Das Bangen um die Marsmission:Beagle-2, bitte melden!

Es waren Stunden des Triumphs und der Enttäuschung, die die Forscher im Darmstädter Kontrollzentrum erlebten. Die Dramatik ist kaum zu überbieten, während die Wissenschaftler auf ein Signal warten - und bis zuletzt ist der Erfolg ungewiss. Eine Reportage von Christoph Schrader

(SZ vom 27.12.2003) - Als der Morgen über dem Kontrollzentrum graut, steht es im interplanetaren Match unentschieden. Zwei Raumschiffe haben die Erdlinge voller Hoffnung auf den Mars geschossen, aber nur eines, Mars Express, hat sein Ziel gefunden und sich pünktlich aus der anvisierten Umlaufbahn gemeldet. Das andere, die Landesonde Beagle-2, ist stumm geblieben. "Wir sind in der Verlängerung", lässt Colin Pillinger, der geistige Vater von Beagle-2, nach Darmstadt übermitteln, "aber wir haben noch keinen Elfmeter kassiert."

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Dei Raumsonde Beagle

(Foto: Foto: dpa)

Diese Verlängerung dauert mindestens 36 Stunden, und sie steigert noch die Dramatik einer ohnehin spannenden Nacht. Ausgerechnet in den frühen Morgenstunden des 25. Dezember nämlich sollten die beiden europäischen Sonden am Mars ankommen. Das war eine schlichte Folge des Starttermins: Am 2.Juni hatte eine russische Sojus-Rakete Mars Express und Beagle-2 von Baikonur aus ins All transportiert.

Und schon da war klar, dass die beiden Raumschiffe ihre entscheidenden Minuten in der heiligen Nacht kurz vor vier Uhr morgens erleben würden und dass die Techniker und Zuschauer in Darmstadt - das oberste Esa-Management, die Forscher, ihre Familien sowie eine Horde Journalisten - erst Stunden später erfahren würden, ob die Pläne Erfolg haben würden.

Wenig Hilfe von außen

In der hessischen Stadt liegt das Kontrollzentrum der europäischen Weltraumagentur Esa. Sie hat die beiden Raumschiffe geplant und gebaut. Es ist ihre erste eigenständige Mission zu einem fremden Planeten, lediglich beim Start und der Navigation während des Flugs haben die Europäer die Hilfe von Russen und Amerikanern angenommen.

Aber auch wenn diese Mission eine besondere Symbolkraft für die Europäer hat - Nervosität will in Darmstadt niemand zeigen. Das belegt schon die Wortwahl der Raumfahrer: Ihr höchstes Lob heißt "nominal". Die Sonde ist auf einem nominalen Kurs. Oder: Der Status ist nominal. Wörter wie toll, prima, super passen nicht zum Selbstbild eines professionellen Teams.

Das gilt besonders im eigentlichen Kontrollraum. Er ist etwa zwanzig Meter breit und zehn Meter tief und enthält vier gebogene Reihen von Konsolen; jeder Arbeitsplatz verfügt über mindestens drei Computer-Bildschirme. Vorn rechts zum Beispiel sitzen die Techniker, die Beagle-2 überwachen.

Stoff-Beagle als Maskottchen

Sie haben einen Stoff-Beagle mit Sonnenbrille als Maskottchen auf die Monitore gesetzt. Hinten rechts ist das Reich von Michael McKay, dem verantwortlichen Flugdirektor. Der Brite mit dem kurzgeschnittenen grauen Vollbart steht wie ein Dirigent hinter seinem Orchester.

Doch die vielen Bildschirme bieten McKay und seinen Technikern zunächst kaum relevante Daten. Die Landesonde Beagle-2 hat ohnehin seit sechs Tagen, seitdem sie sich vom Mutterschiff Mars Express getrennt hat, keinen Funkkontakt mehr zur Erde. Das Bodenpersonal könnte sie auch nicht mehr beeinflussen: Beagle-2 hat kein Triebwerk und muss dem Kurs folgen, den sie hat, seitdem Mars Express die Kapsel ausgesetzt hat.

Die Landung von Beagle-2 ist für kurz vor vier Uhr morgens vorgesehen: Sie muss ihr Tempo erst mit ihrem Hitzeschild, dann mit einem Fallschirm und zuletzt mit drei Airbags von 20.000 Stundenkilometer auf Null bremsen, sich dann wie eine Taschenuhr öffnen, ihre Sonnensegel ausklappen, die Batterien aufladen und ihre Instrumente hochfahren.

