Süddeutsche Zeitung

Dänemark:Dämon oder Meerjungfrau?

Die kleine Meerjungfrau ist ein Symbol des Märchenlandes Dänemark. Die Erben haben vor allem finanzielle Interessen. Nun soll eine Zeitung fast 40.000 Euro zahlen - wegen angeblicher "Dämonisierung" der Figur.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die kleine Meerjungfrau ist nicht nur eine der beliebtesten Figuren aus dem Märchenuniversum Hans Christian Andersens. Sie ist seit 1913 auch eine vom Bildhauer Edvard Eriksen geschaffene Bronzestatue, die auf einem Fels sitzend über das Wasser am Kopenhagener Hafen blickt. Gerade mal einen Meter und 25 Zentimeter groß. Zum Besuchermagneten wurde sie nach Kampagnen der Tourismusbehörden, die Dänemark in den 30er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts als romantisch-friedliche Oase in einem turbulenten Europa neu zu erfinden suchten, und die Meerjungfrau zum Symbol dieses Märchenlandes machten.

Nach dem Tode Eriksens 1959 schwang sich sich die Erbengemeinschaft des Bildhauers zu Beschützern der Skulptur und ihres Rufes auf, vornehmlich aber ihrer eigenen finanziellen Interessen. Eriksens Erben tun das im Namen des Urheberrechtes bis heute mit einer solchen Verve, dass die dänische Ausgabe von Wikipedia sich nicht einmal traut, einen Artikel zur kleinen Meerjungfrau mit einem Foto derselben zu illustrieren, stattdessen sieht man dort einen weißen Fleck.

Diese Woche hat die Klagefreude der Erben - zum wiederholten Male - die große Kopenhagener Zeitung Berlingske erwischt. Die Zeitung hatte es gewagt, im Frühjahr zwei ihrer Artikel mit der kleinen Meerjungfrau zu illustrieren. Besonders aufgestoßen ist den Erben offenbar die Illustration zu einem Beitrag auf der Meinungsseite, der sich mit der dänischen Debattenkultur, mit Rechtspopulismus und Ultranationalismus befasste. Der Zeichner hatte seiner an die Meerjungfrau angelehnten Figur eine Zombiefratze und eine zerfetzte dänische Flagge verpasst, daneben stand geschrieben "Das Böse in Dänemark".

Das Gericht verurteilte Berlingske nun wegen Verletzung des Urheberrechtes zu umgerechnet fast 40.000 Euro - dass die Geldstrafe so beispiellos hoch ausfiel, ist wohl dem politischen Kontext geschuldet. Die Illustration sei eine "Dämonisierung der kleinen Meerjungfrau", heißt es in dem Urteil. Absicht des Illustrators sei gewesen "die kleine Meerjungfrau mit politischen Botschaften, mit Rechtsextremismus und dem Bösen" in Verbindung zu setzen. Die unschuldige kleine Meerjungfrauen so unvorteilhaft zu karikieren, ist in Dänemark also untersagt.

Berlingske-Chefredakteur Tom Jensen sprach hernach von einem "Fehlurteil". Seine Zeitung habe schließlich nicht kommerziellen Vorteil aus dem Meerjungfraubild ziehen wollen, sondern es in journalistischem Kontext verwendet. "Das ist eine Grundsatzfrage", sagte er dem Sender TV2 und kündigte an, vor das Oberste Gericht zu ziehen. Der Karikaturist des Konkurrenzblattes Politiken widmete in einem Akt der Solidarität am Donnerstag seine Karikatur ebenfalls der Statue: Auf seiner Zeichnung ruht auf dem berühmten Felsen statt der Meerjungfrau (dänisch: havfrue) ein dampfender Kackhaufen. Überschrieben ist die Karikatur mit einer Anspielung auf René Magritte: "Ceci n'est pas une havfrue".

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