Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Spanien:Katastrophale Zustände in spanischen Altenheimen

Die Leichen von am Coronavirus verstorbenen Menschen bleiben dort länger in den Betten liegen als üblich. Die Heime sind nicht auf die Krise vorbereitet.

Von Thomas Urban, Madrid

In vielen Altenheimen in Spanien herrschen katastrophale Zustände. Die Meldung, eine Militäreinheit habe bei der Desinfektion von Altenheimen Tote entdeckt, die dort offenbar schon mehrere Tage in ihren Betten gelegen hätten, stellte sich zwar als übertrieben heraus. Doch schon in der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass in einem privat geführten Heim in Madrid innerhalb weniger Tage mehr als 20 der Bewohner an den Folgen der Ansteckung durch den Coronavirus gestorben seien. Das Heim wurde geschlossen, die Bewohner auf andere Einrichtungen verteilt oder in Krankenhäuser gebracht. Bei insgesamt 75 Personen, Senioren wie Pflegepersonal, sei das Virus festgestellt worden.

Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robels hatte zunächst die Öffentlichkeit mit dem Satz unterrichtet: "Die Armee hat gesehen, wie alte Männer und Frauen verlassen oder vielleicht sogar tot in ihren Betten lagen. Wir werden unerbittlich und hart gegen solche Dinge vorgehen." Genaueres werde man später mitteilen. Die ABC-Schutztruppe des spanischen Heeres hat am Wochenende begonnen, Altenheime zu desinfizieren.

Dieser Satz der Ministerin machte Karriere auch in den internationalen Medien, so als habe sie erklärt, unrettbar Kranke vegetierten neben vermodernden Leichen dem Tod entgegen. Altenpfleger, die in den Medien zu Wort kamen, hatten eine Erklärung für die Aussage der Ministerin: In der Tat blieben in manchen Heimen die Toten länger als üblich in den Betten liegen, weil ihr Abtransport durch Bestattungsunternehmen nicht mehr reibungslos funktioniere. "Heime verfügen nicht über eigene Leichenhallen", sagte ein Pfleger. Doch sei es eine Selbstverständlichkeit, dass nach jedem Todesfall der gesamte Raum desinfiziert werde, dies verlangten die Vorschriften.

Die Meldungen über die Altenheime werfen indes ein Schlaglicht auf das gesamte öffentliche Gesundheitssystem, das aus Steuermitteln finanziert wird. Während der Boomjahre vor dem Platzen einer gigantischen Immobilienblase vor zwölf Jahren wurde es immer mehr ausgebaut. Private Altenheime kamen in den Genuss von Steuerprivilegien, so dass ein lukrativer Markt für Investoren entstand. In der spanischen Wirtschaftskrise wurden diese Privilegien gestrichen, in der Folge sparten die Betreiber am Pflegepersonal. Auch wurde die ärztliche Betreuung ausgedünnt; für das nun geschlossene Heim in Madrid mit mehr als 100 Einwohnern, die meisten von ihnen auf Hilfe angewiesen, stand eine einzige Ärztin zur Verfügung.

In der Coronakrise stellte sich heraus, dass die Seniorenheime in keiner Weise auf eine Epidemie vorbereitet sind. Aus vielen Orten wird berichtet, dass das Personal weder über Schutzkleidung noch Mundschutz verfügt, die sogar in den Krankenhäusern Mangelware geworden sind. "Viele der Kolleginnen und Kollegen haben sich infiziert und müssen nun zu Hause bleiben", klagte ein Pfleger im privaten Fernsehsender La Sexta. "Wir fühlen uns von den Gesundheitsämtern völlig im Stich gelassen." So würden in der Tat viele hilflose Alte nicht in der Weise versorgt, wie es sein müsste. Die Ambulanzen würden gar keine Krankenwagen mehr losschicken, wenn als Adresse ein Seniorenheim genannt wird.

Aus allen Ecken des Landes kommen Berichte über die Überforderung der Altenpfleger und über die rapide Zunahme von Todesfällen in den Heimen. Die Tageszeitung El País titelte: "Residenzen werden zu Leichenhallen". Für Angehörige ist besonders bitter, dass sie nicht zu ihren erkrankten Eltern oder Großeltern vorgelassen werden - Besuche sind grundsätzlich untersagt. "Sie lassen sie allein sterben", beklagte sich eine Frau, die ihre 85-jährige Mutter aus dem Heim holen wollte, aber abgewiesen wurde. Zur Beerdigung sind nur die engsten Angehörigen zugelassen. Die Behörden empfehlen, der Beisetzung ganz fern zu bleiben. Madrider Bestattungsunternehmer bieten an, den letzten Gang der Verstorbenen online zu übertragen.

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