Süddeutsche Zeitung

Frisuren im Lockdown:Lass dein Haar herunter!

Lesezeit: 4 min

Irgendwann müssen die wilden Mähnen doch gezähmt werden, aber die Friseurläden sind immer noch geschlossen. Was tun? Fünf Selbstversuche.

Von Anna Fischhaber, Moritz Geier, Mareen Linnartz, Alexander Menden und Martin Zips

Noch immer sind die Friseursalons geschlossen. Eine Herausforderung, gerade für diejenigen, die sich soziologisch wie psychologisch stark über eine gelungene Frisur definieren. Der noch vor Wochen häufig zu beobachtende männliche Stoppelschnitt droht auszusterben, vom schlecht abschließenden Drei-Tage-Bart ist Maskenträgern insbesondere epidemiologisch dringend abzuraten. Noch schwieriger ist die Situation bei komplexen Langhaarschnitten und speziellen Färbungen, für die man zuletzt im Salon deutlich mehr Zeit und Geld investieren musste. Im Lockdown müssen Alternativen her.

Kabel und Liebe

Das Gerät: Die Moser Primette.

Der Preis: 70 Euro. Der Primat-Aufsteckkamm (10 Euro) ist als Sonderzubehör erhältlich.

Die Handhabung: Anders als andere, vielleicht lässigere Haarschneidemaschinen verfügt dieses seit 1968 hergestellte Duroplastgehäuse mit einem Schneidsatz aus gehärtetem Edelstahl nicht über einen Akku. Es muss also an die Steckdose angeschlossen werden. Schnell fühlt man sich in den Friseursalon der Siebzigerjahre zurückversetzt, in dem die vorherrschende Farbe noch Beige, der Geruch beißend und die Stühle aus Kunstleder waren. Besonders effizient erweist sich die leise surrende, in Deutschland produzierte Primette im Bereich des Nackenhaars, wo - dank familiärer Unterstützung - eine saubere Kante trotz gelegentlicher Kabelstrangulation gelingt. Auch rund um die Ohren ist die Beseitigung überschüssiger Haarbüschel unter Verwendung des Aufsteckkamms (Sonderzubehör) von unten nach oben bewegend erfolgreich. Im viel zu kleinen Badezimmer werden gelegentlich Vergleiche mit der Arbeit von Schafhirten angestrengt. Optisch gefährlich wird der ungeübte Einsatz im Bereich des ebenfalls deutlich überschüssigen Schädeldecken-Haupthaares. Hier sollte vorsichtig vorgegangen und mit der Büroschere immer wieder nachgearbeitet werden.

Das Ergebnis: Angesichts pandemischer Ausnahmebedingungen durchaus akzeptabel. Martin Zips

Der Clip-Trick

Das Gerät: Breiter Küchenclip, plus Haarschneideschere.

Der Preis: 4,99 Euro im Sammelpack im Supermarkt.

Die Handhabung: "Schnittlauchlocken" hat mal eine Tante über die Haare gesagt, weil sie so gerade sind und recht fein. "Da muss man sehr genau schneiden", befand Cora, die Friseurin des Vertrauens, beim ersten Besuch, etwa 20 Jahre her, aber Cora ist ja leider grad nicht greifbar. Da kommt Mimi um die Ecke, Judith-Rakers-blond, sie verspricht auf Youtube Abhilfe mit einem geradezu verstörend einfachen Trick: Akkurate Bobs schneiden mit einem Küchenclip! Die Technik erfordert, das wird beim ersten Abspielen des Mitschnitts klar, Gelenkigkeit und Mut. Die Haare im Nacken in den Clip wurschteln, auf gleichmäßig herausragende Länge achten, und, ganz wichtig: Nicht an der Clip-Kante entlang, sondern in einem leicht schrägen Winkel zum Schneiden ansetzen, damit die Haare weicher fallen. Man blickt in Mimis schlecht beleuchtetes Bad, staunt über den wild bemalten Klodeckel dort und die Leichthändigkeit, mit der sie ihren Schopf kürzt. Wie soll das gehen? Wenige beherzte Handgriffe später liegen ein paar braune Strähnen am Boden, und weil man hinten nichts sieht, aber vorne schon, wird ohne Küchenclip gleich noch die Ponypartie mit bearbeitet, mit schräger Mimi-Technik natürlich. Cora macht das nie so, und vermutlich weiß sie, warum.

Das Ergebnis: Zeitgemäßer Fransenschnitt und steifer Nacken. Mareen Linnartz

Der Affenschwanzbart

Die Geräte: Philips MG7770/15 Multigroom-Set Series 7000; Gillette "Mach 3"-Rasierer.

Der Preis: 119,99 für den Multigroomer; 19,99 Euro für den Rasierer (inklusive 7 Klingen).

