Eine Entschuldigung dafür, dass der Verfasser dieser Zeilen der Ansicht ist, dass vor 35 Jahren ein Mann auf einem der höchsten Berge der Welt unter anderen Umständen und an einer anderen Stelle gestorben sein könnte, als es dessen Bruder wahrhaben will.

Der Fall Messner: Streitbarer Zeitgenosse: Reinhold Messner bei der Präsentation der DNA-Analyse in Innsbruck.

Streitbarer Zeitgenosse: Reinhold Messner bei der Präsentation der DNA-Analyse in Innsbruck.

(Foto: Foto: AP)

Straftatbestände spielen keine Rolle, Staatsanwälte waren nie eingeschaltet, überhaupt ist diese Sache ein persönliches Schicksal und ohne größeren Belang für den Lauf der Welt. Niemand würde nur eine Zeile darüber erwarten, wenn es sich um irgendeinen Menschen handeln würde. Aber der Mensch, der seinen Bruder verloren hat, ist Reinhold Messner. Es gibt wohl kein besseres Beispiel dafür, wie ein Name ein privates Ereignis zu einer Nachricht macht.

Zahlreiche Bücher, zahlreiche Artikel

Und jetzt ist der Mann, dessen Tod zu zahlreichen Büchern und unzähligen Artikeln, zu mehreren Gerichtsprozessen und Unterlassungsklagen, zu Fernsehsendungen, Dokumentationen und persönlichen Dramen, zu Schuldvorwürfen und Feindschaften geführt hat, endlich gefunden worden.

Der Mann, dessen Schuh und Knochenteile vor kurzem am Nanga Parbat entdeckt wurden, ist nach allem, was man weiß, Günther Messner. Gerichtsmediziner haben Gewebeproben untersucht und das Ergebnis ihrer DNS-Analyse jetzt, an diesem Freitag, in Innsbruck unter großer Anteilnahme von Presse, Funk und Fernsehen bekannt gegeben.

Natürlich war der Mann, der dieses Ereignis erst zur Nachricht, nein: zur Sensation macht, anwesend. Und Reinhold Messner sprach: "Meine Geschichte ist jetzt endlich bewiesen."

Just zur Frankfurter Buchmesse

Reinhold Messner, 61, hat in diesen Wochen ein neues Buch herausgebracht, "Gobi. Die Wüste in mir". Das Buch hat sich schnell sehr gut verkauft. Das Ergebnis der DNS-Analyse wird zudem just zu einem Zeitpunkt verkündet, an dem in Frankfurt Buchmesse ist.

Es gibt wohl kein besseres Beispiel dafür, wie nützlich es sein kann, immer wieder in den Medien präsent zu sein, auch wenn der Grund für den Medienauftritt nichts mit dem Thema des Buchs zu tun hat.

Dabei ist die Aufklärung des Falles Messner kaum weitergekommen. Denn fest steht nach den jüngsten Ereignissen nur eines: Günther Messner ist Ende Juni 1970 irgendwo irgendwie auf der Diamirseite des Nanga Parbat umgekommen. Der Fundort beseitigt nicht die Ungereimtheiten an der Version Reinhold Messners. Er taugt nicht dazu, die anderen Expeditionsteilnehmer von 1970 des Rufmords und der Lüge zu bezichtigen.

Ohne Not

Lassen wir einmal beiseite, dass Reinhold Messner selbst diese ganze Geschichte und damit die Zweifel an seiner Version nach 30 Jahren Ruhe ohne Not ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gezerrt hat, indem er im Oktober 2001 seine ehemaligen Bergkameraden vor laufender Fernsehkamera der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigte, was nachweislich nicht stimmt.

Lassen wir beiseite, dass Messner sich selbst mehrmals widersprochen hat bei seinen Versuchen, die Ungereimtheiten zu erklären. Lassen wir beiseite, dass er Tagebuchnotizen von damals, wie die von Max von Kienlin, die seine Sicht der Dinge in Frage stellen, als erst kürzlich im Rahmen einer "konzertierten Aktion" gefälscht hinstellt, obwohl Graphologen das Gegenteil behaupten.

Lassen wir nur die neuesten Fakten sprechen und kühl, ja eiskalt betrachten, was der Fund der Knochenreste beweist.

Gefunden auf der Diamirseite

Fakt ist folgendes: Am Wandfuß des Gletschers auf der Diamirseite wurden ein paar Knochen, Kleiderreste und ein Bergschuh mit Geweberesten entdeckt. Reinhold Messner hat bis auf ein paar Gewebeproben für die DNS-Analyse die Überreste verbrennen lassen, um Missbrauch auszuschließen, wie er sagt.

