Tagsüber sind Städte entweder schön oder hässlich. Das hängt von den Städten ab. Erst wenn es Nacht wird, entdeckt man ihren wahren Charakter. Blinken sie so unruhig wie der Times Square in New York oder der Eiffelturm in Paris? Strahlen sie so selbstverliebt wie der Kreml in Moskau oder die Münchner Fußballarena? Dominiert unterm dunklen Stadthimmel eher kühles Blau, frivoles Rot oder mahnendes Gelb? Welche Botschaften senden die Lichter einer Großstadt aus?
Lichter sind zum Statement geworden, gerade in der Pandemie. "Kino leuchtet. Und leuchtet. Und leuchtet" war jetzt zur Eröffnung der etwas anderen Berlinale auf den Leuchttafeln des Hauptstadt-Kinos "International" zu lesen. Und auf der Anzeigetafel des Bamberger "Odeon" hieß es kürzlich mit Karl Valentin: "Kultur ist nicht alles, aber ohne Kultur ist alles nichts." Mal wird mit Kino-Lettern für Online-Angebote geworden, mal für den Kauf von Gutscheinen oder Popcorn. Gelegentlich versucht man es gar mit Humor: "Corona, geh scheissen" (München, "Neues Maxim").
Vielerorts aber, und das ist das wirklich Beunruhigende, leuchten sie überhaupt nicht mehr, die vertrauten Buchstabentafeln, die die Kino-Branche "Fischerleuchten" nennt - vermutlich, weil sie Passanten mit Filmtiteln von den Straßen fischen sollen. So, wie der "Rekommandeur", der in den Anfangsjahren des Kinos vor den Lichtspieltheatern alles Wissenswerte ausrief. Etwa vor den Wiener "Grätzelkinos".
In Wien verfügen noch viele Häuser über traditionelle Anzeigetafeln, auf die die Buchstaben, wie man in Österreich sagt, "affichiert" werden. Das heißt, sie werden von einem meist auf einer Leiter stehenden Kinomitarbeiter in Schienen geschoben. Im Vergleich zu anderen Ländern weisen die Wiener Kinotafeln eine überragende textliche Originalität auf.
"Eyes wide shut down", heißt es da zum Beispiel am "Burgkino", natürlich als Anspielung auf den Stanley-Kubrick-Film. Am "Gartenbaukino" wiederum, das im Jahr 1919 mit dem noch nicht sehr diversen Stummfilm "Kolumbus entdeckt Amerika" eröffnete, liest man dieser Tage: "Covid Wars: Episode 3 - A new Hope." Auch das eine Anspielung, natürlich. Bis die Hoffnung auf Wiedereröffnung erfüllt wird, lautet das Motto so, wie es auf einer weiteren Fischerleuchte kürzlich zu lesen war: "Due to nouvelle vague we are temporarily closed." Wieder eine neue Welle also, diesmal allerdings nicht ausgelöst von François Truffaut.
Eines bleibt sicher: Derzeit sind wir "Im falschen Film", wie es jüngst am Wiener "Votivkino" hieß. Aber schon Charlie Chaplin versprach im Jahr 1931 in "Lichter der Großstadt": "Tomorrow the Birds will sing." So leuchtet es vom Wiener "Burgkino". Abends, wenn es dunkel ist.