Das stumme Leiden des Papstes:Als die Stille schmerzhaft wurde

So hinfällig hatte die christliche Gemeinde den Papst noch nie gesehen. Millionen von Fernsehzuschauern konnten so das Leid des Pontifex mitverfolgen - und das wollte Karol Wojtyla wohl auch.

Von Christiane Kohl

Grau hingen die Wolken zwischen den mittelalterlichen Palazzi des Kirchenstaats. Der schwere rote Samtteppich mit den päpstlichen Insignien vor dem Fenster des Arbeitszimmers von Johannes Paul II. tänzelte wie ein federleichter Seidenschal im Wind.

Das stumme Leiden des Papstes: Gläubige warten in Rom vergeblich auf den Auftritt des Papstes.

Gläubige warten in Rom vergeblich auf den Auftritt des Papstes.

(Foto: Foto: dpa)

Mehr als 70.000 Menschen hatten sich auf dem Petersplatz versammelt. Doch während Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano auf der Terrasse vor dem Petersdom am Sonntagmorgen die Ostermesse zelebrierte, schielten Tausende von Augenpaaren zu dem Fenster mit dem Samtteppich im dritten Stock des Papstpalastes hinauf.

Dort zeigte sich Karol Wojtyla gegen Ende des Gottesdienstes - doch in welcher Verfassung war der alte Mann? Sein Kopf wackelte, sein Mund bewegte sich, als ob er immer wieder vergeblich zu schlucken versuchte, offenbar waren ihm die Gesichtsmuskeln außer Kontrolle geraten.

Ein leises Röcheln

Wort für Wort schien Johannes Paul trotz aller Leiden an Hand einiger Manuskriptblätter zu verfolgen, wie Sodano seine, des Papstes, Osterbotschaft verlas.

Dann lag nur noch ein kleinerer, etwas verknitterter Zettel auf dem gläsernen Lesepult vor Johannes Paul - der Text für den Ostersegen "Urbi et Orbi".

Ein Priester schob das Mikrofon vor seinen Mund, Wojtyla strengte sich nach Kräften an. Doch dann war nur ein leises Röcheln durch das Mikrofon zu vernehmen. Langsam zeichnete der Papst nun mit der rechten Hand ein Kreuz, um den Segen wenigstens stumm zu geben.

Verzweifelt versuchte er noch einmal zu sprechen, wieder vergebens. Dann hatte der Priester auch schon das Mikrofon von Wojtyla fortgezogen - ein zweites Mal sollte das Röcheln nicht zu hören sein.

Sichtlich bestürzt schaute der alte Mann in die Menge. So hinfällig hatte die christliche Gemeinde den Papst noch nie gesehen. Doch die Kameras zeigten kein Erbarmen: Etwa zwölf Minuten lang blieben die Fernsehobjektive auf den kranken alten Mann gerichtet, 104 Fernsehstationen waren live in aller Welt dazugeschaltet.

Millionen von Fernsehzuschauern konnten so das Leid des Pontifex mitverfolgen - und das wollte Karol Wojtyla wohl auch.

Noch am Karfreitag hatte er in einer Botschaft erklärt: "Ich opfere mein Leiden auf, damit sich der Plan Gottes erfülle, und sein Wort zu den Völkern gehe".

Voll wachen Geistes

Der Papst sieht in seiner Krankheit gleichsam ein neues Instrument, das Evangelium zu verbreiten. Was jedoch erhebliche Gefahren birgt: Je hinfälliger Wojtyla bei seinen öffentlichen Auftritten wirkt, um so stärker könnten nämlich die Stimmen werden, die ihm nicht mehr zutrauen, sein Amt als Oberhaupt der Weltkirche auszuüben.

Der bestürzend schlechte Eindruck, den Johannes Paul am Ostersonntag machte, löste denn auch prompt neue Diskussionen um seinen Gesundheitszustand aus. Waren es die Folgen des Luftröhrenschnitts Ende Februar, die dem Papst die Stimme versagen ließen?

Ist die Parkinson-Krankheit, die seit Jahren unaufhaltsam Besitz von ihm ergreift, mittlerweile doch so weit fortgeschritten, dass er seine Mimik nicht mehr beherrscht? Oder hatte ihm die Aufregung die Sprache verschlagen?

