Dänische Freistadt Christiania:Hier wachen wir

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Weg mit den Buden: Ein Christiania-Bewohner in Kopenhagen räumt einen Drogen-Verkaufsstand aus dem Weg. (Foto: Thomas Borberg / AP)

Nach einer Schießerei in der berüchtigten Kopenhagener Freistadt Christiania wehren sich die Bewohner gegen die "Pusher", die Drogendealer. Doch es sieht nicht so aus, als hätten sie damit Erfolg.

Von Silke Bigalke, Kopenhagen

Sie haben die Mauer eingerissen, hinter der sich die Dealer so gut verstecken konnten. Die Planen sind weg, die Bretterbuden auch. Eine junge Frau steht auf einer Leiter und pinselt weiße Farbe über ein Graffito an der Backsteinwand, einen roten Kreis mit einer durchgestrichenen Kamera darin. "No photo" steht darüber, auch das "No" wird übermalt. Drei Kamerateams filmen, wie sie ein rotes Herz auf die frische weiße Fläche pinselt.

Die junge Frau heißt Signe, sie wohnt auf der anderen Seite von Kopenhagens Freistadt Christiania, auf der ruhigen Seite, und sie möchte jetzt nichts Falsches sagen. "Wir nehmen uns die Straße zurück", sagt sie leise. Sie meint die Pusher Street, Christianias Drogenmarkt. Am Freitag haben die Bewohner der selbstverwalteten Kommune dort aufgeräumt. Bretter, Mauern, Zelte haben sie eingerissen, mit Baggern, Sägen, mit ihren bloßen Händen, mit ihrem ganzen Mut. "Ich habe mir vor Angst fast in die Hose gemacht", sagt Tanja Fox, die seit 45 Jahren in Christiania lebt. Sie haben sich endlich gegen die Pusher gewehrt. "Ich habe mich nur getraut, weil so viele mitgemacht haben", sagt Fox.

Keine 48 Stunden zuvor waren in Christiania Schüsse gefallen. Ein junger Mann hatte zwei Polizisten und einen Passanten angeschossen. Er war auf dem Weg aus der Freistadt raus, als die Beamten ihn aufhalten wollten. Der Täter war dänischer Staatsbürger, geboren in Bosnien, mit Kontakt zum salafistischen Netzwerk Millatu Ibrahim, erklärt die Polizei später. In Christiania erzählt man, er habe für eine der Hasch-Buden gearbeitet. Er ist geflohen, wurde gestellt, selbst angeschossen und starb im Krankenhaus. Die Terrororganisation IS behauptet nun, hinter seiner Tat zu stehen. Die Ermittler kommentieren das nicht.

Die Verantwortung jedenfalls schob man sofort der Freistadt zu. Premierminister Lars Løkke Rasmussen nannte die Tat einen Weckruf für deren Bewohner. Sie müssten nun herausfinden "ob sie ein Teil des Rechtsstaats seien wollen oder endgültig die Kriminalität wählen". Justizminister Søren Pind erklärte das "sogenannte friedliche Christiania" für gescheitert. Es müsse eine Reaktion geben von dem Teil der Gemeinschaft, der sich nicht um den illegalen Haschischhandel drehe. Vom "gewöhnlichen Christianiter".

Der gewöhnliche Christianiter, das ist eine schwierige Beschreibung. Wenn man zwei von ihnen frage, wofür Christiania stehe, bekomme man zwei verschiedene Antworten, erzählt man sich hier. Nur ein paar Grundprinzipien gelten für alle: kein Privateigentum, keine Anführer, keine Gewalt. Deshalb haben sie nach der Schießerei eine Krisensitzung einberufen und bis spät in die Nacht beraten. Heraus kam eine gemeinsame Botschaft an die Kopenhagener: "Kauft euer Haschisch woanders". Nur so, glauben sie, wird Christiania seine Probleme los, das große Drogengeschäft, die kriminellen Banden, die Gewalt.

Einige Bewohner haben sich mit Kaffeetassen und Brettspielen vor den Haupteingang gesetzt, um die Kiffer draußen zu halten. Es ist mehr ein symbolischer Akt, wie der Abriss der Haschisch-Buden. Wenn man sich umhört, glauben die meisten nicht daran, dass es lange hält. Erst im Juni hatte die Polizei während einer Razzia alle Buden abgerissen, die Pusher haben sie in kürzester Zeit wieder aufgebaut. Nun stehen sie am Rand, schauen den Bewohnern mit säuerlichen Mienen beim Aufräumen zu, drücken sich in den Cafés herum und bieten ihre Ware trotzdem an. Einer steckt eine Plane am Außenzaun fest, stellt einen Schirm in Regenbogenfarben als Stütze darunter, und fertig ist der provisorische Stand. Eine beherzte Bewohnerin reißt die Plane wieder ab. Da verkauft er unter seinem Schirm weiter.

