Cybermobbing:"Allein kommt niemand aus einer Mobbingspirale raus"

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Mobbing hat sich vom Pausenhof in die digitale Welt verlagert. Dort ist der Kreis derjenigen, die solche Herabwürdigungen mitbekommen, viel größer als früher. (Foto: Thomas Trutschel/Phototek/Imago Images)

Fast jeder fünfte junge Mensch zwischen acht und 21 Jahren ist laut einer Studie von Cybermobbing betroffen. Die Pandemie hat das Problem noch mal verschärft. Der Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer erklärt, was Eltern und Lehrkräfte tun können.

Interview von Christina Gutsmiedl

Eine verletzende Nachricht im Klassenchat posten, private Fotos einer Mitschülerin ungefragt an andere schicken oder Beleidigungen per Sprachnachricht versenden: Cybermobbing hat viele Facetten. Mittlerweile ist fast jedes fünfte Kind zwischen acht und 21 Jahren betroffen, wie eine aktuelle Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing herausgefunden hat. Als Folge von Cybermobbing leiden viele an Depressionen, Angst- oder Schlafstörungen. Da immer mehr Betroffene aus Verzweiflung zu Alkohol, Tabletten oder Drogen greifen, sprechen Experten bereits von Cybermobbing als Dauerproblem. Der Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer weiß, wie oft Eltern gar nichts davon mitbekommen, was ihre Kinder online machen, und wieso diese die Gefahren in sozialen Medien oft unterschätzen.

SZ: Cybermobbing nimmt seit der Corona-Pandemie zu. Woran liegt das?

Herbert Scheithauer: Das Leben hat sich von heute auf morgen online abgespielt, obwohl sich manche Leute noch nie mit dem Internet und sozialen Medien beschäftigt haben. Kindern und Jugendlichen fehlt oft das Wissen und die Erfahrung, was mit einer Nachricht in einem Chat oder dem Verschicken eines Fotos alles schiefgehen kann. Zusätzlich war die Pandemie sehr belastend für Kinder und Jugendliche. Konflikte wurden online ausgetragen - und eben auch Cybermobbing.

Das Mobbing hat sich also von der analogen zunehmend in die digitale Welt verlagert.

Ja. Zudem wurde es sichtbarer. Plötzlich haben alle Menschen in einem Gruppenchat mitbekommen, wenn dort eine Person ausgegrenzt oder beleidigt wurde. In der Schule haben das manchmal nur zwei, drei Personen auf dem Pausenhof gesehen, wenn jemand gemobbt wurde.

Herbert Scheithauer, 52, forscht als Entwicklungspsychologe an der Freien Universität Berlin. Dort hat er unter anderem das Projekt Medienhelden gegründet, das die Prävention von Cybermobbing fördert. (Foto: Banane-Design-Bremen/FU Berlin)

Jugendliche schicken sich auch immer öfter Nacktbilder zu und scheinen gar nicht zu wissen, dass das strafrechtliche Konsequenzen haben kann.

Häufig denken Jugendliche, es sei ein Liebesbeweis, ein Foto von sich an den Freund oder die Freundin zu schicken. Der Grund, warum das gemacht wird, ist also eigentlich ein schöner. Doch wenn das Vertrauen missbraucht wird, gibt es ein Problem: Strafrechtlich kann das dann sogar als Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten verstanden werden.

Wo liegt die Grenze zwischen Cybermobbing und Diskriminierung?

Ein unerlaubt veröffentlichtes Foto kann bereits als Cybermobbing gelten, da es jemanden nachhaltig schädigen kann. Wenn jemand aufgrund von Geschlecht, Sexualität, einer Behinderung, Nationalität oder Religion ausgeschlossen wird, sprechen wir von Diskriminierung. Die Grenzen verlaufen dabei aber fließend, denn Diskriminierung kann der Auslöser für Cybermobbing sein.

In Schulen werden Smartphones häufig aus dem Unterricht verbannt. Ist das zielführend?

Im Gegenteil. Handys sollten viel mehr in den Unterricht integriert werden. Als Werkzeug. Nur so können Kinder und Jugendliche einen sicheren Umgang mit dem Internet lernen und sich besser vor Cybermobbing schützen. Nutzungsregeln können dabei zum Beispiel gemeinsam abgesprochen werden. Und in Gruppenchats kann etwa eine aktive Moderation sinnvoll ein.

Aber selbst, wenn Regeln gemeinsam festgelegt werden, kann es zu Cybermobbing kommen.

Klar, das kann leider passieren. Erwachsene und Kinder müssen sich miteinander austauschen und reden. Allein kommt niemand aus einer Mobbingspirale raus. Und online sind Inhalte rund um die Uhr verfügbar, das verstärkt das Problem.

Wie sollten Eltern reagieren, wenn ein Kind ausgegrenzt wird?

Wenn sich Kinder Eltern oder Lehrkräften überhaupt anvertrauen, schämen sie sich häufig. Deshalb müssen Erwachsene Betroffene ernst nehmen. Das ist ein ganz wichtiges Signal. Dabei kann es helfen, wenn die Eltern sich mit der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer absprechen. Sie sollten auf keinen Fall das Problem in einer Whatsapp-Gruppe mit anderen Eltern ansprechen.

Wie kann man einem gemobbten Kind dann helfen?

Für Schulen gibt es oft keine einheitlichen Handlungskonzepte, wie beim Cybermobbing vorgegangen werden soll. Hier anzusetzen, wäre schon ein Anfang. Und Lehrkräfte sollten geschult werden. Nur so können sie frühzeitig erkennen, wenn eine Person von Ausgrenzung betroffen ist. Am wichtigsten ist es, dass Erwachsene sagen: Ich stehe an deiner Seite, das Cybermobbing hört jetzt auf. Dann erst kann man überlegen, wie man mit den Tätern umgeht.

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