Foto vom Viktualienmarkt:Das merkwürdige Verhalten weinseliger Großstädter zur Corona-Zeit

Foto vom Viktualienmarkt: Wie unser Autor feststellen musste, haben sich die Menschen auf dem Viktualienmarkt am Samstag so verhalten, als gäbe es derzeit keine Pandemie.

Wie unser Autor feststellen musste, haben sich die Menschen auf dem Viktualienmarkt am Samstag so verhalten, als gäbe es derzeit keine Pandemie.

(Foto: Max Sprick)

Spanien und Italien stehen quasi still, die Kanzlerin fordert Kontaktverzicht - und was tun die Menschen in München auf dem Viktualienmarkt? Sie prosten, trinken, lachen, als gäbe es keine Epidemie.

Von Max Sprick

Samstagnachmittag in München, die Frühjahrssonne strahlt auf den Viktualienmarkt, wie gefühlt seit dem Ausleuchten auf der Wiesn überhaupt gar nichts mehr gestrahlt hat. Es könnte einer dieser Münchner Bilderbuch-Samstage sein, an denen vor dem Fisch-Witte-Bistro, an einem der zentralen Durchgänge des Viktualienmarkts, Menschen zu sehen sind, die ein Kollege einst beschrieb als "Champagnerrunden, die das Stadtmuseum, wollte es seinem Bildungsauftrag gerecht werden, sofort in die Dauerausstellung 'Typisch München' verpflanzen müsste". Oder, wie es die Betreiber des Standls selbst auf ihrer Homepage formulieren: bei ihnen könne man "leben wie Gott in Bayern".

Dieser Gott aber müsste an diesem Samstag eigentlich einsam leben, sogar in Bayern. Am Tag zuvor hat die Landesregierung verkündet, alle Schulen und Kitas zu schließen, öffentliche Veranstaltungen wurden abgesagt; am Tag danach wird bekannt werden, dass in Bayern der Katastrophenfall bevorsteht. Covid-19, das Coronavirus, hält die Welt in Atem. Italien und Spanien stehen quasi still. Vor ein paar Tagen hatte auch in Deutschland die Kanzlerin die Menschen dazu aufgerufen, "Solidarität zu zeigen, indem sie Abstand zueinander halten - eine scheinbar paradoxe Sache, die aber heute notwendig ist". Aber die Merkel, ja mei, die sitzt halt in Berlin.

An diesem Samstag stehen die Menschen also am Viktualienmarkt wie an jedem Samstag. Sie prosten, trinken, lachen. Mit vollen Gläsern. Ohne Abstand. Fast möchte man ihnen jene legendäre Weisheit des Lyrikers Eugen Roth zugestehen: "Vom Ernst des Lebens halb verschont, ist der schon, der in München wohnt."

Zwar wird überall davon abgeraten, aber von niemandem explizit verboten

Nur dass dieser Ernst keinen Bogen um München macht. Schon gar nicht um diesen Durchgang am Viktualienmarkt, obwohl er sich einen Bogen suchen müsste, weil er als reale Person kaum durchkäme. Der Weg steht voller größtenteils junger Menschen, die offenbar nicht bereit sind, auf ihren üblichen Lebensstil zu verzichten, wenn von diesem zwar überall abgeraten, er aber ja von niemandem explizit verboten wird.

Man kommt am Durchgang vorbei, auf dem Rückweg von einem Sonnenspaziergang mit korrektem Abstand, will noch den Kumpel verabschieden, der genau dort wohnt, und hebt das Smartphone in die Luft über die Masse an Menschen, um das wirklich paradoxe Geschehen festzuhalten. Später postet eine Kollegin das entstandene Foto auf Twitter, es geht sofort viral und wird tausendfach kommentiert, vor allem mit Verweisen auf die Unverantwortlichkeit des zu sehenden Verhaltens. Im Glockenbachviertel und im Englischen Garten soll es genauso zugegangen sein. In Berlin, wo zuvor Clubs und Bars hatten schließen müssen, fanden als Konsequenz private Partys statt. In Köln auch, sogenannte "Corona-Partys".

Diese zu unterlassen, fordert am Montag Lars Schaade, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts: "Bleiben Sie möglichst zu Hause und schränken Sie Ihr Gesellschaftsleben so weit wie möglich ein." Bis aus dieser Forderung aber ein offizielles Verbot und damit auch eine konsequente Umsetzung am Viktualienmarkt, in Berlin oder in Köln folgt, dürfte gelten, was einer zum Foto von Fisch Witte schrieb: "Auf der #Titanic wurde auch bis zum Schluss Musik gespielt ..."

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