Eine klare Antwort auf diese Fragen ist im Vatikan nicht zu bekommen. Doch es lässt sich kaum dementieren, dass der Zustand von Johannes Paul sich in den vergangenen drei Wochen sehr verschlechtert hat: Sein Körper ist mehr und mehr abgemagert von der Flüssignahrung, die er seit der Luftröhrenoperation zu sich nehmen muss, die Ohren wirken plötzlich überdimensional unter dem Käppi, und in sein Gesicht hat sich ein nun wieder neuer Alterungsschub eingegraben.

Wie krank ist der Papst wirklich?

Im privaten Gespräch, so erklärte vor Tagen der Präfekt der vatikanischen Bischofskongregation Giovanni Battista Re, sei seine Stimme durchaus vernehmlich - das kann man kaum mehr glauben.

Wie krank ist der Papst also wirklich? Und wie beeinträchtigt durch gesundheitliche Ausfälle darf er sein, um sein Amt noch voll und ganz ausüben zu können?

Nach dem Reglement im Vatikan, ist es unerheblich, ob der Papst noch sprechen kann oder nicht - er muss nur in der Lage sein, seinen Willen klar und deutlich kundzutun.

Die Parkinson-Krankheit ergreift die Muskeln, nicht das Gehirn. Insofern dürfte zutreffen, was Kardinal Joseph Ratzinger und andere Monsignori, die noch Zugang haben zum Papst, in diesen Tagen immer wieder betonen: Wojtyla sei "wachen Geistes", eine Beeinträchtigung seiner Denkfähigkeit keineswegs gegeben.

Auch versucht man im Vatikan durch allerlei Zeichen klarzustellen, dass Wojtyla sehr wohl auch ohne Stimme seine Wünsche ausdrücken vermag. So erschien auf Seite eins der Vatikanzeitung Osservatore Romano am Sonntag das Faksimile eines Zettels mit päpstlicher Handschrift: "Der Herr bleibe bei uns!" stand da in etwas zittriger Schrift geschrieben.

Freilich wird die Weltkirche nicht nur mit Handzetteln regiert. Und so kommt nun immer häufiger die Frage auf, wer eigentlich im Vatikan das Sagen hat.

Da gibt es ständig neue Spekulationen über angebliche Machtverschiebungen innerhalb der Kurie. Das jüngste Gerücht verbreitete jetzt die Mailänder Zeitung Corriere della Sera. Demnach sollen die vier starken Männer im Vatikan - neben Kardinalstaatssekretär Sodano, den Kardinälen Re und Ratzinger gehört noch der Generalvikar von Rom Camillo Ruini dazu - gleichsam einen "Nichtangriffspakt" untereinander geschlossen haben.

Das Quartett, so das Blatt, wolle garantieren, dass "der augenblickliche status quo" im Machtgefüge der Kurie beibehalten werde und wichtige Dinge gemeinsam entschieden werden.

Damit solle die Vatikanführung handlungsfähig bleiben, auch wenn sich die päpstliche Gesundheit weiter verschlechtern sollte.

Die Stadien des Leidens

Der Vatikan ist ein absolutistisches Herrschaftssystem mit byzantinischem Flair. Deshalb darf man auch den Einfluss des päpstlichen Sekretärs Stanislaw Dziwisz nicht unterschätzen.

Seine durchaus energische Art, in den verwinkelten Gängen des Kirchenstaates allerlei Dinge mit Hinweis auf den vermeintlichen Willen des Papstes durchzusetzen, findet nicht überall Gefallen.

Verdruss schafft überdies, dass er scheinbar auch rigoros Politik zu machen scheint mit der Frage, wer denn Johannes Paul besuchen darf und wer nicht.

Dziwisz wie auch der Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Valls sind offenbar auch des Papstes wichtigste Berater, wenn es darum geht, wann und wo er sich in der Öffentlichkeit zeigt.

Wie krank er auch ist, der Papst braucht das Bad in der Menge offenbar als Lebenselixier. Das stellte jetzt selbst der Osservatore Romano fest, der berichtete, Wojtyla mache "kein Geheimnis daraus, dass es ihn große Mühen kostet, zurückgezogen zu bleiben".

Am Ostermontag musste der Papst sich dann doch seiner Krankheit beugen. Sein Fenster blieb verschlossen, der rote Teppich wurde nicht ausgerollt. Womöglich ein neuer Rückfall, nachdem er am Tag zuvor zu lange im kalten Wind ausgeharrt hatte.

Oder aber die Einsicht, dass man nicht jedes Leidensstadium zeigen muss.

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