Das Dartmoor:Auf den Spuren des Höllenhundes

Die wilde Gegend im Südwesten Englands inspirierte Arthur Conan Doyle zu seinem legendären Krimi - und gibt noch heute Rätsel auf.

Von Christoph Schwennicke

Princetown - Wie ein Vorhang hängt das Grau in Schlieren aus dem Wolkenfetzen, den der Wind vor sich her treibt. Einen dichten Schleier aus kühlen Tröpfchen legt er auf Gesicht, Hände und die wetterfeste Kleidung.

Das Dartmoor

Ein Schaf in den weiten des Dartmoors.

(Foto: Foto: AP)

Das Städtchen Princetown in England an diesem Nachmittag: grau, überall grau, die Wolkenfetzen, die über die Kuppen jagen, die Häuser und auch das Rund des Dartmoor-Gefängnisses.

Grau die Tors, jene Granitsteinhaufen auf den Kuppen der Hügel, die sich in alle Richtungen erstrecken und die aussehen, als hätte Menschenhand sie aufgestapelt, obgleich sie doch einer Laune der Natur entstammen.

Unheimlich still

Still ist es, unheimlich still, wie schallgedämmt von dieser Isoliermatte aus Luft, Wasser und Wind, die über dem Land liegt. Wie ein Kissen, jeden Tritt schluckend, der Boden, der mit seinem kurzen Gras aussieht wie verlegter Teppich.

Ein Tag wie bestellt für diese Spurensuche. Von Rowe's Duchy Hotel sind wir losgelaufen - wie dessen Gast vor mehr als einhundert Jahren. Von dort sind es ein paar Meter bis zum ersten Weidezaun und dann geht es hinaus.

14 Meilen ist Arthur Conan Doyle von hier aus gelaufen, 14 Meilen, die Literaturgeschichte schrieben, weil sie ihn zu seinem wohl berühmtesten Werk inspiriert haben, dem "Hund von Baskerville".

Im "Ersten Bericht des Dr.Watson" an Sherlock Holmes in London lässt Sir Arthur den Helfer des Meisterdetektivs ein Psychogramm dieser Landschaft zeichnen, das seither Millionen Menschen ihre Vorstellung vom Dartmoor, diesem Hochmoor im südwestenglischen Devon gegeben hat.

Gottverlassener Winkel

Ein "gottverlassener Winkel", berichtet Emissär Watson in die Baker Street: "Je länger man hier bleibt, desto mehr drückt sich einem der Geist des Moors in die Seele ein, und man wird zum Opfer seiner Ode und seines schaurigen Reizes."

Auf den Spuren des Höllenhundes

Wenn man das Moor betrete, lasse man "alle Spuren des modernen England hinter sich", und käme aus einer der alten Steinhütten "ein in Felle gehüllter und behaarter Mann herausgekrochen, der einen Pfeil mit Feuersteinspitze auf die Sehne seines Bogens legte, dann würde man das viel natürlicher finden als die eigene Anwesenheit."

Das ist trefflich geschrieben. Und millionenfach gelesen. In fast allen Ländern der Welt ist Doyles "Hund von Baskerville" erschienen. Mindestens 19 Filme haben ihre eigene Wirklichkeit des Dartmoors geprägt mit dieser düsteren Geschichte von einem angeblichen Riesenhund mit glühend roten Augen, der sich über die Familie der Baskervilles hermacht und sich am Ende als dressierte Bestie des Mister Stapleton erweist, eines vergessenen Sippenmitglieds der Baskervilles.

Nach allem, was die Holmes-Forscher und -Freunde zusammengetragen haben, geht die Idee zu diesem Weltbestseller und Gruselklassiker auf eine Begegnung Doyles mit dem britischen Abenteurer und Journalisten Bertram Fletcher Robinson zurück.

Fletcher Robinson lernte Doyle auf einer Schiffsreise kennen und machte ihn mit den Mythen und Legenden des Dartmoor vertraut. Doyle fing Feuer und reiste kurz darauf im Mai des Jahres 1901 ins Dartmoor und quartierte sich im Duchy Hotel ein, wo heute ein Besucherzentrum eingerichtet ist und die vertraute hagere Figur von Holmes die Stufe des Hotels Richtung Ausgang hinuntersteigt, beäugt von seinem dicklichen Schöpfer Doyle.