Finale ohne Schlussakkord

"Günther soll seine Ruhe behalten. Es gab schon genug kriminelle Energie meiner Gegner. Ich will nicht, dass jemand seine Leiche ausgräbt und verlegt." Fundort ist der Fuß der Gletscherwand auf der Diamirseite was Messner als Beweis seiner Wahrheit deutet. In der österreichischen Zeitschrift News sagte er: "Mein Mythos wird dadurch wachsen."

Möglicherweise nicht. Die Beweisstücke wurden in einer Höhe von etwa 4300 Metern auf dem Diamirgletscher geborgen, also relativ nahe dem Ort, an dem Günther Messner laut Aussagen seines berühmten Bruders umgekommen sein soll.

Nachweislich später und höher

Nicht weit von der Messner-Fundstelle entfernt wurden auf nahezu gleicher Höhe auch die Überreste eines anderen Bergsteigers entdeckt, der nachweislich später als Günther Messner umkam und wesentlich höher in der Wand verunglückte. Wäre dies nicht eher ein Indiz dafür, dass auch Günther Messner um einiges höher in der Wand starb als sein Bruder es immer behauptet?

Jedenfalls wäre es wohl unseriös zu sagen, die alternativen Hypothesen, die andere Expeditionsteilnehmer wie Hans Saler oder Max von Kienlin aufgestellt haben, seien mit dem Leichenfund widerlegt.

Sollte sich Günther Messner damals - wie von ihnen vermutet - dazu entschieden haben, vom Gipfel aus lieber wieder Richtung Rupalseite abzusteigen, wo er am nächsten Tag auf die Hilfe anderer Bergsteiger hätte zählen können, könnte er durchaus auf dem ersten Stück Weg dorthin auf die Diamirseite abgestürzt sein.

Sehr steil

Da die Diamirflanke zudem sehr steil ist und häufige Schnee- und Eislawinen ihr Übriges tun, um einen menschlichen Körper innerhalb von einigen Jahren aus großen Höhen bis zum Wandfuß zu transportieren, spricht der Fundort der Überreste auch für diese Überlegungen.

Dagegen Reinhold Messners Version: Er habe sich beim Abstieg vom Gipfel nicht von seinem Bruder getrennt, sei gemeinsam mit ihm auf der anderen Seite über die Diamirflanke abgestiegen. Bis zum Wandfuß in etwa 4300 Metern Höhe, relativ gesehen nicht weit von dem Ort entfernt, an dem jetzt die Überreste gefunden wurden, sei sein Bruder bei ihm gewesen, dann habe er, der stets vorweg gelaufen sei, um den leichtesten Weg zu erkunden, seinen Bruder aus den Augen verloren. Günther sei dort wohl von einer Lawine erfasst worden.

Nun gut: Hätte er aber da nicht viel tiefer liegen müssen?

Reinhold Messner verkauft den Fund und das Ergebnis der DNS-Analyse als abschließenden Paukenschlag. Alle, die seine Version bezweifelt hätten, müssten sich nun entschuldigen, müssten Abbitte leisten. Ob im ZDF bei Kerner, ob im NDR in der Sendung Sport und Stars, ob im Bayerischen Rundfunk in der Sendung Capriccio oder in alpinen Magazinen wie dem Bergsteiger, überall greift er diejenigen an, die seiner Wahrheit nicht folgen mögen.

Nicht von vornehmer Zurückhaltung

Seine Wortwahl ist dabei nicht von vornehmer Zurückhaltung geprägt. Seine Kritiker seien "Verbrecher", "Lügner", "Fälscher". Man habe ihn "psychisch gefoltert", ihm "Brudermord" unterstellt, habe zudem "jegliche journalistische und verlegerische Sorgfaltspflicht" unterlassen und - Höhepunkt des Parforceritts - genau dasselbe mit ihm gemacht "wie die Deutschen mit den Juden".

Es gibt wohl kaum ein besseres Beispiel dafür, was ein Mensch alles sagen darf, wenn er als Held gilt.

Es wird keine Ruhe einkehren, niemand wird seinen Frieden finden, am allerwenigsten Reinhold Messner selbst. Und so lange die Frage im Raum steht, ob Reinhold Messner den tragischen Ausgang der Expedition von 1970 durch verantwortungsvolleres Handeln hätte vermeiden können, wird er seinen wütenden Kampf fortsetzen. Alles andere wäre eine echte Nachricht.

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