Gespendete Echthaarperücken:Wenn Zöpfe Gold wert sind

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25 Zentimeter Länge sollten es schon sein, damit es für eine Haarspende reicht, aus der eine Echthaarperücke gefertigt werden kann. (Foto: WavebreakmediaMicro/Imago)

Haarspenden helfen Krebspatientinnen und Verbrennungsopfern. Doch die Pandemie hat auch hier einiges durcheinandergebracht.

Von Xenia Miller

Über den ganzen Winter blieben die Böden der Friseursalons in Deutschland blank, weiß, leer. Knapp drei Monate Shutdown, knapp drei Monate staatlich verordnetes Schnibbel-Verbot. Doch seit einigen Tagen haben die Salons wieder geöffnet. Wenn eine Kundin oder ein Kunde Platz genommen hat, geht es schnell. Nach und nach fallen die Zöpfe, Strähnen und Locken herunter und irgendwann sieht man vor lauter Büscheln kaum noch Boden, sondern nur noch Haarteppich.

Doch was nach getaner Arbeit achtlos weggekehrt wird, muss eigentlich kein Abfall sein. Für manche sind die abgeschnittenen Haare viel wert. Für Menschen mit krankheitsbedingtem Haarausfall zum Beispiel. Für Opfer von Verbrennungen und Verätzungen. Oder für Krebspatienten, die sich nach einer Chemotherapie ein wenig Normalität wünschen.

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Die Öffnung der Friseure hat neben der Entzottelung der Menschheit einen weiteren positiven Effekt: Endlich sprießen sie wieder, die haarsträubenden Wortspiele.

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Die Firma Rieswick fertigt Ersatz aus gespendetem, echtem Haar. Max Rieswick leitet mit seiner Familie die Haarmanufaktur im nordrhein-westfälischen Ramsdorf und betreibt die Website haare-spenden.de. Eingeschickte Zöpfe verarbeitet die Manufaktur zu einer Perücke, die den Betroffenen Lebensqualität zurückgeben soll.

Das Abschneiden und Verschicken der Haare können die Spenderinnen und Spender selbst übernehmen. Auf der Website der Manufaktur gibt es eine Anleitung. Wichtig, so Rieswick, sei aber, dass das abgeschnittene Haarteil mindestens 25 Zentimeter lang ist. Aufgesammelte Büschel eignen sich nicht, aus einem Haarteppich wird niemals eine gute Perücke.

30 Zentimeter Haare sind bis zu 130 Euro wert

Einen geflochtenen Zopf abzutrennen, dürften auch Laien noch einigermaßen gut selbst hinbekommen. Wenn es komplizierter wird, helfen Friseure bei der Haarspende, allerdings oft zum Preis eines regulären Besuchs. Einige Salons haben aber auch mit Perückenmanufakturen Partnerschaften geschlossen und bieten an, dem Spender oder der Spenderin die Haare kostenlos abzuschneiden.

Ist der Zopf mehr als 30 Zentimeter lang, zahlt Max Rieswicks Firma zusätzlich einen Geldbetrag von bis zu 130 Euro aus, den sogenannten Haarwert. Er errechnet sich aus Struktur, Beschaffenheit, Länge und Gesundheit der Haare und geht nicht an den Spender oder die Spenderin, sondern an die Deutsche Krebshilfe oder eine von drei weiteren Organisationen.

Derzeit dürften viele Menschen ziemlich lange Haare haben - eigentlich eine gute Voraussetzung für Perückenmacher. Doch die Schließung der Friseure, so Max Rieswick, habe auch bei ihm vorübergehend zu einer Art Rohstoffknappheit geführt. "Die meisten unserer Spenden kommen eben doch von den Friseursalons. Und da merkten wir, dass die Zahl deutlich nach unten ging."

Deutlich weniger Spenden in Corona-Zeiten

Zwischen 60 und 100 Spenden pro Tag seien normal, in den Shutdown-Monaten seien es jedoch zum Teil nur 20 pro Tag gewesen. Was dennoch bei Rieswick ankam, war wohl weniger das Ergebnis von heimlich arbeitenden Friseuren, sondern wurde entweder nach der Methode Do-it-yourself zu Hause abgeschnitten oder war schon vor dem Shutdown von Profis entfernt worden. Selbst während der Schließung der Salons hätte er aber theoretisch genug Perücken liefern können.

Denn nicht nur das Angebot, auch die Nachfrage sei in der Zeit zurückgegangen. Insbesondere von Krebspatienten. Rieswicks Vermutung: Diese hätten sich, weil sie zu einer der Hauptrisikogruppen gehören, stark zurückgezogen, nur wenig Kontakte zu haushaltsfremden Menschen gehabt und deshalb in vielen Fällen auf eine Perücke verzichtet.

Die Vermutung, dass von Krebs betroffene Menschen in der Corona-Krise ihre Bedürfnisse hintangestellt haben, bestätigt auch Silvia Schuth von der Deutschen Krebshilfe. Ihre Organisation arbeitet eng mit Rieswicks Firma zusammen und bezuschusst auch Menschen, die die Zuzahlung für eine Perücke - den Hauptteil der Kosten übernehmen oft Krankenkassen - allein nicht aufbringen können. Man habe im Winter etwas weniger Anfragen bekommen, sagt sie. "Das ist insofern schade, als dass ein echt wirkender Haarersatz für viele Betroffene enorm wichtig ist. Eine Echthaarperücke fühlt sich einfach völlig anders an als eine Kunsthaarperücke aus Plastik."

Umso bedauerlicher eigentlich, dass längst nicht jeder Friseurbesuch mit einer Haarspende endet.

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