Süddeutsche Zeitung

Corona-Yoga:Jedem seine Bubble

Gemeinsam einsam: Im kanadischen Toronto kann man jetzt Yoga in seiner eigenen Plexiglas-Blase praktizieren. Das wirkt wie eine Visualisierung der Gesellschaft.

Von Mareen Linnartz

Eine Frau im pinken Dress praktiziert Yoga unter einer Art gläsernem Gewölbe, die Übung, die sie da gerade macht, ist der "nach unten schauende Hund" und sie soll entspannen. Die durchsichtigen Übungsräume hat ein Yoga-Studio im kanadischen Toronto am vergangenen Wochenende passend zum "International Yoga Day" in der Nähe eines Parks aufbauen lassen, 50 Stück, zwei Meter hoch, drei Meter Durchmesser.

Das wirkt wie eine Visualisierung der Gesellschaft, in der ja inzwischen jeder in seiner eigenen Filterblase unterwegs sein soll: 50 Menschen in 50 "Bubbles", also Blasen, alle an einem Ort, am Ende aber jeder für sich. Nicht weniger versprechen die Initiatoren: "Du bekommst deine eigene Kuppel nur für dich alleine und hast weniger Kontakte, als wenn du in einem Park oder Supermarkt unterwegs wärst."

Portion Wirklichkeit ohne nervige Großstadtgeräusche

Diese Konstruktion ist eine folgerichtige Entwicklung nach monatelangen Yoga-Sessions auf der heimischen Matte vor Bildschirmen mit schlechter Übertragungsqualität. Man kann ja jetzt wieder ein bisschen hinaus in diese Welt, die sich so verändert hat und so viel unsicherer geworden ist - aber dank dieser Privat-Blase mit Kontakten, die wohldosiert sind, und mit Plexiglaswänden, die alles filtern.

Wer unter der Kuppel seine Muskeln dehnt und tief durchatmet, erlebt eine Welt ohne Störfaktoren und bleibt unbehelligt von Park- oder gar anderen Supermarktbesuchern. Statt der ewig gleichen vier Wände um einen herum gibt's aber wenigstens zur Abwechslung mit ein bisschen Glück blauen Himmel, Sonnenschein, Schwärme von Vögeln in der Ferne, also eine Portion Wirklichkeit, nur ohne nervige Großstadtgeräusche und irritierenden Gestank. Die angebotenen Stunden würden, verkündet der Veranstalter, auf den vier Elementen "Erde, Wasser, Luft und Feuer" basieren. Die Kuppel werde selbstverständlich nach jeder Stunde einmal desinfiziert.

"Hot yoga" bei 37 Grad

Wenn man mal die wolkigen Worte und die leichte Architektur der gläsernen Kuppeln beiseiteschiebt, kommen plötzlich ganz andere Gedanken: Pflasterte nicht der frühere albanische Diktator Enver Hoxha sein Land mit annähernd 200 000 betongrauen Bunkern, um sein Land vor einer Invasion zu schützen? Hatten die nicht irgendwie eine ähnliche Form? (Heute kann man sie übrigens zum Teil über Airbnb buchen.) Und muss es durch die gläserne Aufmachung, die an ein Gewächshaus erinnert, darin nicht irre heiß werden, wenn die Sonne scheint? Nach einer Erde-, Wasser-, Luft- und Feuer-Einheit, mit Sonnengruß, Krieger und abschließendem Kopfstand? Ja, wird es, aber selbst das mit Kalkül. Man praktiziere hier bis 31. Juli "hot yoga", die Temperatur werde deswegen konstant um die 37 Grad gehalten.

37 Grad? Das ist, in etwa, die Körpertemperatur eines Menschen. Und das ist auch die Temperatur des Fruchtwassers, in dem er, bevor er auf die Welt kommt, im Mutterleib liegt. In der, genau: Frucht-Blase.

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SZ/marli/ick
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