Debatte um diplomatische Immunität:Wenn Hausangestellte wie Putzlumpen behandelt werden

Sie wurde wie eine Leibeigene gehalten: Musste bis spät abends schuften, sich schlagen und demütigen lassen. Die Geschichte einer indonesischen Hausangestellten hört sich an wie aus der Antike, doch sie soll sich im heutigen Berlin abgespielt haben. Trotzdem wird der Fall vor Gericht nicht verhandelt - denn den Beschuldigten schützt sein Status als Diplomat.

Constanze von Bullion, Berlin

Das Leben einer Sklavin spielt sich unten ab, auf dem Fußboden, so jedenfalls hat sie es beschrieben. Die Sklavin schläft auf dem Fußboden, eingewickelt in ein Leintuch, egal ob Sommer oder Winter ist in Berlin. Sie hockt auch auf dem Boden, wenn sie ihn schrubbt, oder wenn sie den Kindern der Herrschaften die Schnürsenkel bindet.

Klage gegen arabischen Diplomaten abgewiesen

Die saudische Botschaft in Berlin: Ein Diplomat des Landes soll seine Hausangestellte massiv misshandelt und gedemütigt haben.

(Foto: dpa)

Die Kinder sind zwar schon in der Pubertät, also eigentlich alt genug, sich allein anzuziehen. Aber der Mensch liebt nun mal Bequemlichkeit, und wenn sie ausbleibt, wird er ärgerlich. Wenn die Kinder der Herrschaften aber ärgerlich werden, wird es gefährlich für eine Sklavin. Mal setzt es dann Schläge, mal fliegt eine Flasche, und dann ist sie wieder unten, die Scherben aufkehren.

Unterbezahlt, misshandelt, vergewaltigt

Die Geschichte der Dewi Ratnasari, die eigentlich anders heißt, klingt so, als gehöre sie in eine Fibel über die römische Antike. Sie soll sich aber im Berlin der Gegenwart abgespielt haben und nur einer von etlichen Fällen sein, in dem Diplomaten im Schutz der Immunität Hausangestellte wie Putzlumpen behandeln, sie schlecht bezahlen oder gar nicht, misshandeln, manchmal vergewaltigen, ohne sich dafür verantworten zu müssen.

Landesarbeitsgericht Berlin, Saal 337, Tische aus Holzimitat und auf dem Boden Linoleum, das hier ist kein Ort für Sentimentalitäten. "Die Berufung der Klägerin gegen das Arbeitsgericht wird auf ihre Kosten abgewiesen", sagt der Richter. Die Klägerin ist das Deutsche Institut für Menschenrechte, das hier stellvertretend für eine Indonesierin eine Musterklage angestrengt hat und sie nun weiter bis nach Karlsruhe tragen will.

Es geht da um die Frage, ob ein Diplomat wegen Menschenrechtsverletzungen belangt werden kann. Und um eine Indonesierin, die 19 Monate lang als Hausangestellte für einen Mitarbeiter der saudi-arabischen Botschaft in Berlin gearbeitet hat. Die Familie soll ihr nur ein einziges Mal, zum Ramadan, 150 Euro bezahlt haben.

Bis spät abends und ohne Urlaub, so der Vorwurf, habe die Familie sie schuften lassen, sie wie eine Leibeigene gehalten und gedemütigt haben. Nila, auf arabisch Scheiße, sollen die Diplomaten die Frau genannt und auch ihren Kinder erlaubt haben, sie zu schlagen.

Der Mandant hat längst das Weite gesucht

Der saudische Diplomat hat das von sich gewiesen. Er habe die Frau gut bezahlt und behandelt, erklärte er, als das Auswärtige Amt eingeschaltet wurde. Der Mann habe auch Quittungen vorgelegt, die seine frühere Dienstbotin unterzeichnet habe, berichtet eine Betreuerin. Allen Beteuerungen zu Trotz sei der Diplomat aber bereit gewesen, der Indonesierin 6000 Euro nachzuzahlen.

Fragt man den Kölner Anwalt des Diplomaten, ob das stimmt, bekommt man keine Antwort. Er äußert sich nicht zu dem Fall. Sein Mandant hat längst das Weite gesucht, er verließ Deutschland, ohne dass der Fall geklärt werden konnte.

