Dänemark:Alle wollen Hygge

Dänemark: Hoch die Fahnen: Die Dänen (hier feiernde Abiturienten) liegen im "World Happiness Report" auf Platz eins.

Hoch die Fahnen: Die Dänen (hier feiernde Abiturienten) liegen im "World Happiness Report" auf Platz eins.

(Foto: imago)

Laut aktuellem "World Happiness Report" ist Dänemark schon wieder das glücklichste Land der Welt. Wie machen die Dänen das bloß? Die Antwort könnte ein Gefühl sein, für das es sogar einen eigenen Begriff gibt.

Von Bianca Hofmann

Deutschland belegt derzeit auf der Rangliste der glücklichsten Länder der Welt nur Platz 16. So steht es jedenfalls im aktuellen "World Happiness Report", der jährlich von verschiedenen Wissenschaftlern unter dem Dach der UN aus weltweiten Umfragen erstellt wird. Auch in den vergangenen Jahren krebste Deutschland auf den Plätzen jenseits der Top Ten herum, wohingegen nun schon wieder ganz vorne Dänemark steht. Dass Dänemark das glücklichste Land der Welt ist, gilt inzwischen schon als Allgemeinwissen, und da stellt sich natürlich die Frage: Wie machen die Dänen das?

Indikatoren für die Zufriedenheit sind laut Report unter anderem die Großzügigkeit, die Entscheidungsfreiheit, der soziale Zusammenhalt und die Lebenserwartung der Bürger. Und es gibt da noch etwas, das schwerer greifbar ist, aber als eine Art Geheimzutat des Glücksrezepts betrachtet wird; ein Begriff, mit dem sich nun gleich mehrere Buchautoren auseinandersetzen: "Hygge". Einer von ihnen ist Meik Wiking, Geschäftsführer des Happiness Research Institute in Kopenhagen. Er versucht in seinem vergangene Woche erschienenen Buch "The Little Book of Hygge" die dänische Lebensphilosophie zu erklären.

Im Deutschen bedeutet "Hygge" so viel wie "Gemütlichkeit" oder "Geborgenheit". Reiseblogs beschreiben Hygge als einen geselligen Abend mit guten Freunden, warmem Kerzenlicht, sanfter Musik, leckerem Essen und angenehmen Gesprächen auf einer gemütlichen Couch. Für die Dänen sei Hygge der Ausgleich zu einem stressigen Arbeitstag und die Antwort auf die dunklen, kalten Winterabende, sagt der dänische Anthropologe Jeppe Linnet, der seit etwa fünf Jahren zu Hygge forscht. In Dänemark werde Hygge aber auch im Sommer gelebt. Draußen in der Natur sein, sich mit der Familie auf eine Picknickdecke im Park lümmeln und die Vögel beobachten, oder eine gemütliche, aber ausgedehnte Radtour unternehmen - so vermarkten Tourismusseiten das dänische Lebensgefühl. Egal, ob Sommer oder Winter, immer sollte ein Gefühl von Vertrautheit, Behaglichkeit, Sicherheit und Wärme entstehen - Hygge eben.

Als No-Go für gute Laune und somit "unhyggelig" gelten dagegen Diskussionen über umstrittene Themen - insbesondere alles, was mit Politik zu tun hat. Auch der Trend, auf gluten-, zucker- und fetthaltiges Essen zu verzichten, widerspricht der dänischen Glücksphilosophie. Hygge feiert den Genuss: Es geht darum, alles hinter sich zu lassen und den Moment zu genießen. Der dänische Anthropologe Jeppe Linnet ist überzeugt: "Jeder Mensch braucht Hygge, um für sein Leben wieder Energie und Balance zu gewinnen."

Durch die Bücher und über die sozialen Netzwerke (zum Beispiel mit dem Hashtag #hygge) verbreitet sich der dänische Lebensstil inzwischen auch in Großbritannien und den USA. Hygge wird dort als eine Gegenbewegung zur modernen Schnelllebigkeit gefeiert. Der britische Guardian kommt gar zu dem Schluss: "Hygge kann bestenfalls eine Ermunterung sein, das Einfache wieder schätzen zu lernen sowie auf den Konsum teurer Marken zu verzichten und sich stattdessen wieder auf die wichtigen Beziehungen im Umfeld zu konzentrieren." Schlechtestenfalls jedoch kurbelt Hygge nur den Verkauf von Kerzen und dänischen Designerlampen an.

Linnet sieht die internationale Verbreitung der Lebensphilosophie Hygge als eine Gegenreaktion zur globalisierten Welt: "Terrorismus, Cyberkriminalität und Finanzkrisen gefährden unsere Existenz. Hygge dagegen bedeutet Rückzug ins Private, und das gibt uns Sicherheit und Geborgenheit." Das macht es auch zu einer Bewegung für Menschen, die sich mit Kuchen auf die Couch verkriechen, statt sich mit einer bedrohlichen Realität auseinanderzusetzen.

Für Nicht-Dänen, die diese dänische Lebensart verinnerlichen möchten, gibt es inzwischen schon zwei Anlaufstellen: An der School of Life in London gibt es Zufriedenheitsworkshops, die beispielsweise helfen sollen, mit Stress umzugehen oder einen Job zu finden, mit dem man glücklich wird. Das Morley College in London bietet sogar explizit im Rahmen eines Dänischkurses an, Hygge zu erlernen.

Wer Hygge in Dänemark selbst erlernen möchte, hat es dagegen nicht leicht. Denn Fremde gelten den meisten Dänen prinzipiell als eher "unhyggelig", auf die Couch jedenfalls werden sie erst einmal nicht eingeladen.

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