Das Image des Wolfs ist, gelinde gesagt, problematisch. Ist er in skandinavischen Sagen und nordamerikanischer Mythologie Beschützer und dem Menschen ebenbürtiger Jäger, wird in Mitteleuropa kein gutes Haar an ihm gelassen.
Deutsche und französische Märchen stellen ihn als futterneidischen Vielfraß dar, der sechs Zicklein auf einmal vertilgen kann und das siebte auch noch verschlungen hätte, wäre es nicht in den Uhrkasten geschlüpft.
Oder er ist ein Großmutterfresser und Rotkäppchenschreck der niederträchtigsten Sorte. So geschieht es Isegrim recht, dass Reineke Fuchs ihn immer wieder übertölpelt und bloßstellt.
Bei solchem Strafregister werden dem Wolf die grausigsten Schandtaten zugetraut und zugeschrieben, auch wenn nicht recht belegbar ist, ob er es überhaupt war. Alle neuen Vergehen, die ihm irgendwie zugeschoben werden können, sind ein Grund mehr, ihn auszurotten.
An der größten Treibjagd beteiligten sich mehr als 20 000 Jäger
Eine der blutrünstigsten Zuschreibungen aus Frankreich im 18. Jahrhundert macht ihn sogar zum Serienmörder.
Es begann am 1. Juli 1764, als in der historischen Region Gévaudan in Südfrankreich, zwischen der heutigen Auvergne und dem Languedoc gelegen, die zerfleischte Leiche der 14-jährigen Hirtin Jeanne Boulet gefunden wurde.
Zunächst ging man von einem unglücklichen Zusammentreffen mit einem Wolf aus. Doch es häuften sich die Angriffe. Zwischen 1764 und 1767 wurden fast 100 Frauen und Kinder angefallen und getötet. Andere überlebten, doch schwer verletzt. Etwa als am 12. Januar 1765 sieben Hirtenkinder in den Bergen angefallen wurden.
Der achtjährige Jean Veyrier wurde verschleppt, doch setzten seine Freunde der Bestie nach und konnten den Jungen, mit einer Armverletzung, retten.
Aus den Erzählungen der Überlebenden wird deutlich, dass es sich um keinen normalen Wolf handeln konnte. Zwar war das Tier einem Wolf nicht unähnlich, aber ungleich größer und wuchtiger, was auch die teils wüsten Zurichtungen der Toten erklärte.
Zudem fiel das Tier regelmäßig Erwachsene an, was Wölfe in der Regel nur zur Selbstverteidigung tun. Einige Opfer wurden verschleppt und erst später mit üblen Wunden gefunden. Alle Opfer hatten Verletzungen von Pranken mit mehr als 16 Zentimetern Durchmesser.
Im September 1764 waren bereits sechs Tote der Bestie zugeschrieben worden, weshalb 57 Dragoner anrückten und mit den Bewohnern der Region Treibjagden durchführten. Doch vergeblich, das Untier blieb unauffindbar.
Die Aktionen bewirkten letztlich nur, dass es sein Jagdgebiet etwas nach Westen verlagerte. Ein paar Wochen später gab es schon ein neues Opfer, ein zwölfjähriges Mädchen, und im Oktober wurde einer jungen Frau der Kopf abgerissen. Auch aus heutiger Sicht lässt sich das schwerlich einem Wolf zuschreiben.
Der Schütze des Königs erlegte einen riesigen Wolf
Die Angriffe versetzten die Region weiter in Todesangst. Beim Versuch, das Tier aufzustöbern, konnten Jäger es anschießen. Sie vermuteten, dass sie das verendete Untier spätestens am nächsten Tag im Unterholz finden würden. Doch wurde es kurz darauf zwar hinkend, aber lebend gesichtet.
Weitere Versuche, die Bestie zu erlegen, unternahmen 1765 der normannische Wolfsjäger Jean d'Enneval und sein Sohn. An der größten Treibjagd im Februar 1765 beteiligten sich mehr als 20 000 Jäger, der Wolfbestand in der Region wurde radikal dezimiert. Wenn man die Bestie nicht finden und töten konnte, dann mussten eben alle Wölfe dran glauben.
Als die Suche nach dem Untier weiterhin erfolglos war, schickte Ludwig XV. auch noch einen seiner besten Schützen, François Antoine. Nach Wochen vergeblicher Jagd erschoss er am 20. September endlich einen riesigen Wolf, von dem er glaubte, er sei die Bestie.
Und tatsächlich: Der November verstrich, ohne dass sich das Tier gezeigt hätte. Hatte Antoine das Ungeheuer erlegt? Doch bald kam es wieder zu neuen Angriffen, die Bestie lief anscheinend immer noch frei herum.
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Erst 1767 hörte das fürchterliche Treiben endlich von selbst auf. Vielleicht verendete die Bestie doch in einer Falle oder an einem Köder. Gefunden wurde sie aber nicht, und so halten sich bis heute Spekulationen darüber, was für ein Tier sie war.
In Gruselromanen ist von Werwölfen die Rede, der von Christophe Gans 2001 gedrehte Film "Der Pakt der Wölfe" macht das Ungeheuer zu einem aus Afrika importierten Tier, das von seinem Halter aufs Töten abgerichtet und durch eine eigens angefertigte Rüstung unverwundbar wurde.
Der Biologe Karl-Hans Taake wertet in seiner Untersuchung "Die Bestie des Gévaudan" historische Dokumente aus und stellt fest, dass alle auf eine ähnliche Beschreibung hinausliefen:
"Hoch wie ein einjähriges Kalb, sehr langer Körper und Kopf, kurze Ohren. Mit Ausnahme eines braunen Streifens entlang des Rückens ist sie ganz rötlich; der Schwanz sehr lang, sie schwingt ihn wie eine Katze, die sich auf ihre Beute stürzen will."
Er bezweifelt, dass es ein Wolf gewesen sei, da Aussehen und Beuteschema nicht auf diesen Steckbrief passen. Nach seiner Theorie muss es sich um ein katzenartiges Raubtier gehandelt haben, von Größe und Statur tippt er auf einen noch nicht ausgewachsenen männlichen Löwen.
Die These vom entflohenen Tier
Eine steile These, doch waren Ende des 18. Jahrhunderts beim französischen Adel Menagerien in Mode - ein entflohenes Tier scheint im Bereich des Möglichen zu sein.
Wenn es so gewesen ist, hat der Löwe alles dafür getan, seine Identität zu verbergen - ein Löwe im Wolfspelz. Vielleicht war es wieder eine List des Fuchses, der bereits bei Äsop den Wolf am Krankenbett des Löwen reinlegte und der gebrechlichen Raubkatze ein frisch abgezogenes Wolfsfell als Heilmittel empfahl.