Süddeutsche Zeitung

Kunst in der Quarantäne:Madonna mit Hund

Ja, in Corona-Zeiten könnte man natürlich auch mal sein Lieblingsgemälde bei sich zu Hause nachstellen und fotografieren. Das hat zumindest gerade das Getty-Museum in Los Angeles vorgeschlagen.

Von Martin Zips

Auch noch im Stillstand gibt es Bewegung, schließlich besteht der menschliche Geist aus "Aktualität" und "Tathaftigkeit" (Kierkegaard). Und das führt mitunter zu amüsanten Ergebnissen, wie gerade eine Aktion des J.-Paul-Getty-Museums in Los Angeles beweist.

In Zeiten geschlossener Ausstellungsräume sind Kunstinteressierten dazu aufgefordert, ihre Lieblingsgemälde in heimischer Corona-Isolation nachzustellen. Mit Hilfe von Utensilien aus Küche, Bad und Garderobe. Menschen sind ja immer dankbar, wenn sie was zu tun bekommen. Alles andere halten sie nicht aus. Also wird jetzt fleißig persifliert - und fotografiert.

Eine Hundebesitzerin beispielsweise wagte sich an "Madonna mit Kind" des namenlosen Meisters der Heiligen Cäcilie aus dem 13. Jahrhundert (allerdings nahm sie ihren Hund statt eines Jesus-Babys). Jemand anderes arrangierte William Turners "Modernes Rom" neu, jedoch mit Rotweinflaschen und kleinen Simpsons-Figuren.

Alkoholismus ist bekanntlich ein großes Problem, besonders in Virus-Zeiten. Und so blieb auch Albrecht Dürers "Hirschkäfer" aus dem Jahr 1505 eine Neuinterpretation als groteskes Kordeltier nicht erspart. Dank gerade noch ergatterter Supermarkt-Artikel wurden berühmte Stillleben mit Konservendosen sowie vakuumiertem Käse neu konzipiert, wurde moderne Malerei mit Toilettenpapier nachgelegt.

In Wahrheit reagiert das Getty-Museum mit der Aktion lediglich auf die (geniale) Instagram-Seite einer amerikanischen WG aus "vier Zimmernachbarn, die Kunst mögen und auf unbestimmte Zeit unter Quarantäne gestellt sind". Unter dem Titel "Covid Classics" zeigen sich hier ein paar neue alte Meister, zum Beispiel als Farmer und Frau aus dem Bild "American Gothic" von Grant Wood. Sie inszenieren "Whistler´s Mother" von James McNeill Whistler mit viel Fantasie und offenbar gut gefüllten Kleiderschränken.

Früher waren lebende Bilder Bestandteil bourgeoiser Partys

Und sogar den grünen Apfel, der in René Magrittes "Der Sohn des Mannes" vor dem Melonen-Menschen schwebt, kriegen sie ohne technische Tricks hin. Fast unsichtbar wird der Apfel auf einem Löffel im Mund balanciert. Besonders großartig aber ist Goyas "Saturn verschlingt eines seiner Kinder" aus dem Prado in Madrid. Neu dargestellt von einem Perückenträger in Unterhose, der mit aufgerissenen Augen in eine vergilbte Babypuppe beißt.

Und so lebt sie fort, die Tradition des "Tableau vivant", des lebenden Bildes aus dem 18. Jahrhundert: Damit soll dessen Erfinderin Madame de Genlis, Erzieherin am Hof des Herzogs von Orléans, zunächst Kinder unterhalten haben. Später wurden lebende Bilder zum festen Bestandteil bourgeoiser Partys in ganz Europa.

Wer also spontan den Drang in sich verspürt, in seiner Wohngemeinschaft Rubens "Raub der Töchter des Leukippos" nachzustellen oder neben dem Gummibaum als Michelangelos "David" zu posieren: überhaupt kein Problem! Nackte wurden in lebendigen Bildern seit jeher geduldet. Sie durften sich nur nicht bewegen.

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