Darren Wilson:Todesschütze von Ferguson quittiert Polizeidienst

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Darren Wilson hofft, dass die "Wunden" in Fergusons Gesellschaft heilen können. (Foto: dpa)

Aus Sicherheitsgründen wird Darren Wilson nicht mehr als Polizist arbeiten. Er hofft, dass so die "Wunden" in Ferguson heilen. Doch Amerikas Schwarze sind entsetzt, dass die tödlichen Schüsse auf Michael Brown folgenlos bleiben. Jetzt beginnt ein siebentägiger Protestmarsch.

Von Matthias Kolb, Ferguson

Mit sofortiger Wirkung beendet Darren Wilson, Amerikas umstrittenster Polizist, seine Arbeit in Ferguson. In einem Brief an seine Vorgesetzten, aus dem die Zeitung St. Louis Post-Dispatch zitiert, schreibt der 28-Jährige, dass er es nicht riskieren wolle, dass die Bewohner von Ferguson oder andere Beamte verletzt würden, nur weil er weiter als Polizist arbeitet. Er hoffe zudem, dass die "Wunden" in Fergusons Gesellschaft heilen könnten.

Diese Wunden hat Darren Wilson selbst herbeigeführt, als er am 9. August den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown mit zwölf Schüssen tötete. Der Polizist gab an, Brown habe ihn attackiert, weshalb er aus Notwehr zur Waffe gegriffen habe. Am Montag war eine Jury aus zwölf Geschworenen dieser Argumentation gefolgt und hatte entschieden, Wilson nicht anzuklagen ( Hintergründe hier). In der darauffolgenden Nacht kam es zu Ausschreitungen in Ferguson, bei denen Dutzende Geschäfte demoliert und angezündet wurden.

Seit der Entscheidung der Jury haben die Proteste weiter an Intensität gewonnen und nichts spricht dafür, dass ein Ende naht. Dass der weiße Polizist Wilson anschließend keine Reue zeigte und aus Solidarität mehr als 650 000 Dollar an Spenden aus dem ganzen Land erhalten hat, entsetzt die schwarzen Demonstranten. "Wir protestieren seit 113 Tagen und unsere Forderung nach Gerechtigkeit bleibt bestehen. Der Rücktritt ist notwendig, aber er schafft keine Gerechtigkeit", schreibt der Aktivist DeRay McKesson auf Twitter.

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Dies trifft gerade die Stimmung unter den jungen Protestierern sehr gut, die sich am Samstagnachmittag mehrere Stunden lang über die weitere Strategie und neue Aktionen beraten haben. Eine klare Organisationsstruktur fehlt weiterhin, die Koordination läuft vor allem über Twitter, SMS und Mailinglisten. Zudem gibt es keinen offiziellen Anführer oder Sprecher - jede Stimme zählt gleich viel, weshalb viele Diskussionen sehr lange dauern. Doch alle Aktivisten, egal ob weiß oder schwarz, eint die Überzeugung, dass es nicht hinnehmbar ist, dass in den USA Polizisten regelmäßig schwarze Männer erschießen - oder sogar einen zwölfjährigen Jungen, wie jüngst in Cleveland.

Aktionen in mehr als 150 US-Städten

Aus Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus in der US-Gesellschaft finden seit Tagen rund um die nahe gelegene Großstadt St. Louis Aktionen in Einkaufszentren oder den Filialen von Unternehmen wie Walmart, Target oder Trader Joe's statt. Die Teilnehmer laufen dabei durch die Gänge und rufen Slogans wie "Hands up, don't shoot", "Gerechtigkeit für Mike Brown" oder "Hört mit dem Einkaufen auf und schließt euch der Bewegung an". Das Wochenende nach Thanksgiving und insbesondere der "Black Friday" werden in den USA traditionell für Shopping-Orgien und die Suche nach Rabatten genutzt.

Regelmäßig finden auch so genannte "Die-Ins" statt: Viereinhalb Minuten lang liegen die Aktivisten leblos auf dem Boden, die Arme und Beine weit von sich gestreckt. So wollen sie daran erinnern, dass die Leiche des schwarzen Teenagers Michael Brown viereinhalb Stunden auf einer Straße in Ferguson lag - und dass die Polizei dessen Mutter daran hinderte, zur ihrem Sohn zu laufen. Mitunter klettern Schnäppchenjäger über die stilisierten Leichen ( Details in dieser SZ.de-Reportage). In mehr als 150 amerikanischen Städten fanden ähnliche Aktionen statt; zudem gab es in aller Welt Solidaritätsbekundungen.

