Auswanderer in Dänemark:Gekommen, um zu bleiben

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Simone und Einar Thorsen leben mit Tochter Ida nun dort, wo sie früher Ferien machten: in Holmsland nahe der dänischen Hafenstadt Ringkøbing. (Foto: privat)

Familie Thorsen aus Stuttgart ist während der Pandemie nach Dänemark ausgewandert - wie so viele Deutsche, die das Land nur aus dem Urlaub kannten. Über den Traum von nordischer Gemütlichkeit und die Gefahr, enttäuscht zu werden.

Von Mette Mølgaard

Ihr neues Zuhause kannte Simone Thorsen nur aus dem Urlaub. "Als Kind fuhr ich ein- oder zweimal im Jahr an die dänische Westküste", sagt die 29-Jährige, die bis vor etwas mehr als zwei Jahren noch in Stuttgart lebte. "Wir hatten sogar eine dänische Flagge im Garten stehen." Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann Einar, 40, und der kleinen Tochter Ida dort, wo sie früher Ferien machte: in Holmsland bei Ringkøbing, nur zwölf Kilometer entfernt von Søndervig, einem der schönsten und beliebtesten Strände Dänemarks.

Zur Idylle dänischer Ferienhäuser gehört auch die rot-weiße Flagge, die Dannebrog, im Garten. (Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Schon immer gehörte das nördliche Nachbarland für deutsche Auswanderer zu einem der beliebtesten Ziele, aber während der Pandemie hat sich der Trend noch einmal verstärkt. Laut dem dänischen Statistikamt, Statistics Denmark, ist die Zahl der Deutschen, die im vergangenen Jahr nach Dänemark ausgewandert sind, um fast 20 Prozent angestiegen. Dänische Medien schreiben gar von einer "Explosion" der Zahl deutscher Auswanderer.

Die Mischung aus Home-Office und Homeschooling während der Pandemie hat in Deutschland viele Familien an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Wer da einen Blick auf die Arbeitsbedingungen in Dänemark warf, geriet schnell ins Schwärmen: Flexibilität im Job ist selbstverständlich, sodass sich arbeitende Mütter und Väter besser um ihre Familie kümmern können. Dazu weniger durchschnittliche Wochenarbeitszeit und ein ordentliches Gehalt.

Statt einer 40-Stunden-Woche sei in Dänemark eine 37,5-Stunden-Woche üblich, erzählt Simone Thorsen am Telefon. Sie arbeitet dort als Erzieherin in einem Kindergarten. "Manchmal verteilt sich die Arbeitszeit sogar auf nur vier Tage." Sie und ihre Familie genießen es, jetzt mehr Freizeit zu haben als in Deutschland - und sich um ihren kleinen Bauernhof mit den vier Ferienwohnungen kümmern zu können, den sie nebenher führen.

Vor drei Jahren urlaubte das Paar zum ersten Mal gemeinsam in Dänemark, Einar Thorsen konnte sich ebenso für den Norden begeistern wie seine Frau mit ihren Kindheitserinnerungen. Noch während der Ferien fassten sie den Entschluss: Hier soll unser neuer Lebensmittelpunkt liegen. "Wir träumten von einem Bauernhof mit Tieren, wo wir vom Tourismus und Selbstversorgung leben können", sagt Simone Thorsen. In Stuttgart wäre dieser Traum für sie unbezahlbar gewesen. In Dänemark nicht.

Alles so hygge hier!

Peter Hansen berät für die Region Südjütland-Schleswig Deutsche beim Umzug und bei der Jobsuche. Er glaubt, dass sich der Trend fortsetzen wird. Hansen unterscheidet zwei Gruppen unter den deutschen Auswanderern. Die einen kommen aus dem deutsch-dänischen Grenzland und kaufen sich in Dänemark ein Haus, das nur halb so viel kostet wie in Deutschland. "Sie sprechen Dänisch und haben Verbindungen nach Dänemark, sodass es keinen großen Unterschied macht, ob sie zehn Kilometer südlich oder nördlich von Flensburg wohnen." Die andere Gruppe kenne Dänemark nur aus dem Urlaub. "Sie träumen davon, hier ein neues, entspannteres Leben zu beginnen." Es ist vor allem die dänische Gemütlichkeit, Hygge genannt, die es den potenziellen Einwanderern angetan hat. Für manche stehen auch die lockeren Corona-Regeln und die fehlende Schulpflicht im Vordergrund, Eltern dürfen ihre Kinder zu Hause unterrichten.