Diesen Ablauf konnte das Publikum auf einem computer-generierten Video den ganzen Abend immer wieder sehen. Doch ob die Simulation auch Wirklichkeit wird, das kann das Bodenpersonal in Darmstadt und im Beagle-Kontrollzentrum in England erst gegen sieben Uhr am Donnerstagmorgen erfahren.

Schwaches Signal

Immerhin: Von Mars Express gibt es ein schwaches Signal. Es zeigt sich als stetig fallende gelbe Linie, die auf zwei Leinwände an der Stirnwand des Kontrollzentrums projiziert wird. Denn Mars Express hat sich in der Nacht zum Donnerstag um 2:11 Uhr - tief im Weltall, 157 Millionen Kilometer von der Erde entfernt und gesteuert von seinem Bordcomputer - von der Erde abgewandt.

Zudem ist seine Hauptfunkantenne abgeschaltet, die Techniker empfangen nur noch eine Art Prüfton von einer kleinen Antenne. Dessen Verschiebung durch den Dopplereffekt, der auch das Heulen einer Polizeisirene beim Vorbeifahren verändert, sagt den Kontrolleuren zumindest ein wenig darüber, was der Sonde zurzeit passiert. "Die Linie ist kein Aktienkurs", sagt McKay. "Es ist gut, wenn sie fällt."

Zeina Mounzer kann die Emotionen des Teams im Kontrollraum gut einschätzen: Sie ist der Simulation Officer, sie hat den Technikern um McKay monatelang immer wieder Notfälle simuliert: Die Aggregate an Bord von Mars Express fielen reihenweise aus, ein vorgetäuschter Feueralarm im Kontrollzentrum vertrieb das Bodenpersonal von den Monitoren, ein erfundenes Verkehrschaos der S-Bahnen im Ballungsraum Frankfurt führte dazu, dass das eingespielte Team plötzlich mit Ersatzleuten funktionieren musste.

Dieses Training hat offenbar dazu geführt, dass die erste wirkliche Krise der Nacht im Kontrollraum keine erkennbare Hektik auslöst. McKay hatte die Zuschauer auf einen Moment etwa zehn Minuten vor vier eingestimmt. Um 3:42 Uhr sollte Mars Express sein Haupttriebwerk zünden, um in die Umlaufbahn einzuschwenken.

An der gelben Linie wäre das gut acht Minuten später zu erkennen gewesen, so lange brauchen Funksignale vom Mars bis zur Erde. Doch vor dem erwarteten Zeitpunkt verschwindet das Signal plötzlich ganz. Dem Flugdirektor zufolge hat das zwei Minuten lang zu aufgeregten Diskussionen im Kontrollraum geführt; der Zuschauer jedoch, der das Bild einer Überwachungskamera betrachtet, erkennt keine Spur von Aufregung.

Wenig später präsentiert McKay eine Erklärung für den Ausfall: Die Techniker haben die falsche Antenne auf Mars Express eingeschaltet. Das ist peinlich genug, aber kein Alarmzeichen. Die Zuschauer und Esa-Manager müssten sich also bitte bis 5:11 Uhr gedulden, sagt McKay, dann tauche das Raumschiff nach seinem Bremsmanöver voraussichtlich wieder hinter dem Planeten auf, die Antenne zeige dann zur Erde.

"Wenn das Haupttriebwerk nicht wenigstens drei Minuten lang Bremsschub liefert, kann Mars Express keine Umlaufbahn erreichen", erklärt Zeina Mounzer. Das Raumschiff würde dann von der Atmosphäre des Mars abgleiten wie ein flacher Stein, den man über einen unbewegten See springen lässt. Wenigstens drei Minuten lang hätten die Techniker die gelbe Linie daher gern verfolgt. "Wir machen den Abend noch ein wenig spannender", sagt McKay, aber man merkt ihm an, dass er sich diesen Scherz lieber erspart hätte.

Um 5:17 Uhr tritt er dann ans Mikrophon und verkündet erleichtert, dass der Prüfton von Mars Express "wenige Sekunden nach dem vorgesehenen Zeitpunkt" empfangen worden sei. Offenbar hat die Sonde den Mars also planmäßig umrundet. Genauer werden die Techniker das aber erst etwas später wissen. Sie senden jetzt ein Signal ins All, das Mars Express zurückschicken soll - daraus lässt sich die Bahn genauer hochrechnen, was 17 Minuten dauert, bevor das Signal von der Erde zum Mars und wieder zurückgekommen ist.