Die Handhabung: Einer der Vorteile spärlichen Haarwuchses liegt darin, schon seit vielen Jahren nicht mehr auf Friseure angewiesen zu sein. Das kabellose Mulitfunktionsgerät ist fester Bestandteil einer autarken Eigenhaarpflege. Seine Handhabung gestaltet sich kinderleicht, da man für den Kopf nicht mal einen der 18 zur Auswahl stehenden Aufsätze benötigt. Einmal drübergehen, einseifen, mit dem Rasierhobel nacharbeiten - voilà, ein kinderpopoglattes Ergebnis. Der während des Lockdowns arg ins Kraut geschossene Bart bedarf allerdings einer aufwendigeren Behandlung. Dem einschlägigen Herrenportal "ladbible.com" zufolge ist der Gesichtsbehaarungstrend der Lockdown-Saison der asymmetrische "Monkey Tail Beard". Vom amerikanischen Baseballer Mike Fiers erstmals zur Schau getragen, ringelt er sich wie der namensgebende Affenschwanz einseitig vom Schnurrbartende aus um Mundwinkel und Kinn und dann den Unterkiefer hoch bis zum Ohr. Um zumindest mit der unteren Gesichtshälfte auf der Höhe der Zeit zu bleiben, muss man mit dem Multigroomer vorarbeiten. Dabei ist vor allem der entsprechend schräge Verlauf entlang des Kinns zu beachten. Bei den filigraneren Details hilft der schmalste Aufsatz. Die Nassrasur verleiht dem Ganzen dann noch den letzten Schliff.

Das Ergebnis: Einwandfrei und topaktuell. Den Affenschwanzbart wird wegen der Maskenpflicht leider so gut wie niemand zu sehen bekommen. Alexander Menden

Was ab ist, ist ab

Das Gerät: "Professional Haarschere" von dm.

Der Preis: 7,95 Euro. Plus anschließender Friseurbesuch.

Die Handhabung: Die Haarschere ist laut Hersteller vegan und unisex, glaubt man den Kundinnen und Kunden auf der Homepage des Drogeriemarktes, schneidet sie aber vor allem Hundehaare recht präzise. In diesem Haushalt ist sie eher an Topfschnitten erprobt, wobei der eine Sohn danach immer vorzeigbar, der andere, mit dem feinen Haar, nicht ganz so vorzeigbar aussieht, sich beide beim Frisieren aber ohnehin mehr fürs Netflix-Programm denn für die Frisur interessieren. Die erste Frage danach lautet dann auch: "Was hast du angeguckt?" So viel vorneweg, Fernsehen sollte man beim Ponyschneiden nicht, ein Spiegel ist eher von Nutzen. Der Anfängerin bleibt dann nur, vorsichtig anzufangen und schrittweise mehr zu kürzen, um sich irgendwann mit viel Glück und noch mehr Augenmaß einer Art Geraden anzunähern. Weiche Konturen sind unmöglich mit dieser Schere, auch deshalb entsteht ein Micropony. Und da es der offenbar ziemlich geschäftstüchtige Friseur vorne nicht so kurz mag, hat das Selberschneiden einen entscheidenden Vorteil: Was ab ist, ist ab. Ein bisschen Mut braucht es nur, die etwas klapprige Schere an der eigenen Stirn anzusetzen. Aber keinen Übermut. Wer vom halbwegs gelungenen Pony auf die Fähigkeiten, die eigenen und die der Schere, am Hinterkopf schließt, der irrt.

Das Ergebnis: Für das derzeitige Videokonferenzleben reicht es, nur umdrehen sollte man sich nicht. Anna Fischhaber

Klinkerts Comeback

Das Gerät: Modell "Papa".

Der Preis: Unbezahlbar.

Die Handhabung: "Wieder wie Klinkert?", fragt das Modell "Papa", denn es war haarschneidetechnisch lange nicht in Gebrauch, etwa 20 Jahre vielleicht. Das Modell "Papa" beherrscht mehrere Schnitte wie einprogrammiert, darunter den "Stift" (Haare überall gleich kurz) und die vom Kunden früher beständig geforderten "Stefan Effenberg" (ohne den einrasierten Tiger am Hinterkopf) und "Michael Klinkert" (Kapitän der Gladbacher Pokalsiegerelf von 1995 und beinharter Vorstopper mit Mittelscheitelfrisur). Ausgerüstet mit Haarschere und Haarschneidemaschine funktioniert das Modell "Papa" auch nach zwei Jahrzehnten noch reibungslos. Der Klinkert-Schnitt ist so etwas wie die Default-Einstellung, aber mit den richtigen Anweisungen (Seitenscheitel, oben nicht zu kurz) letztlich problemlos zu verhindern.

Das Ergebnis: Warum, bitteschön, ist man die letzten 20 Jahre eigentlich zum Friseur gegangen? Moritz Geier

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