"Costa Concordia"-Prozess:Was Sie vor dem Urteil gegen Kapitän Schettino wissen müssen

Captain of the Costa Concordia cruise liner Francesco Schettino arrives at court to attend his trial in Grosseto

Francesco Schettino an diesem Dienstag bei seiner Ankunft am Gericht von Grosseto.

(Foto: REUTERS)
  • Im italienischen Grosseto steht das Urteil gegen den Kapitän der havarierten Costa Concordia bevor.
  • Das Schiff war im Januar 2012 mit mehr als 4200 Menschen an Bord auf einen Felsen vor der italienischen Insel Giglio gelaufen. 32 Menschen kamen ums Leben.
  • Die Anklage fordert mehr als 26 Jahre Haft für Kapitän Francesco Schettino. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch.
  • Unter den 330 Nebenklägern befinden sich zahlreiche Deutsche, mehrere italienische Ministerien und die Ex-Geliebte des Kapitäns.

Die wichtigsten Fakten zum Prozess.

Die letzten Teile der Costa Concordia werden zurzeit im Hafen von Genua verschrottet. Bald ist nichts mehr übrig von dem Koloss, der am 13. Januar 2012 vor der italienischen Insel Giglio auf einen Felsen lief, zur Seite kippte und 32 Menschen in den Tod riss, unter ihnen zwölf Deutsche. Während das Schiff in Genua zerlegt wird, geht etwa 300 Kilometer weiter südöstlich im toskanischen Grosseto die juristische Aufarbeitung des Unglücks zu Ende. Noch in dieser Woche will das Gericht ein Urteil sprechen.

Der Angeklagte: Kapitän Francesco Schettino

Kapitän Schettino ist der Einzige, der im Zusammenhang mit der Concordia-Havarie angeklagt wurde. Vier Besatzungsmitglieder und ein Manager der Reederei Costa Crociere haben ihre Schuld ohne Prozess eingestanden und dafür mildere Haftstrafen von bis zu drei Jahren bekommen.

Schettino war seit 2002 bei Costa Crociere angestellt, zunächst als Sicherheitsoffizier, dann als Stellvertreter des Kapitäns, seit 2006 als Kapitän. Im Prozess hat der 54-jährige Vater einer erwachsenen Tochter zugegeben, am Tag der Havarie Fehler gemacht zu haben, gleichzeitig beschuldigte er seine Crew. Als sich das Unglück ereignete, befand sich Schettino nicht auf der Kommandobrücke sondern dinierte mit seiner damaligen Geliebten, der Moldauerin Domnica Cemortan. Vorwürfe, er habe Cemortan mit einem waghalsigen Manöver vor Giglio beeindrucken wollen, wies Schettino zurück.

Durch mehrere unglückliche Aussagen machte sich Schettino in der Öffentlichkeit unbeliebt. So behauptete er, das verunglückte Schiff nicht absichtlich vor den Passagieren verlassen zu haben, sondern in ein Rettungsboot gefallen zu sein. Er sprach von sich als Kommandant, der auf dem Schiff gleich nach Gott komme - und hielt an der römischen Sapienza-Universität einen Vortrag zum Thema "Panikmanagement".

Die Forderung der Staatsanwaltschaft

Die Anklage hat im Lauf des Prozesses zunehmend genervt auf Schettinos Ausflüchte, sein Zuspätkommen vor Gericht und seine Interviews reagiert, in denen er der Welt seine Sicht der Dinge erklärte. Der Kapitän wurde von den Staatsanwälten während der Schlussplädoyers als unvorsichtiger Idiot, Feigling und Lügner bezeichnet. "Gott habe Gnade mit ihm, weil wir keine haben können", drohte Staatsanwalt Stefano Pizza.

Die konkreten Vorwürfe:

  • Schettino soll aus nichtigen Gründen zu nah an die Insel Giglio herangefahren sein.
  • Nach dem Zusammenstoß mit dem Felsen soll er die Evakuierung des Schiffs viel zu spät veranlasst haben.
  • Schettino soll sich dann selbst gerettet und die Passagiere ihrem Schicksal überlassen haben.
  • Außerdem soll er sich Aufforderungen der Küstenwache widersetzt haben, auf das Schiff zurückzukehren.

Die Staatsanwaltschaft fordert deshalb 26 Jahre und drei Monate Gefängnis für Schettino - wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, fahrlässigen Herbeiführens einer Havarie, Verlassen des Schiffs und fehlender Kommunikation mit den Behörden. Außerdem verlangt die Anklage ein Berufsverbot und Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr.

Die Forderung der Verteidigung

Schettinos Anwälte sehen das anders. Sie vertreten bei Gericht die Ansicht, ihr Mandant sei zu Unrecht als Sündenbock für das Unglück abgestempelt worden. Medien und Staatsanwaltschaft hätten ihn von Beginn an als Alleinschuldigen behandelt.

Was Schettino entlasten soll:

  • Vor allem Kommunikationsprobleme mit nicht italienischsprachigen Besatzungsmitgliedern sollen zu dem Unglück geführt haben.
  • Außerdem habe es einen technischen Defekt gegeben. Der Ausfall eines Notfall-Generators habe die Evakuierung behindert.
  • Schettino sei nicht untätig herumgestanden, sondern habe versucht, die Situation zu erfassen. Es sei eine richtige Entscheidung gewesen, das Schiff nicht sofort zu evakuieren, sonst wären womöglich noch viel mehr Menschen ums Leben gekommen.

Die Verteidigung fordert einen Freispruch für den Kapitän. Das Unglück sei ein "unvorhergesehenes, außergewöhnliches und nicht absehbares" Ereignis gewesen, ein "Unfall auf dem Meer" - nicht die Schuld Schettinos.

Die Forderungen der Nebenkläger

Im Prozess gegen Schettino gibt es 330 Nebenkläger, unter ihnen Überlebende der Katastrophe, die Region Toskana und mehrere italienische Ministerien. Gefordert werden Entschädigungen in Millionenhöhe. Alleine das Umweltministerium verlangt nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Ansa knapp 223 Millionen Euro, die Überlebenden bis zu eine Million Euro pro Person.

Auch zahlreiche deutsche Überlebende und Angehörige von Opfern hoffen im Prozess gegen Kapitän Schettino auf Genugtuung. "Schettino soll zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt werden, sagen meine Mandaten. Die Länge der Haftstrafe ist ihnen egal", zitiert die Deutsche Presse Agentur den Anwalt Hans Reinhardt, der 30 Betroffene vertritt. Die Schadenersatzansprüche seiner Mandanten seien inzwischen weitgehend befriedigt, die Summen lägen im fünf- und sechsstelligen Bereich. In fünf Fällen gehe es noch um Wertsachen, die auf dem Schiff zurückgeblieben seien. Die Reederei ist für einen Großteil der Entschädigungszahlungen aufgekommen.

Auch die ehemalige Geliebte Schettinos verlangt Schadenersatz. Domnica Cemortan habe als Passagierin auf dem Kreuzfahrtschiff und wegen der "Aggressivität der Medien" nach der Havarie gleich doppelten Schaden erlitten, sagen ihre Anwälte - und fordern 200 000 Euro.

Wie es weitergeht

Noch ist vollkommen unklar, wie das Gericht in Grosseto entscheiden wird. Wird Schettino verurteilt, kann er in Berufung gehen. Dann wird es womöglich noch lange dauern, bis es zu einem endgültigen Urteil kommt - und der Kapitän könnte noch eine ganze Weile auf freiem Fuß bleiben. Der Kapitänhat angekündigt, nach der Urteilsverlesung das Wort ergreifen zu wollen.

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