Auftritt der Forschungsministerin

In dem Moment, kurz vor sechs Uhr, trifft Edelgard Bulmahn in Darmstadt ein, die deutsche Forschungsministerin. Als sie den Kontrollraum besichtigt, kommt die ersehnte Bestätigung: Die gelbe Kurve zeigt exakt den erwarteten Verlauf.

Jetzt blättert die Coolness der Techniker ab, sie fallen einander in die Arme, jubeln, klatschen und nehmen die Glückwünsche der Ministerin im Empfang. Das Wort "nominal", das die Techniker auch bei solchen Gelegenheiten benutzen, genügt Bulmahn aber nicht, sie spricht von "einem großen Tag für Europa".

Eigentlich ist der Jubel voreilig, denn die offizielle Bestätigung, dass Mars Express die Umlaufbahn erreicht hat, wird erst am Donnerstagmorgen um 9:50 Uhr erwartet, wenn die Hauptantenne wieder zur Erde zeigt. Doch die Anspannung der Nacht sucht sich jetzt ein Ventil, plötzlich erinnern sich die Wissenschaftler, dass es Weihnachten ist - immerhin haben sie soeben wenigstens ein wertvolles Geschenk bekommen.

Doch noch fehlt ein Stück zum vollkommenen Glücksgefühl in Darmstadt: Beagle-2 müsste sich jetzt, um halb acht Uhr, melden. Das amerikanische Raumschiff Mars Odyssey müsste gerade jetzt die Beagle-Landestelle überfliegen und die Sonde anfunken.

Eigener Song von Blur

Diese müsste dann mit den ersten neun Noten eines Songs antworten, den die britische Rockband Blur eigens für diesen Anlass komponiert hat. Titel: "No Distance left to run" - die Entfernung ist überwunden.

Eine Hoffnung, die sich im Moment aber noch nicht erfüllt. Denn Beagle-2 meldet sich nicht. Das symbolträchtige Funksignal bleibt aus. Der Forschungsdirektor der Esa, David Southwood, tritt ans Mikrophon und verkündet, dass es keinen Kontakt zwischen Mars Odyssey und der Beagle-Sonde gegeben habe.

Das kann vielerlei harmlose Gründe haben, beeilen sich die Experten im Raum zu versichern: Die Sonde ist nicht ganz am vorgesehenen Ort gelandet, ihr Sender ist so kalt, dass er die vorgesehene Frequenz nicht einhalten kann.

Ungeklärtes Schicksal

Doch es könnte auch einen Crash gegeben haben, einen Fehler bei der Landung. Das hieße, Beagle-2 wäre zerstört. Immerhin, sagt der Esa-Forscher Walter Flury, sind bei den bisherigen neun Landeversuchen auf dem Mars sechs Raumschiffe abgestürzt.

Was mit Beagle-2 nun tatsächlich los ist, dachten die Wissenschaftler am Donnerstag, würden sie frühestens in der Nacht zum Freitag, gegen 23:45 Uhr, erfahren: Dann könnte das Radioteleskop Jodrell Banks in Nord-England ein paar schwache Piepser von der Sonde auf dem Mars einfangen.

In Darmstadt bleibt daher nur noch die Bestätigung, dass Mars Express "nominal" arbeitet. Die kommt pünktlich um 9:50 Uhr an diesen Donnerstagmorgen. Atemlos berichtet Michael McKay, dem sein Team die Ergebnisse per Kopfhörer durchgibt: "Das Haupttriebwerk hat 34 Minuten gebrannt wie vorgesehen. 250 Kilogramm Treibstoff verbraucht ... ein starkes Signal ... die Energieversorgung ist okay ... das Raumschiff gesund."

Die versammelte Führungsspitze der Esa kommentiert diese Nachricht nacheinander in Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch, es fallen die traditionellen Worte des Triumphs mit dem Understatement der Techniker: "Wir haben eine Mission."

Doch nach der durchwachten Nacht ist die Freude über diese Bestätigung in Darmstadt etwas gebremst, weil das Schicksal von Beagle-2 noch ungeklärt ist. Bis Freitagabend hat sich Beagle-2 nicht gemeldet.

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