Novavax:Ein echter Ladenhüter

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So viele Ampullen, so wenig Bedarf: Ein Arzt am Klinikum Stuttgart bereitet den Impfstoff Novavax vor. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Politiker hatten gehofft, Novavax könnte viele Impfunwillige überzeugen. Doch tatsächlich kommen hauptsächlich die, die keine andere Wahl haben. Ein Besuch im Klinikum Stuttgart.

Von Christina Kunkel und Michaela Schwinn, Stuttgart

Andrew Readwin hat sich den schwarzen Plastikstuhl ganz links am Rand ausgesucht, direkt hinter dem Eingang. Von hier ist der Weg nach draußen nicht weit. Ein Nachmittag Anfang März im Impfzentrum des Klinikums Stuttgart, Readwin, Mitte 60, Glatze, Nickelbrille, hält in der Hand ein Schreiben seines Arbeitgebers, des Deutschen Roten Kreuzes. Ohne Impfnachweis dürfe er vom 16. März an nicht mehr in seinem Job im Rettungsdienst arbeiten, heißt es dort. Readwin formuliert es so: "Ich bin weder freiwillig noch aus Überzeugung hier, ich wurde genötigt."

Für Readwin ist der neue Impfstoff Novavax, der seit knapp zwei Wochen in Deutschland gespritzt werden darf, "eine Notlösung". Am liebsten hätte er auf den "richtigen" Totimpfstoff gewartet. Er meint das Präparat von Valneva, darin steckt das komplette inaktivierte Coronavirus, in Novavax ist nur ein Teil davon, der auch noch künstlich hergestellt wurde. Aber Valneva wird frühestens im April zugelassen, so viel Zeit hat Readwin nicht. In wenigen Tagen gilt die Impfpflicht fürs Gesundheitswesen und damit auch für ihn.

Die Hoffnung in den neuen Impfstoff war groß - zumindest bei einigen Gesundheitspolitikern. Genährt wurde sie von den Aussagen Ungeimpfter, man sei nicht grundsätzlich gegen das Impfen, aber misstrauisch gegenüber den neuartigen mRNA-Impfstoffen. Voll wird es an diesem Nachmittag allerdings im Impfzentrum im Klinikum Stuttgart nicht. Nur vereinzelt nehmen Menschen auf den Plastikstühlen im Wartebereich Platz. Ein rotes Band trennt sie in zwei Lager: Hinten die Biontech-Kandidaten, meist kommen sie zur Boosterimpfung, vorne die Novavax-Kunden, von denen mehr als die Hälfte zum ersten Piks hier sind. Und von denen man wissen will: Warum erst jetzt?

"Wir sind keine Impf-Gegner, sondern Impfstoff-Gegner", sagt eine Frau

Eine Frau, die mit ihrem Lebensgefährten zur Erstimpfung mit Novavax ins Klinikum Stuttgart gekommen ist, beschreibt ihr Zögern so: "Wir sind keine Impf-Gegner, sondern Impfstoff-Gegner." Es folgen Geschichten, die man so oder so ähnlich in den vergangenen Monaten oft gehört hat: Der Nachbar hätte nach der Impfung mit dem mRNA-Vakzin einen "schwarzen Fuß" bekommen, ein anderer Bekannter hätte direkt nach dem Piks mit dem Notarzt ins Krankenhaus gemusst. "Aber dieser Protein-Impfstoff, der ist wie der gegen die Grippe, so was kennt unser Körper," sagt der Mann.

Impfzentrumsleiter Daniel Kaiser, eigentlich Unfallchirurg, verpasst einer Klinikmitarbeiterin eine Spritze mit Novavax. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Auch wenn mittlerweile unzählige Studien zeigen, dass schwere Nebenwirkungen bei den Impfstoffen von Biontech oder Moderna nur in sehr seltenen Fällen vorkommen, überzeugte das offenbar nicht alle. "Es gibt vereinzelt Menschen, die wirklich Angst hatten vor den mRNA-Impfstoffen und deshalb erst jetzt kommen", erzählt Daniel Kaiser. Eigentlich ist er Oberarzt in der Unfallchirurgie, nun leitet er das Impfzentrum im Klinikum. Kaiser meint damit Patienten wie Krankenschwester Martina Marjanovic. Sie habe sich immer impfen lassen wollen, sagt sie, hatte aber wegen einer überstandenen Krebserkrankung große Angst, die neuartigen Impfstoffe könnten einen Rückfall auslösen. Den letzten Ruck habe ihr dann nicht die Impfpflicht gegeben, sondern die Corona-Erkrankung ihres ebenfalls ungeimpften Vaters. "Er lag mehrere Wochen auf der Intensivstation", erzählt sie. Auch sie selbst habe sich infiziert, sei mittlerweile genesen, mit Novavax hat sie sich jetzt trotzdem impfen lassen.

