Rückholaktion für Deutsche im Ausland:Zustände wie auf der Arche Noah

Coronavirus - Rückholaktion aus Manila

Mehr als 300 Deutsche erwarten auf dem Flughafen Ninoy Aquino auf den Philippinen einen Lufthansa-Flug, der von der deutschen Botschaft gechartert wurde.

(Foto: dpa)
  • Im Auswärtigen Amt koordinieren 50 Mitarbeiter des Krisenreaktionsteams die angesichts der Corona-Krise aufgelegte Rückholaktion für deutsche Urlauber.
  • Teils drakonisch durchgesetzte Ausgangssperren erschweren das Projekt.

Von Daniel Brössler, Berlin

Tim Schmeinck hat Angst. Draußen, in den Straßen der peruanischen Stadt Cusco, patrouillieren Militär und Polizei. Es herrscht Ausgangssperre. Drinnen, in einem kleinen Appartement, harrt der 18-Jährige aus Mülheim in Nordrhein-Westfalen aus, versorgt mit dem Notwendigen, auch mit Lebensmitteln, aber die Situation sei "sehr bedrückend, da man nicht rausgehen kann", schreibt er per Whatsapp. Außerdem zehre "die Ungewissheit sehr an den Nerven, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, wann und wie es von hier weitergeht". Nach Lima, von wo aus schon zwei Maschinen der deutschen Luftbrücke gestartet sind, sind es von Cusco, der alten Inka-Hauptstadt im peruanischen Andenhochland, 1100 Kilometer. Unerreichbar, angesichts gekappter Bus- und Flugverbindungen.

Wie Schmeinck ergeht es in diesen Tagen Tausenden deutschen Touristen - ob in Peru, Mexiko, Marokko, Indonesien, Neuseeland oder Indien. In der weltweiten Corona-Krise haben sich Urlaubsorte in Festungen verwandelt. Oft ist der Weg nach Hause abgeschnitten. So sah es auch für Tim Schmeink aus, bis eine E-Mail aus Lima kam. Der deutsche Botschafter Stefan Herzberg teilt darin den "lieben Landsleuten" mit, dass für den 31. März zwei Flüge von Cusco nach Santiago de Chile mit Anschlussflug nach Deutschland organisiert seien. Wer sich anmelde, solle dann auch erscheinen, mahnt Herzberg. Auf den bisherigen Flügen habe es ärgerlicherweise leere Plätze gegeben. "Mit Verlaub gesagt: Das Rückholprogramm der Bundesregierung ist kein Wunschkonzert", schreibt der Diplomat.

Die Nerven liegen blank. Nicht nur in Lima, sondern an Botschaften weltweit. Rund um den Globus sind Auslandsvertretungen mittlerweile hauptsächlich damit beschäftigt, Deutsche unter widrigsten Umständen nach Hause zu expedieren. 160 000 Urlauber sind mit der Luftbrücke des Auswärtigen Amtes nach Deutschland geholt worden, seit Außenminister Heiko Maas am 17. März ihren Start verkündet hat. 40 000 harren noch in aller Welt aus. Die meisten von ihnen, auch jene aus weit entfernten Gegenden wie Australien und Neuseeland, sollen bis Ende kommender Woche in Deutschland sein, aber es wird immer schwieriger.

Coronavirus - Maas im Krisenzentrum Auswärtiges Amt

Heiko Maas (1. von links an der Wand) verantwortet die Luftbrücke, die vom Krisenreaktionsteam im Auswärtigen Amt koordiniert wird.

(Foto: Thomas Köhler/dpa)

"Wir versuchen, Sonderregelungen zu finden, die den Ländern weder politisch noch faktisch Probleme bereiten", sagt Till Knorn, der sich in normalen Zeiten auf den Reisen von Bundeskanzlerin Angela Merkel ums Protokoll kümmert, was sich derzeit erübrigt, da die Kanzlerin nicht reist.

Der Protokollbeamte verstärkt nun als Leiter der Rückholaktion das Krisenreaktionsteam und hat dabei seine halbe Abteilung mitgebracht. 50 Mitarbeiter koordinieren eine "logistische Herausforderung", die Knorn "beispiellos" nennt. Hinzu kamen erhebliche technische Probleme. Die elektronische Krisenvorsorgeliste Elefand war nicht ausgelegt auf den Ansturm und brach so gut wie zusammen. Fast über Nacht musste sie ersetzt werden durch die neue Plattform rueckholprogramm.de.

Der Diplomat Knorn ist katastrophenerprobt, er war 2004 nach dem Tsunami in Thailand im Einsatz und hatte 2011 als Vizechef der Krisenreaktionsabteilung mit den Folgen des Tsunamis in Japan und der Atomkatastrophe von Fukushima zu tun. Nun gehe es darum, sagt er, "gleichzeitig in irgendeiner Weise in fast allen Ländern der Welt" zu agieren.