"Viele Deutsche sehen Dänemark als Paradies", sagt Martin Klatt, Deutschdozent an der Universität von Süddänemark. Die Pandemie, die oftmals ganze Lebensmodelle durcheinandergewirbelt hat, habe viele Menschen dazu gebracht, über ihr Dasein nachzudenken und was sie daran verändern wollen. "Für Deutsche ist es relativ einfach, nach Dänemark auszuwandern", sagt Klatt. "Viele kennen das Land aus dem Sommerurlaub." So wie die Thorsens. Genau deshalb aber bestehe das Risiko, enttäuscht zu werden.

Tatjana Rode, die in der Kommune Sønderborg die Ankunft der Einwanderer koordiniert, stimmt dem zu. "Viele Deutsche vergöttern das Leben hier sehr", sagt sie. Aber auch in Dänemark sei nicht alles perfekt. "Ich versuche, sie darauf aufmerksam zu machen, damit sie eine richtige Entscheidung treffen können."

Zu Beginn ihres Auswanderlebens habe es sich tatsächlich wie Urlaub angefühlt, sagt Simone Thorsen. "Jedes Wochenende sind wir an die Nordsee gefahren." Mittlerweile ist das Leben und Arbeiten in Dänemark für die Familie Alltag geworden. Auch wenn der beliebte Søndervig-Strand nur 15 Minuten Autofahrt entfernt ist, treibt es sie jetzt meist nur noch dorthin, wenn sie Besuch aus der Heimat haben.

Den Sonnenuntergang am Strand genießen - zum Beispiel auf der dänischen Insel Rømø. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Um die Deutschen auf das Leben in Dänemark vorzubereiten, lädt die Gemeinde Sønderborg, in der sich die meisten Auswanderer niederlassen, zu Informationstagen ein. Inzwischen sei der Andrang so groß, dass die Zeit nicht ausreiche, um mit jedem Einzelnen zu sprechen, sagt Rode. Zu den Terminen kommen je etwa 150 Teilnehmer, sie können dort alle wichtigen Themen direkt mit Schulen, Steuerbehörde, Immobilienmaklern, Banken und lokalen Unternehmen besprechen.

Die Hürden: neue Sprache, neue Währung - und alles läuft digital

Auswanderer haben aber nicht nur mit der Sprachbarriere und der neuen Währung zu kämpfen. Dänemark ist laut einer Studie der EU-Kommission auch europäischer Spitzenreiter bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das bedeutet, dass die Kommunikation mit Behörden ausschließlich über das Internet läuft, fast alle Anträge müssen online gestellt werden. Das sei, sagt Auswanderer-Berater Hansen, für viele Einwanderer überfordernd.

Familie Thorsen hat von anderen Neuankömmlingen gehört, dass sie sich in Dänemark einsam fühlen. Die drei ehemaligen Stuttgarter empfinden das nicht so. "Wir sind schnell mit den Dänen ins Gespräch gekommen", sagt Simone Thorsen, die mittlerweile die Sprache fließend spricht. "Es ist wahrscheinlich einfacher, wenn man ein Kind und Tiere hat." Die Nachbarn hätten etwa in der Anfangszeit mit Tipps für die Bewirtschaftung des Bauernhofs geholfen.

Doch auf eines war die Familie nicht vorbereitet: den Winter. "Er war lang und sehr dunkel", sagt Simone Thorsen. "Für uns war es eine wilde Zeit; wir waren so müde." In der nächsten kalten Jahreszeit wollen sie sich deshalb von den Dänen einiges abschauen: Saunabesuche und die Sonne dann genießen, wenn sie gerade scheint. Die Familie vermisst Stuttgart dennoch nicht. "Wir haben nicht vor, zurückzukehren", sagt Simone Thorsen. "Dänemark ist jetzt unser Zuhause."

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