Nicht weit entfernt sitzt Klaus Danzer auf einem Mäuerchen, Abrisspause. "Es gab von Anfang an Konflikte zwischen Pushern und Aktivisten." Er ist vor 24 Jahren als deutscher Handwerker auf Wanderschaft nach Christiania gekommen und geblieben. Sein Handwerkerverband "Axt und Kelle" nutzt hier immer noch ein Haus für Gesellen, in dem auch Danzer wohnt, das "Bananhus", Bananenhaus, das am Hang liegt. Mit den gekrümmten Wänden, den Winkeln, den vielen Fenstern und Farben sieht es verwunschen aus und gut in Schuss. "Christiania hat sich verändert, die Leute sind älter geworden, gesetzter. Manche sind ziemlich passiv", sagt Danzer.

Mit dem Drogenhandel auf der Pusher Street werden Millionen verdient

Man gewinnt den Eindruck, dass den gealterten Idealisten, den Hippies und Künstlern, Träumern, Alternativen, Kiffern, Umweltaktivisten, den "gewöhnlichen Christianitern" also, der Konflikt mit den Drogenhändlern über den Kopf gewachsen ist. 1971 waren es ein paar Anarchos, die das Militärgelände und die Baracken in Kopenhagen besetzt und die Freistadt gegründet haben. Das Verteidigungsministerium, dem das 34 Hektar große Areal gehörte, ließ sie gewähren. Seither gab es immer wieder Versuche, Christiania abzureißen, aus dem Gebiet in Bestlage Profit zu schlagen. 2011 kaufte die Gemeinschaft das Grundstück und unterschrieb Mietverträge für einige Gebäude, das Geld dafür kommt aus einem Fonds, der "Volksaktien" an Spender ausgibt. Die Hausbesetzer wurden Besitzer. Wer nun durch die Siedlung hinter der Pusher Street spaziert, mit den Gartenzäunen, Blumenbeeten und "Hier wache ich"-Schildern an den Törchen, dem kommt es hier fast spießig vor. Vieles ist alt, improvisiert und schief, aber liebevoll bemalt, bepflanzt und eingerichtet. In Christiania gibt es einen Kindergarten, eine Müllabfuhr, ein Badehaus.

Gleichzeitig werden dort Millionen mit Drogenhandel verdient, kam es um die Pusher Street immer wieder zu Gewalt, Bandenkriegen und Todesopfern. Im September 2012 bildete die Polizei eine "Task Force Pusher Street", seitdem habe sie Drogen im Wert von 255 Millionen Kronen beschlagnahmt. Auch die Task Force stand in der Kritik, im Internet kursierten Videos von prügelnden Polizisten. Drogen verkaufen ist in Dänemark illegal, in Christiania aber folgen sie ja ihren eigenen Gesetzen, hier gilt: Drogen verkaufen darf nur, wer hier wohnt. Jede Bande braucht also einen Christianiter, der für sie Cannabis und Haschisch über den Tisch reicht. Aus dem zivilen Ungehorsam der Christianiter ist so Kapitalismus geworden. "Wir sagen: Wir übernehmen nicht die Verantwortung für diesen Hasch-Markt", sagt Klaus Danzer. Aus Sicht der meisten Bewohner von Christiania gibt es nur eine Lösung: Haschisch und Cannabis müssten im restlichen Dänemark legalisiert werden.

Am Freitagabend treffen sie sich in der "Grey Hall", der größten Veranstaltungshalle in Christiania. Zur Versammlung dürfen nur Bewohner, ältere Pärchen verschwinden hinter dem Tor genauso wie Männer mit breiten Schultern und ins Gesicht gezogenen Mützen. Draußen warten Kamerateams auf ein Ergebnis, zwei Journalistinnen haben ihre eigenen Sicherheitsleute mitgebracht. Zu oft seien in Christiania Journalisten angegriffen, Kameras von den Pushern zerlegt worden, sagen sie. Jetzt bleibt alles friedlich.

Am Samstag steht Klaus Danzer auf einem kleinen Hebewagen und bringt Lampen an der Pusher Street an, darauf zumindest hat man sich geeinigt. Der Drogenhandel geht weiter, nur ohne Buden. Sie tun sich halt schwer mit Verboten.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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