"Hier bin ich nun in der höchsten Stadt Englands", notierte er in einem Brief an seine Mutter, "Robinson und ich erforschen das Moor für unser Sherlock-Holmes-Buch. Ich glaube, es wird vortrefflich, tatsächlich habe ich schon die Hälfte davon geschrieben. Holmes ist in Hochform, und es ist eine sehr dramatische Geschichte - die ich Robinson verdanke."

Man habe, schreibt er, "14 Meilen im Moor zurückgelegt und wir sind jetzt auf angenehme Weise erschöpft."

Das Moor. Über 500 Quadratkilometer erstreckt es sich in einem Dreieck zwischen Plymouth, Exeter und Tavistock, eingeklemmt im Südwestzipfel Englands zwischen englischem Kanal im Süden und dem Atlantik im Norden.

Eine Gegend, die vor 7000 Jahren von dichtem Wald bestanden war und nun diese einzigartige moorige Weite bildet, ein Nationalpark, in dem man über ratternde Roste in eine Art riesige Freiweide fährt, wo Schafe ungelenk vor dem Kühler hergaloppieren oder störrische Ponys ihre kugeldicken Bäuche nicht von der Straße bewegen.

Mittendrin liegt Princetown, von hier führt Doyles Weg über die Farm von Nun's Cross und die alte Zinnmine von Whiteworks über das Tal des River Swincombe, nach Hexworthy, von dort zu den Erhebungen des Bellever und des Laughter Tor bis zur Bronzezeit-Siedlung von Grimspound, von der heute noch ein archaisches Steinrund und Steinhaufen künden, die einmal Hütten waren. Aus diesen Eindrücken schuf Doyle seine Welt.

Auf den Spuren des Höllenhundes

Fiktion der Ort Grimpen, der nach allen Entfernungsangaben im Buch dorthin gelegt wurde, wo in Wirklichkeit das Örtchen Hexworthy liegt, in dessen Forest Inn man wunderbar einkehren kann.

Den Namen gab das alte Steinrund von Grimspound. Außerdem sind diese 4000 Jahre alte Hüttensiedlung und ihre frühen Rekonstruktionen mutmaßlich Vorbild für die Hütte, in der Holmes zunächst undercover einige Zeit verbringt, ehe Watson dem rätselhaften "Mann auf dem Hügel" in dem gleichnamigen Kapitel nachschleicht.

Die Sümpfe des Fox Tor Mires südlich von Princetown haben Doyle als Anschauungsobjekt für sein Grimpen Mire gedient: In einer alten Zinnmine wie Whiteworks ließ Doyle den Schurken Stapleton seinen Höllenhund halten, bis ihn die Schüsse des Dr. Watson und Sherlock Holmes zur Strecke bringen, noch bevor der Hund im Finale Henry Baskerville die Gurgel aus dem Hals reißen kann.

Imagination des Leibhaftigen

Über die Geschichte des Riesenhundes gibt es viele Theorien. Im Dartmoor selbst hält sich die Sage von den Whisht Hounds, den Hunden des Dewer, einer Imagination des Leibhaftigen, aber die Whisht Hounds sind eine Meute und kein einzelnes Tier gigantischen Ausmaßes.

Wahrscheinlich stammt Doyles Höllenhund von "Black Shuck" ab, der ganz woanders, in Norfolk, sein Unwesen getrieben haben soll. Quellen weisen ihn als "einen schwarzen zotteligen Hund von der Größe eine Kalbes" aus.

Reali

tät und Fiktion: das Dartmoor Gefängnis

Eine Beschreibung, die sehr erinnert an die Beschreibung des Dr. Mortimer im Krimi, der von einem "großen schwarzen Kalb" spricht. Außerdem sollen Shucks Augen wie glühende Kohlen geleuchtet haben, und wer sich seinem Blick aussetzte, starb binnen eines Jahres.

Realität und Fiktion verschmelzen im Dartmoor-Gefängnis, das die Geschichte abwirft vom entflohenen Mörder Selden, der vom Baskerville-Diener Barrymore und seiner Frau heimlich versorgt wird, bis sie ihm abgelegte Kleider von Henry Baskerville zuschanzen, die die Bestie Witterung aufnehmen lässt und den Erbärmlichen in Stücke reißt.