Und das unter Umständen, die auch erfahrene Diplomaten an die Grenzen bringen. In Indien etwa, wo teils drakonisch durchgesetzte Ausgangssperren die Rückholaktionen aus den verschiedenen Teilen des riesigen Landes erschwert. "Es ist uns nun tatsächlich gelungen, trotz des Lockdowns zwei große A380-Lufthansa-Evakuierungsflüge von Indien nach Deutschland zurückzuschicken mit tausend gestrandeten Touristen", verkündete erschöpft der deutsche Botschafter in Neu-Delhi, Walter Lindner, am Freitag in einem Video auf Twitter. Im ganzen Land gebe es aber noch etliche Deutsche, die festsitzen. Man arbeite nun "intensiv daran, möglichst viele von ihnen nach Deutschland zurückzubringen".

Verzweifelt suchte die Familie in einem Fußmarsch am Strand nach einer neuen Bleibe

Dabei gebe es, räumt er ein, "nicht eben wenige" Herausforderungen: "Ausgangssperre, Verkehrsmittel gibt es nicht mehr, Restaurants und Hotels schließen, Geld, Versorgung... Und die Befürchtung natürlich, sich mit dem Virus anzustecken."

Rückholaktion für Deutsche im Ausland: Hilfegesuche deutscher Touristen aus dem Ausland

Hilfegesuche deutscher Touristen aus dem Ausland

(Foto: change.org)

Tatsächlich beschreibt das die teils verzweifelte Lage etlicher Touristen in unterschiedlichsten Weltgegenden. Die Münchnerin Anja Shahinniya hat in Mexiko erlebt, wie innerhalb kürzester Zeit der Bilderbuchurlaub mit ihrem Mann, ihrem fünfjährigen Sohn und dem sieben Monate alten Säugling zum Horrortrip mutierte. Die Ausgangssperre ereilte die Familie in Celestún, einem Fischerdorf im Norden der Halbinsel Yucatán. "Innerhalb von 24 Stunden wurde der Ort dicht gemacht", erzählt sie. Das Hotel schloss auf Anordnung der Behörden. Verzweifelt suchte die Familie in einem Fußmarsch am Strand nach einer neuen Bleibe. Hinzu kam die Sorge, kein Milchpulver für das Baby mehr zu bekommen. "Wir haben uns gefühlt wie Maria und Josef", sagt die Münchnerin.

Als die Familie "völlig aufgelöst" wieder ins Hotel zurückkehrte, brachte es die Besitzerin nicht übers Herz, die Deutschen auf die Straße zu setzen. Als letzte Gäste durften die Münchner zusammen mit den Sicherheitsleuten in der Herberge ausharren. "Von der Security bekamen wir auch zu essen", sagt Anja Shahinniya. Weil die Münchner auf eigene Faust mit dem Mietwagen unterwegs waren, gab es auch keinen Reiseveranstalter, an den sie sich hätten wenden könnten. Tage ohne Aussicht auf ein Rückflugticket oder Nachricht vom Auswärtigen Amt, auf dessen Krisenvorsorgeliste sie sich eingetragen hatten. Mit Hilfe des Schwagers in Deutschland gelang es der Familie dann doch noch, Rückflugtickets von Air Canada zu organisieren - in einer hoffnungslos überbuchten Maschine, aus der Einzelne vor Abflug wieder herausgeholt wurden. Sie habe sich, sagt Anja Shahinniya, gefühlt wie auf der "Arche Noah".

Ayesha Khan, 35 Jahre alt und freie Autorin in Frankfurt am Main, bangt um zwei Tanten, einen Onkel und ihre beste Freundin, die sich Pakistan befinden. "Es ist Urlaubssaison und Hochzeitszeit in Pakistan", sagt sie. Geschätzt 200 bis 300 deutsche Staatsbürger oder Menschen mit Aufenthaltsrecht in Deutschland sind während einer Pakistan-Reise gestrandet. Eine Heimholung im Rahmen der Luftbrücke ist aber bisher nicht geplant, weshalb Khan eine Online-Petition unter dem Hashtag #HoltSieheim gestartet hat - gerichtet an Bundeskanzlerin Merkel, Außenminister Maas und den Botschafter in Islamabad. "Wir bitten Sie, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um diese Menschen zurückzuholen. Ein vom AA organisierter Rückflug aus Pakistan ist ihre einzige Hoffnung und mit jedem Tag, der verstreicht, wird es gefährlicher", klagt sie.

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Khan führt eine Liste mit Betroffenen. Viele Kranke seien darauf, auch eine Frau, die im fünften Monat schwanger sei. Hinzu komme, dass Pakistan nicht für die Corona-Pandemie gerüstet sei. "Wir sind enttäuscht vom Auswärtigen Amt und von der Botschaft", sagt Khan. Es handele sich nicht um "Luxusurlauber", sondern um Menschen, die jahrelang auf einen Familienurlaub gespart hätten. Bei den Betroffenen komme es "so an, dass man sich weniger um sie kümmert". Auch der Fälle in Pakistan wolle man sich annehmen, ist im Auswärtigen Amt zu hören. Wann und wie ist allerdings noch nicht klar.

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