728 Jahre ist es her, dass er sich das letzte Mal in Hameln blicken ließ (so wenigstens besagt es die von den Gebrüdern Grimm notierte Sage). Und auch jetzt, da die niedersächsische Stadt sich in großer Not befindet und seiner bedürfte, taucht der Rattenfänger einfach nicht auf. Das Problem: Dort, wo seit den Achtzigerjahren ein Springbrunnen Pendler und Passanten mit seinem fröhlichen Wasserspiel erfreute, herrscht staubige Trockenheit. Die Ratten haben den Brunnen lahmgelegt.
"Ratten haben das Stromkabel durchgebissen", sagt Stadtsprecher Thomas Wahmes. Wer sich nun fragt, was die Nager in einer Stadt voller Mülltonnen und Abfallcontainer ausgerechnet an einem Springbrunnen suchen, erfährt in der örtlichen Deister- und Weser-Zeitung die Hintergründe: Die Nager würden von Futter angelockt, dass die Besucher des Brunnens für Vögel ausstreuten.
Es scheint so, als hätten die Ratten die Stadt einmal mehr in ihrer Gewalt - doch anders als im Mittelalter ist die Stadt diesmal darüber offenbar gar nicht so traurig: Der Brunnen an der Bahnhofsstraße soll ohnehin stillgelegt werden. "Weil der Brunnen unheimlich pflegeintensiv und die Verrohrung kaputt ist", wie Wahmes in der Dewezet erläutert. Die Bäume rund um den Brunnen sind in den vergangenen 30 Jahren stark gewachsen und werfen inzwischen reichlich Blätter ab. Um täglich das Laub zu entfernen habe die Stadt nicht genug Kapazitäten, sagt Wahmes.
Ohnehin darf bezweifelt werden, dass der Rattenfänger so viel ausrichten könnte. Erstens ist fraglich, ob die Tierchen mit den hochsensiblen Ohren die Flöte des Kammerjägers überhaupt noch hören könnten, in all dem Straßenlärm, der heutztage die Stadt beschallt. Und falls es wirklich klappen und die Ratten dem seltsamen Typen brav aus der Stadt hinaus folgen würden, bleibt noch immer ein Problem: Angeblich führte der Fänger die Ratten 1284 in die Weser, wo alle ertranken. Nur können Ratten ausgezeichnet schwimmen.