1806 wurde das Dartmoor-Gefängnis gebaut, um darin die Gefangenen aus Kriegen mit Frankreich und Amerika zu bergen, bevor es in eine Strafvollzugsanstalt umgewandelt wurde.

"Parcere Subjectis" steht auf dem steinernen Torbogen und erinnert an seine Zeiten als Kriegsgefängnis: "Verschonet die Besiegten". Im Museum kann man sich für drei Pfund Eintritt ein bisschen gruseln angesichts der Wagen, vor die die Häftlinge gespannt wurden, und angesichts der Eisen, in die sie gelegt wurden. Sehr englisch der Verkauf von Gartenmöbeln aus hauseigener Produktion.

Zurück ins Moor. Wie gemacht ist diese Landschaft, die Phantasie zu beflügeln. Wenn sich beim Sharp Tor, einer Erhebung unweit von Dartmeet ein Krüppelbaum in einer Scharte der Granitbrocken hält und gegen den Horizont abzeichnet, sieht das von Ferne nicht aus wie die Schemen eines großen Tieres, eines Hundes gar?

36 Mal hat Doyle das Wort "dunkel" in seinem Buch verwandt, "schwarz" 39 Mal. "Angst" taucht 23 Mal auf. Kein Wunder in dieser Gegend, die sich so unwirtlich zeigt bei schlechtem Wetter und so bezaubernd erstrahlt, wenn Stunden später die Sonne alles mit kräftigen Farben übergießt.

Düster-zauberhaft ist das Dartmoor an dunklen Tagen und verströmt eine Atmosphäre, die auch rationale Geister dem Gedanken gegenüber aufgeschlossen macht, dass es andere, auch finstre Mächte geben muss.

Eric Chandler hat einen Sinn dafür. Eine kleine Farm betreibt Eric in Holne im Dartmoor, und ein Bed and Breakfast zusammen mit seiner Frau Sue.

Mit fünf Jahren, sagt er mit leuchtenden Kinderaugen, habe er die ersten Filme mit Basil Rathbone und Nigel Bruce als Holmes und Watson gesehen.

Diese Faszination habe ihn nie wieder losgelassen. Eric erzählt, und zu seinen Füßen liegt ein großer schwarzer Hund. Doch Labrador Jess ist alles, nur keine Bestie.

Schmatzend verschluckt

Vor 18 Jahren hat es Chandler ins Dartmoor verschlagen, bald wird er seinen Siebzigsten feiern. Ob die Mystik im Roman nicht weit übertrieben sei, und die Schauergeschichten vom Moor, das Pferd und Mensch schmatzend verschluckt?

Aber nein, sagt Eric. Seine Frau Sue habe vor Jahren im Blackslade Mire zwei Wuschel aus dem Sumpf lugen sehen. Sie hätten sich als die Ohren eines Ponys erwiesen, das Ranger dann aus dem tückischen Torf gezogen hätten.

Wie die Geschichte vom Pony im "Hund", das vor den Augen von Watson versinkt: "Etwas Braunes wälzte sich in den grünen Binsen. Dann streckte sich in Todesangst ein langer Hals empor und ein furchtbarer Schrei hallte herüber. Mich überlief kaltes Entsetzen."

Tatsächlich hat das Moor seine tückischen Stellen, an denen das Gras im Sommer eine trügerisch feste Oberfläche über einen Schwamm aus Torf zieht. Doch der hat sich in den Winterregen vollgesogen, kann das Wasser wegen des felsigen Untergrundes nicht abgeben, speichert es den Sommer über und speist daraus ganze Flüsse.

Gerade Ponys mit ihren vergleichsweise kleinen Trittflächen werden immer wieder Opfer dieser Sümpfe. Eric sagt, wir sollen unten beim Sharp Tor einmal durch die Talsohle laufen. Wie auf einem Schiff schwanke da der Boden.

"Bestie von Bodmin"

Oder die Sache mit dem Grabkreuz unterhalb von Hound Tor. Ständig würden dort frische Blumen liegen, "und noch nie hat jemand gesehen, wer sie da hinlegt", sagt Eric. Wie gesagt: Das Moor regt die Sinne an und kitzelt die Phantasie.

Im nahen Bodmin Moor vermuten sie übrigens seit ein paar Jahren ein puma-ähnliches Raubtier, die "Bestie von Bodmin". Aber das ist dann schon wieder eine ganz andere Geschichte.

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