SZ-Kolumne "Alles Gute":Vier Grüppchen auf dem Friedhof

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(Foto: Steffen Mackert)

Eine Beerdigung in diesen Tagen: Wie soll das gehen? Anders als sonst. Am Ende entsteht sogar ein schöner Moment, den es sonst vielleicht nicht gegeben hätte.

Von Wolfgang Janisch

Als vor sechs Jahren der Vater starb, wurde man aufgefangen in einem Netz aus tröstlichen Ritualen. Der Rosenkranz, den man in der winzigen Kapelle gebetet hat, dicht an dicht mit den Dorfleuten: Ein murmelnder Fluss des Trostes. Die Trauerfeier in St. Peter und Paul: Viele, sehr viele Bänke waren besetzt, und am Grab bildete sich die lange Reihe der Kondolierenden. Inniges Händeschütteln, herzliche Umarmungen. Hinterher saß man beim Keller im Wirtshaus, erzählte von früher und konnte schon wieder ein wenig lachen.

Nun ist auch die Mutter gestorben. Und in die Trauer und die Tränen über ihren Tod mischte sich bald der Gedanke: Wie soll das gehen, eine Beerdigung in solchen Zeiten? Der Pfarrer sagte, nicht mehr als zehn Personen dürfen zum Friedhof kommen, Verordnung des baden-württembergischen Kultusministeriums. Er sagte aber auch, keiner wird weggeschickt. Auf dem Gottesacker hat die Kirche das Sagen, sollte das heißen. Aber wo sollte man danach hin? Zum Keller? Geschlossen. Zum Bruder nach Hause? Auch in unserem Kreis war das Virus präsent. Einer kam gerade aus der Quarantäne, eine andere hat kürzlich ihre Schwester getroffen, die hinterher erst positiv, dann negativ getestet worden ist. Und eine der Älteren in der Runde hatte es auf der Lunge. Keine gute Idee, noch zwei Stündchen in der engen Stube zusammenzusitzen.

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Es kamen also vier Geschwister, drei Ehepartner, mehrere Kinder - zehn Personen, wenn man christlich rechnet. Eine saß noch in Neuseeland fest und wartete auf Heiko Maas. Sargträger gab es nicht, wir hoben den Sarg selbst aufs Grab. Die Gemeindereferentin verhaspelte sich mit den biografischen Fakten. Die Kerze wollte nicht brennen. Wir beteten Fürbitten und ein Vaterunser, traten vor das offene Grab für einen letzten Abschied.

Und doch war es sehr schön. Der Schwager pflanzte den Notenständer ins Gras, zog die Jacke aus und spielte auf der Geige wärmende, kraftvolle Melodien im sehr kalten Nordostwind. Und wie wir da standen mit kalten Füßen, immer zwei Meter Abstand zwischen den Grüppchen, wurde sichtbar, was man im großen Beerdigungsrummel vielleicht übersehen hätte: Nun kommt es auf uns an, jetzt, da die Eltern nicht mehr da sind. Darauf, dass die Familie zusammenhält. Dass wir nicht wieder so viel Zeit verstreichen lassen bis zum nächsten Treffen, bei dem wir die Eltern in unseren Erinnerungen weiterleben lassen. Ist es nicht das, was bleibt: das gemeinsame Erinnern? Es sind diese vier Grüppchen auf dem kalten Friedhof, die es fortan pflegen wie die Blumen auf dem Grab.

Nachher standen wir auf dem Parkplatz zusammen, aßen die Brote, die wir eingepackt hatten, und tranken heißen Tee. Dann nickten wir uns zu, winkten und fuhren nach Hause.

In jeder Krise passiert auch Gutes, selbst wenn man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann. In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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