Süddeutsche Zeitung

Christopher Street Day:Neue Streifen im Regenbogen

Der Christopher Steet Day feiert dieses Jahr keine "Pride Parade" - sondern diskutiert über Rassismus in der queeren Gemeinschaft.

Von Philipp Bovermann, Berlin

Der Christopher Street Day (CSD) ist endlich im Mainstream angekommen. Die "Pride Parade", mit der die queere Community jeden Sommer bunt und munter durch Berlin zieht, musste dieses Jahr wegen des Coronavirus entfallen. Deshalb ist sie ins Internet umgezogen, um per Stream für die Sichtbarkeit ihrer Lebens- und Liebesentwürfe zu werben - per "Mainstream", so nennen die Veranstalter ihn augenzwinkernd.

Den Seitenhieb gegen sich selbst, nach 51 Jahren Pride-Paraden in der wohligen Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein, konnte man durchaus programmatisch auffassen. Jasmin Senken, eines der vier Vorstandsmitglieder des Vereins, der den CSD ausrichtet und ein wichtiges Sprachrohr der queeren Community ist, gab im Verlauf der über Streaming verbreiteten Sendung ein bemerkenswertes Interview über Marginalisierte, die andere, noch stärker Marginalisierte diskriminieren. Sie sprach über Rassismus unter Schwulen, Lesben und Transsexuellen. Es ging um die "Causa Nina Queer".

Die Dragqueen Nina Queer hatte 2017 eine Meldung, derzufolge ein schwules Paar von fünf Jugendlichen mit Migrationshintergund beleidigt und geschlagen wurde, auf Facebook wie folgt kommentiert: "Sofort abschieben. Ob in Deutschland geboren oder nicht. Wer Stress haben will, für den lässt sich doch bestimmt ein tolles Kriegsgebiet finden." Die SPD feuerte Nina Queer daraufhin als Toleranzbotschafterin, in der Community fiel sie in Ungnade - aber eben nicht bei allen in der Szene. Dieses Jahr veranstaltet sie den "CSD am See", die inoffizielle Afterparty, bei der abends ein bisschen gefeiert werden soll, mit 1,5 Meter-Abstand, Hygienekonzept und Badehosencontest.

Die Community richtet den Blick nach innen

Weil die Betonung auf inofizielle Afterparty liegt, kann man dem CSD-Team nicht vorwerfen, Nina Queer eingeladen zu haben; gekommen ist der Vorwurf trotzdem, bei einer Pressekonferenz. Die von einem Journalisten geforderte Distanzierung von der Drag Queen fiel dort - laut Semkens Schilderungen - recht halbherzig aus, weshalb sie sich nun von der Rapperin Sookie interviewen ließ, um ein paar Dinge klarzustellen. Wobei: Eigentlich war es Sookie, die redete, Semken, die Interviewte, hatte recht wenige Gesprächsanteile. Die Rapperin sprach über strukturellen Rassismus und nötige Lernprozesse; sie schlug einen "rassismuskritischen Blick auf die Geschichte des CSD" vor, "einen Katalog zu machen und zu fragen, was können wir tun". Semken, die sich gegenüber der jungen Frau selbst scherzhaft als "dicke, alte Lesbe" bezeichnete, antwortete auf die Frage, ob man dem CSD dieses Jahr nicht einen Rassismusschwerpunkt hätte geben sollen: "Das wäre eine Option gewesen, da haben wir nicht dran gedacht."

Aber auch ohne offiziellen Schwerpunkt war Rassismus ein zentrales Thema des diesjährigen CSD. Der Verein um Semken empfahl eine neue Regenbogenfahne zur Verwendung, mit zwei zusätzlichen Farben: braun und schwarz - die sogenannte Philly-Fahne, die erstmals in der US-Stadt Philadelphia gezeigt wurde und auch People of Color in die queere Gemeinschaft einschließt. Ob es bei der neuen Flagge bleibt, sei noch nicht klar, sagte Semken der SZ, das müsse die Community entscheiden, sie wünsche es sich aber sehr.

Die digitale Pride Parade verlief abgesehen von der Kontroverse um Nina Queer still und kleinteilig, ganz anders als sonst. Vereine, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesen und Transgender-Personen einsetzen, stellten nacheinander ihre Arbeit vor, mit teils herzerwärmenden selbstgemachten Filmchen und in Gruppen-Interviews. Das CSD-Team hatte ein Studio in Berlin dafür eingerichtet. Musiker sangen, Filmkuratoren sprachen über queere Filme. Dazwischen viel Werbung und Beiträge, die vermutlich ebenfalls Werbung waren, aber nicht so aussehen sollten, etwa Videobotschaften des "We drive proud"-Teams von Volkswagen.

Die Debatte über queeren Rassismus überschattete ein wenig die anderen politischen Forderungen, die zu erheben der Verein traditionell den CSD als Bühne nutzt. Dieses Jahr forderten die Veranstalter im Namen der Community für sogenannte Regenbogenfamilien die rechtliche Gleichstellung mit heterosexuellen Eltern, die Abschaffung des Transsexuellengesetzes, Solidarität mit den Betroffenen in Ungarn und Polen, wo die Politik zunehmend queerfeindlich wird, außerdem mit Fridays for Future, und natürlich mit der Black Lives Matter-Bewegung.

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