Mit sofortiger Wirkung beendet Darren Wilson, Amerikas umstrittenster Polizist, seine Arbeit in Ferguson. In einem Brief an seine Vorgesetzten, aus dem die Zeitung St. Louis Post-Dispatch zitiert, schreibt der 28-Jährige, dass er es nicht riskieren wolle, dass die Bewohner von Ferguson oder andere Beamte verletzt würden, nur weil er weiter als Polizist arbeitet. Er hoffe zudem, dass die "Wunden" in Fergusons Gesellschaft heilen könnten.
Diese Wunden hat Darren Wilson selbst herbeigeführt, als er am 9. August den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown mit zwölf Schüssen tötete. Der Polizist gab an, Brown habe ihn attackiert, weshalb er aus Notwehr zur Waffe gegriffen habe. Am Montag war eine Jury aus zwölf Geschworenen dieser Argumentation gefolgt und hatte entschieden, Wilson nicht anzuklagen (Hintergründe hier). In der darauffolgenden Nacht kam es zu Ausschreitungen in Ferguson, bei denen Dutzende Geschäfte demoliert und angezündet wurden.
Seit der Entscheidung der Jury haben die Proteste weiter an Intensität gewonnen und nichts spricht dafür, dass ein Ende naht. Dass der weiße Polizist Wilson anschließend keine Reue zeigte und aus Solidarität mehr als 650 000 Dollar an Spenden aus dem ganzen Land erhalten hat, entsetzt die schwarzen Demonstranten. "Wir protestieren seit 113 Tagen und unsere Forderung nach Gerechtigkeit bleibt bestehen. Der Rücktritt ist notwendig, aber er schafft keine Gerechtigkeit", schreibt der Aktivist DeRay McKesson auf Twitter.
Dies trifft gerade die Stimmung unter den jungen Protestierern sehr gut, die sich am Samstagnachmittag mehrere Stunden lang über die weitere Strategie und neue Aktionen beraten haben. Eine klare Organisationsstruktur fehlt weiterhin, die Koordination läuft vor allem über Twitter, SMS und Mailinglisten. Zudem gibt es keinen offiziellen Anführer oder Sprecher - jede Stimme zählt gleich viel, weshalb viele Diskussionen sehr lange dauern. Doch alle Aktivisten, egal ob weiß oder schwarz, eint die Überzeugung, dass es nicht hinnehmbar ist, dass in den USA Polizisten regelmäßig schwarze Männer erschießen - oder sogar einen zwölfjährigen Jungen, wie jüngst in Cleveland.
Aktionen in mehr als 150 US-Städten
Aus Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus in der US-Gesellschaft finden seit Tagen rund um die nahe gelegene Großstadt St. Louis Aktionen in Einkaufszentren oder den Filialen von Unternehmen wie Walmart, Target oder Trader Joe's statt. Die Teilnehmer laufen dabei durch die Gänge und rufen Slogans wie "Hands up, don't shoot", "Gerechtigkeit für Mike Brown" oder "Hört mit dem Einkaufen auf und schließt euch der Bewegung an". Das Wochenende nach Thanksgiving und insbesondere der "Black Friday" werden in den USA traditionell für Shopping-Orgien und die Suche nach Rabatten genutzt.
Regelmäßig finden auch so genannte "Die-Ins" statt: Viereinhalb Minuten lang liegen die Aktivisten leblos auf dem Boden, die Arme und Beine weit von sich gestreckt. So wollen sie daran erinnern, dass die Leiche des schwarzen Teenagers Michael Brown viereinhalb Stunden auf einer Straße in Ferguson lag - und dass die Polizei dessen Mutter daran hinderte, zur ihrem Sohn zu laufen. Mitunter klettern Schnäppchenjäger über die stilisierten Leichen (Details in dieser SZ.de-Reportage). In mehr als 150 amerikanischen Städten fanden ähnliche Aktionen statt; zudem gab es in aller Welt Solidaritätsbekundungen.