Im Canfield Drive in Ferguson, in jener Straße, in der Mike Brown erschossen wurde, hat an diesem Samstag ein einwöchiger Gedenkmarsch begonnen, der von der Schwarzen-Organisation NAACP ( National Association for the Advancement of Colored People) organisiert wird.

Dutzende Aktivisten aus Missouri, North Carolina und Kalifornien wollen sieben Tage lang bis nach Jefferson City marschieren und in der Hauptstadt Missouris vor dem Sitz des Gouverneurs demonstrieren. Er hoffe, dass sich Tausende der "Reise für Gerechtigkeit" anschließen, sagte NAACP-Präsident Cornell Brooks. Er hatte zuvor in einer afroamerikanischen Kirche an die lange Tradition dieser Art des Protests erinnert: Der Bürgerrechtler Martin Luther King hatte 1965 mehrere Märsche von Selma in Alabama nach Montgomery organisiert. Der Jurist Brooks kritisiert zudem, dass das US-Rechtssystem Schwarze benachteilige und das Verfahren gegen Wilson eine Farce gewesen sei. Es sei besonders wichtig, dass es zu keiner weiteren Gewalt komme.

Die gleiche Botschaft wollen auch etwa 70 Biker aussenden, die kurz vor der NAACP-Gruppe mit ihren Motorrädern an der improvisierten Gedenkstätte hielten. Nach viereinhalb Minuten stillem Gedenken sagte Anführer Harlam Smith: " Ich bin in Ferguson aufgewachsen, hier gab es früher nie Gewalt. Wer friedlich protestieren will, ist willkommen, aber wir werden nicht zulassen, dass Geschäfte von unseren Leuten angezündet werden." Zur Not werde er noch mehr Biker aus der Gegend mobilisieren. Er wundere sich, so der Ex-Polizist weiter, wieso die Nationalgarde die kleinen Läden und Restaurants, die auf der West Florissant Avenue ausbrannten, nicht geschützt hätte, erklärte Smith, bevor seine Gruppe davon donnerte.

Bevor sich die Marschierer singend und klatschend in Bewegung setzten, kam es aber zu hitzigen Szenen. Die Anwohner machten ihre Enttäuschung über die schwarzen Bürgerrechtler deutlich. "Das ist doch alles nur Show, nehmt die vielen Journalisten wieder mit", riefen einige dem NAACP-Präsidenten zu, der von zwei Dutzend Kamerateams begleitet wurde. Ihre Anliegen und Probleme würden nicht ernst genommen, finden sie. "Diese Polit-Promis fliegen ein, kommen hier vorbei und lassen sich beim Trauern filmen und fotografieren", glaubt der Historiker Jahi Issa, der in Ferguson aufwuchs. Ähnlich sei es bei den Besuchen der Aktivisten Al Sharpton und Jesse Jackson gewesen: "Die haben sich auch keine Zeit genommen, mit den Anwohnern zu sprechen."

Tägliche Ausgangssperren zwischen 17 Uhr und 7 Uhr morgens

Zu erzählen hätten diese den schwarzen Anführern mehr als genug, denn die Wut ist weiterhin groß. Die Menschen vom Canfield Drive sind nicht nur frustriert, weil die Grand Jury ihre Aussagen, wonach Mike Brown die Hände erhoben hatte, als weniger glaubwürdig einstufte als Wilsons Version ( mehr bei der Washington Post). Sie fühlen sich in ihren Rechten noch stärker eingeschränkt als sonst.

"Ich wohne hier seit 40 Jahren und werde behandelt wie ein kleines Kind", klagt eine Anwohnerin. Sie meint die täglichen Ausgangssperren: Zurzeit riegeln Polizei und die Nationalgarde um 17 Uhr die Durchgangsstraße West Florissant Avenue komplett bis zum nächsten Morgen um sieben Uhr ab. Damit sind alle in der Siedlung gefangen, denn an den Kreuzungen stehen gepanzerte Humvee-Fahrzeuge und die Nationalgardisten tragen Maschinengewehre.

Nicht nur in Ferguson, sondern in der ganzen Region um St. Louis sind ständig bewaffnete Polizisten in Uniform zu sehen. Das Vertrauen in die Behörden wird so nicht steigen - daran ändert auch der wenig überraschende Rückzug von Darren Wilson nichts.

Linktipps:

  • "Der Rücktritt heilt keine Wunden": Ein afroamerikanischer Pastor schreibt im St. Louis American über die Entscheidung von Darrell Wilson, den Polizeidienst zu quittieren.
  • "Schmerz ist farbenblind": Ein Reporter der New York Times schreibt über seine Erlebnisse rund um den Fall Michael Brown.
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