Süddeutsche Zeitung

Debattier-Duell:Häftlinge besiegen Harvard-Studenten

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Von Marc Felix Serrao

Kein Schulbesuch für Illegale? Kann man fordern

Sollten öffentliche Schulen die Kinder illegaler Einwanderer ablehnen dürfen? Wer so eine Frage in diesen Tagen mit Ja beantwortet, dürfte es in einer Diskussion schwer haben. Was ist mit dem Menschenrecht auf Bildung? Gleichen Chancen für alle? Der Humanität?

Ein amerikanisches Debattierteam hat es dennoch geschafft, sich mit dieser Position durchzusetzen. Das Besondere an dem Wettbewerb war jedoch weniger der Ausgang, es waren die Diskutanten. Die siegreiche Seite bestand aus Insassen der Eastern Correctional Facility in Wawarsing, New York, eines Hochsicherheitsgefängnisses. Verlierer war die Harvard College Debating Union, Weltmeister des vergangenen Jahres und Ausbildungsstätte gefürchteter Redekünstler.

Die Häftlinge wurden von einer anderen Privathochschule gecoacht

Zur Ehrenrettung der Ivy-League-Debattierer sei erwähnt, dass die drei Häftlinge Training hatten. Es waren Teilnehmer der Bard Prison Initiative, einer Weiterbildungseinrichtung des privaten Bard College aus Annandale-on-Hudson, New York. Max Kenner, der Direktor der Initiative, erklärte nach dem Duell im Gefängnis, dass debattierende Häftlinge von den Dozenten an denselben hohen Standards gemessen würden wie die Studenten.

Der siegreiche Debattierer Carlos Polanco, ein 31-jähriger verurteilter Totschläger, sagte, er werde dem Bard College für die Ausbildung ewig dankbar sein: "Sie sorgen dafür, dass wir an uns glauben." Die Harvard College Debating Union - früher bekannt als The Harvard Speech and Parliamentary Debate Society - übte sich derweil in sportlicher Demut. Es gebe wenige Gegner, gegen die man "mit größerem Stolz verloren" habe als gegen "dieses phänomenal intelligente und redegewandte Team".

Beim Debattieren gibt es keine falschen Meinungen

Das klassische Debattieren stammt aus Großbritannien, erfreut sich heute aber weltweiter Beliebtheit, auch in Deutschland. Seine erste Regel lautet: Es gibt keine Tabuthemen, von eindeutigem Schwachsinn abgesehen. Beliebt und erprobt sind etwa Debatten über Tierversuche, die Homo-Ehe, Internetzensur oder, immer wieder gerne, die Todesstrafe. Dahinter steckt die Grundüberzeugung, dass es in sozialen und politischen Fragen keine letzten Wahrheiten gibt. Was heute gesellschaftlich anerkannt ist, kann morgen verfemt sein. Folglich muss alles laufend neu verhandelt werden. Und das geht nur, wenn vorher keiner festlegt, welche Meinung "richtig" ist.

Das Plädoyer für ein Schulverbot für illegale Einwanderer, zum Beispiel.

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