Schon möglich, aber nicht zu ändern, urteilt am Mittwoch das Landesarbeitsgericht Berlin. Es erklärt, in zweiter Instanz, eine Klage gegen einen Angehörigen des diplomatischen Korps für unzulässig. Seit Jahrhunderten genießen Diplomaten Immunität, sie sei "unverzichtbar", sagt der Richter, um erfolgreich zwischen Staaten vermitteln zu können, auch im Krieg. Hinter diesem "überragenden Gemeinwohlinteresse" müsse der Wunsch, eine "behauptete Privathandlung" aufklären, zurückstehen.

Ein Hauch von einer Frau

Was passiert, wenn eine behauptete Privathandlung privat bleibt, also unbewiesen und ungeahndet, weiß Nivedita Prasad zu berichten. Die promovierte Soziologin leitet das Berliner Beratungszentrum Ban Ying, das Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel betreut. Nivedita Prasad tut das ganz unaufgeregt und ist erfahren genug, die aufgebauschten Geschichten von den glaubwürdigen zu unterscheiden.

Zu letzteren zählt sie das Schicksal der Indonesierin Dewi Ratnasari. Letzten November ist sie in der Beratungsstelle aufgetaucht, ein Hauch von einer Frau, sie wiegt damals um die 40 Kilo. Nivedita Prasad fallen als erstes ihre Kleider auf. Sie sind viel zu dünn für einen Berliner Spätherbst, und in Ratnasaris Koffer ist nichts, was so aussieht, als habe diese Hausangestellte gut verdient.

Nur noch weg

Dünne Sommerkleider fernöstlicher Herkunft sind da drin, "da war nichts, das in Europa gekauft wurde". Die Frau weint und schimpft, sie will kein Geld, nicht vor Gericht, sondern nur noch weg. "Ihre größte Angst war, dass wir sie zu ihrem Arbeitgeber zurückschicken."

Nivedita Prasad kennt solche Fälle zur Genüge, in den harmloseren geht es nur um Geld. Ein türkischer Diplomat, erzählt sie, habe seiner Dienstbotin gemailt, er zahle jetzt nur noch 350 Euro im Monat. Der Mindestlohn für Hausangestellte liegt bei 750 Euro.

Härter soll es einen Angestellten der Botschaft von Bangladesch getroffen haben, er erstattete Anzeige, ihm sei ein Stuhl über den Kopf gezogen worden. Die Polizei stellte die Ermittlungen ein. Eine Philippinin soll über Monate in einem Kölner Diplomatenhaushalt vergewaltigt worden sein. Als ihr Arbeitgeber merkte, dass sie schwanger war, habe er sich abgesetzt. Die Vaterschaftsklage läuft ins Nichts.

"Sie wissen, dass Ihnen nichts passiert"

Es ist keineswegs so, dass nur Männer der Misshandlung beschuldigt werden. Eine philippinische Hausangestellte soll von einer Diplomatin gebeten worden sein, sie beim Urlaub in ihre Heimat zu begleiten. Als sie ankamen, erzählt Nivedita Prasad, sei ihr der Pass abgenommen worden. Ihre Arbeitgeberin habe sie angewiesen, fortan ihre Eltern zu pflegen, für 100 Euro im Monat.

Ein andere Diplomatin soll ihre Tochter mit einem Radiokabel geschlagen haben. Es gab Narben, ein ärztliches Attest. "Das Mädchen ist zum Jugendamt gegangen, aber die haben sich wegen der Immunität nicht getraut, etwas zu unternehmen." Nicht alle Diplomaten seien Unholde, sagt Nivedita Prasad, "aber sie wissen, dass ihnen nichts passiert."

Die Behörden wissen von einigen Abgesandten ferner Länder zu berichten, die sich in Berlin daneben benehmen, auch im Verkehr. Da wird rücksichtslos durch die Straßen gejagt, betrunken hinterm Steuer gesessen, es kommt zu Unfällen und Verletzten, nicht aber zu Konsequenzen. Im Jahr 2010 kassierten Diplomaten in Berlin 15.000 Strafzettel und Anzeigen, Tendenz steigend. Gezahlt wurde nicht, das Land Berlin blieb auf Bußgeldern von 157.000 Euro sitzen.

"Es ist ein strukturelles Problem", sagt Petra Follmar-Otto, Europachefin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die Diplomatenopfern zu ihrem Recht verhelfen will, gerne auch vor dem Verfassungsgericht. Das Institut finanziert die Klagen und fordert 70.000 Euro für Dewi Ratnasari, als Entschädigung für den entgangenen Lohn und Schmerzensgeld. Die einstige Dienstmagd scheint das nicht sonderlich zu interessieren. Sie lebt wieder in ihrem Dorf in Indonesien, und von Deutschland, sagt sie, will sie nichts mehr wissen.

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