Das neue Präparat sollte der erlahmten Impfkampagne einen Booster versetzen, doch Menschen wie Martina Marjanovic oder Andrew Readwin sind eher der Einzelfall, zehn Tage nach Kampagnenstart haben sich in Deutschland nur 30 000 Menschen für eine Impfung mit Novavax entschieden, Gemeinden und Landkreise melden "wenig bis gar kein Interesse", von einem "Ladenhüter" ist die Rede. Schleswig-Holstein versucht es deshalb mit Optimismus ("Jede Impfung zählt"), Bayern mit Appellen ("Geben Sie sich einen Ruck, lassen Sie sich impfen"), aber selbst Gesundheitsminister Karl Lauterbach gibt inzwischen zu: "Wir hatten uns mehr erhofft. Und ich hoffe, dass sich das noch dreht." Nun sollen auch die Hausärzte Novavax geliefert bekommen, Impfstoff zumindest sei reichlich vorhanden, sagt der Minister: Rund 34 Millionen Dosen sollen in diesem Jahr nach Deutschland geliefert werden.

Die berufsbezogene Impfpflicht führe zu absurden Szenen, erzählt ein Chefarzt

Auch im Klinikum Stuttgart ist die Nachfrage "überschaubar", wie es Krankenhauschef Jan Steffen Jürgensen formuliert. Dabei waren sie gut vorbereitet. Für Menschen, die wegen der Impfpflicht unter Druck stehen, hatten sie eigene Slots freigehalten, in Bayern war der neue Impfstoff sogar zunächst ausschließlich für die reserviert, die im Gesundheitswesen arbeiten. Diese Regel wurde mittlerweile aufgehoben, weil es viel mehr Impftermine als Impfwillige gibt. "Anfangs hatten wir in der Spitze mal 300 Novavax-Impfungen pro Tag," sagt Jürgensen. Mittlerweile kommen mal 20, mal 40 Menschen, die gezielt dieses Präparat gespritzt bekommen wollen. Zumindest konnten sie die Impfquote unter den 8000 Mitarbeitern des Krankenhauses in Stuttgart noch einmal steigern, auf mittlerweile 97 Prozent. "Dazu kommen noch diejenigen, die als genesen gelten, sodass es nur noch ganz wenige sind, die akut von einem Berufsverbot betroffen sind", sagt der Klinikleiter.

Für alle anderen gibt es ab dem 20. März, dann sollen die Corona-Maßnahmen weitestgehend fallen, kaum noch einen Grund, sich noch eine Spritze abzuholen. Einschränkungen wie 2G oder 3G hätten sowieso kaum jemanden zum Impfen bewegt, glaubt der Impfzentrumsleiter Kaiser. Die berufsbezogene Impfpflicht führe zudem zu absurden Szenen, erzählt er. Noch vor wenigen Monaten kullerten bei seinen Patienten auch mal Freudentränen, "jetzt sitzen Menschen vor mir und weinen, weil sie sich impfen lassen müssen". Manche würden die Impfung gar als "Vergewaltigung" bezeichnen. Und dennoch sei es gut, jetzt einen weiteren Impfstoff zu haben, sagt Kaiser. Für einige Menschen sei Novavax tatsächlich eine große Hoffnung: für die, die auf Bestandteile der anderen Impfstoffe allergisch sind und sich deshalb bisher nicht schützen konnten.

Und für Menschen wie Johannes Tardel. Auf die Frage, warum er erst jetzt zur Impfung komme, schmunzelt er kurz und sagt dann: "Das ist schon das fünfte Mal." Tatsächlich kleben in seinem gelben Impfbuch vier Sticker. Tardel ist selbst Arzt und hat viele Menschen gegen Corona geimpft, bevor er Ende des Jahres seine Praxis aufgab. Bei ihm selbst riefen weder das Biontech-Vakzin noch der Impfstoff von Moderna messbare Antikörper gegen das Coronavirus hervor, sein Immunsystem arbeitet aufgrund von Medikamenten, die er wegen einer schweren chronischen Krankheit nehmen muss, nur reduziert. Weil Novavax über einen anderen Mechanismus funktioniert als die mRNA-Vakzine, macht er jetzt eben den fünften Versuch. Auch Tardel hat also keine andere Wahl - wenn auch aus einem ganz anderen Grund als Rettungsdienstler Readwin.

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