Als Gerwald Claus-Brunner Montagnachmittag tot in seiner Berliner Wohnung aufgefunden wurde, dauerte es nur wenige Minuten, bis die ersten Nachrufe den Piraten-Politiker würdigten. Dafür, wie unangepasst der 44-Jährige gewesen sei, einer, der sich um nichts scherte, sondern auf die Leute zuging und mit allen redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. "Faxe", wie er von seinen Kollegen genannt wurde, habe "den Piraten ein Gesicht gegeben", schrieb die Partei in einer ersten Erklärung.
Und tatsächlich war Claus-Brunner der meistfotografierte Piraten-Politiker. Er wurde regelmäßig in Talkshows eingeladen, zuletzt saß er im Frühjahr bei Markus Lanz, wo er auf die Frage, ob er keine Angst gehabt habe, als seine Partei 2011 überraschend mit neun Prozent ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt wurde, nur auf seine typische Art zurückblaffte: "Mehr als blamieren kannste dich nicht." Mit seiner Arbeiter-Latzhose, dem Palästinensertuch um den Kopf und den lockeren Sprüchen stand Claus-Brunner für vieles, was die Wähler an den Piraten anziehend fanden.
Einsatzkräften bot sich "ein schauriges Bild"
Inzwischen weiß man, welche Abgründe sich hinter der Fassade verbargen. Denn als die Einsatzkräfte in Claus-Brunners Wohnung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf kamen, habe sich "ein schauriges Bild" geboten, heißt es bei der Berliner Polizei. In einem Zimmer lag noch ein weiterer Toter, der 29 Jahre alte Jan L., ebenfalls Mitglied der Piraten. Der junge Mann war mit Kabelbindern gefesselt, an seinem Oberkörper fanden sich schwere Verletzungen, die der Polizei zufolge "von stumpfer Gewalt" stammten. Die Berliner Staatsanwaltschaft, die derzeit ein Todesermittlungsverfahren führt, sagt, dass sich "das Geschehen zwischen den beiden Personen abspielte". Demnach soll Claus-Brunner Jan L. getötet haben, ehe er Suizid beging.
Die beiden Männer kannten sich schon länger. Claus-Brunner soll Jan L. nachgestellt haben, woraufhin dieser ihn im Frühjahr wegen Stalkings anzeigte. Die Staatsanwaltschaft gehe derzeit noch der Stalking-Anzeige einer weiteren Person gegen Claus-Brunner nach, so Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Wann Jan L. genau starb, wird noch untersucht. Sicher ist, dass er in seiner Wohnung in Wedding zu Tode kam. Danach soll Claus-Brunner die Leiche mit einer Sackkarre zu sich nach Hause transportiert und dort noch einige Tage verbracht haben. Sein letztes Lebenszeichen war eine Twitter-Nachricht vom vergangenen Freitag.

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"Faxe war nie einfach und er hatte es nie leicht"
Bei der Piratenpartei will sich derzeit niemand äußern, nur so viel: "Faxe war nie einfach und er hatte es nie leicht." Claus-Brunner, der drei Jahre bei der Bundeswehr war und später als Elektriker arbeitete, war unter Kollegen seit Langem für seine verbalen Ausfälle bekannt. Kandidaten der Piratenpartei nannte er "Deppen", den Anhängerinnen einer Frauenquote unterstellte er, es auf einen "Tittenbonus" abgesehen zu haben - eine Äußerung, die ihm in einer breiteren Öffentlichkeit Unmut einbrachte. Anfang des Jahres wollten ihn schließlich acht der 15 Piratenabgeordneten aus der Fraktion ausschließen.
Allerdings war sein Verhalten in der Partei keine Ausnahme. Die in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streitereien gehörten zu den Piraten - und bescherten ihnen nach dem Hype in den Jahren 2011 und 2012 einen Absturz sondergleichen. In Berlin, wo ihr Aufstieg begann, haben sie bei der Wahl am Sonntag gerade noch zwei Prozent der Stimmen bekommen.
Unheilbare Krankheit war eine Lüge
Claus-Brunners letzte Rede im Abgeordnetenhaus im Juni war eine Abrechnung mit den Fraktionskollegen, von denen er sich nicht unterstützt fühlte. Seine anschließende Äußerung, die Berliner Abgeordneten würden bald für ihn "eine Minute stillschweigen", werten heute viele als Ankündigung seines Suizids.
Laut einem Bericht der Welt soll Claus-Brunner unmittelbar vor seinem Tod einen Brief an einen Fraktionskollegen geschrieben haben, in dem er die Tat einräumte. Vor einiger Zeit hatte Claus-Brunner, so der Berliner Piratenchef Bruno Kramm, allen erzählt, dass er unheilbar krank sei. Auch dies war Fassade, bei der Obduktion fanden sich keine Hinweise auf eine körperliche Krankheit.