Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Alles Gute":Die Neuentdeckung des Gartens

Für viele war der Rasen hinter dem Haus bislang eine Selbstverständlichkeit im Alltag. In der Corona-Krise bekommen Unkrautzupfen und das Lustwandeln zur Komposttonne eine neue Bedeutung.

Von Dominik Prantl

Unser Garten ist nicht gerade groß, und nach Vor-Corona-Maßstäben ist er auch nichts Besonderes. Es steht dort ein Gerüst für Kinderschaukeln, der Rasen ist in weiten Teilen ein Fleckerlteppich aus Gras und Löwenzahn und kahlen Flächen; nicht einmal Gartenzwerge gibt es. Der Garten war bislang einfach irgendwie nur da, eine wenig beachtete Selbstverständlichkeit des Alltags draußen, am Stadtrand. Auch blieb einem der Eifer mancher Mitmenschen für ihre privaten Grünanlagen stets ein Rätsel. Kakteen vertrockneten, Tulpen und Narzissen senkten beim Anblick des Hausherrn ängstlich die Köpfe. Wieso die Zeit im eigenen Hinterhof verschwenden, wenn einem die Welt mit ihren unbeschränkten Möglichkeiten offensteht?

Seit diese Möglichkeiten nicht mehr ganz so unbeschränkt erscheinen, sehen wir den Garten mit neuen Augen - und zwar alleine deshalb, weil man ihn selbstverständlich als eine Art Parabel für die Welt da draußen verstehen muss. Er ist das Biotop für einige zarte Pflänzchen, die unsere Tochter neulich gesetzt hat. An einem prominenten Platz macht sich ein extrem dominanter Strauch mit vielen Stacheln recht wichtig. Eher am Rande gedeihen so nützliche Gewächse wie Him- und Johannisbeeren, die leider von ein paar tyrannischen Ackerwinden umrankt werden. Zudem nutzen jetzt immer öfter Rotkehlchen und Kohlmeisen die unscheinbaren Büsche für einen Stopover, nachdem die Nachbarin die vergangenen Tage genutzt hat, um ihren wunderbaren Buschbestand, einst Landeplatz für Vögel, zu roden.

Man tut eben jetzt, was man nie zu tun gedachte, wenn man das unschätzbare und zugegebenermaßen auch unverschämt elitäre Glück hat, so ein Fleckchen Grünfläche vor der Haustür zu entdecken: Lustwandeln zur Komposttonne, zum Beispiel. Bald werden Rasensamen auf den braunen Narben ausgesät. Weil all die Dehners und Obis als angeblich nicht versorgungsrelevante Läden schließen mussten, haben wir beim lokalen Pflanzenspezialisten einen langlebigen Olivenbaum bestellt. Und das Kräuterbeet, welches jahrelang ein Dasein als vegetationsgeografisches Versuchslabor (irgendwas zwischen korsischer Macchie und afrikanischer Feuchtsavanne) fristete, ist schon längst vom Unkraut befreit. Leider haben es nun die Katzen der Umgebung als Klo entdeckt. Aber das darf man im Moment nicht so eng sehen.

In jeder Krise passiert auch Gutes, selbst wenn man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann. In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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