Süddeutsche Zeitung

Diskussion über Kfz-Kennzeichen:Rasender Ochse trifft Sau unterwegs

Das Phänomen Hasskennzeichen gibt es schon lange, doch seit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies beklagen immer mehr Fahrer aus Gütersloh die Beschädigung ihres Autos. Dabei wäre die Lösung so einfach.

Von Martin Zips

"Dieses Auto fährt eine Bielefelderin!", steht auf dem handgeschriebenen Zettel, den sich die Frau aus Angst vor Vandalismus an die Heckscheibe ihres Kleinwagens geklebt hat. Die ersten Buchstaben auf ihrem Kennzeichen lauten: GT, also Gütersloh.

In Bielefeld gehört das Gütersloher Kennzeichen seit jeher zu den weniger beliebten, der Corona-Ausbruch bei Tönnies hat das nicht besser gemacht. GT stehe für "Gehirntod", so spottet man hier schon länger. Phänomen Hasskennzeichen. In Baden-Baden schimpft man auf die, die RA ("Rasende Arschlöcher") für Rastatt am Auto haben. Zwischen Würzburg und Nürnberg ärgert man sich über den Fahrstil der "NEA-ndertaler" aus dem Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim, in München schüttelt man den Kopf über die RO-senheimer (besser: "Rasende Ochsen") und SU (Siegburg/Rhein-Sieg-Kreis) steht bundesweit sowieso für nichts anderes als: "Sau unterwegs". Aber das mit GT, das ist schon nicht lustig.

Er habe bereits von einem Auto gehört, das allein wegen seines Gütersloher Kennzeichens zerkratzt worden sei, sagte Landrat Sven-Georg Adenauer kürzlich auf einer Pressekonferenz. "Das ist natürlich heftig und geht überhaupt nicht." Oder wie es sein Großvater Konrad Adenauer ausgedrückt hätte: "Das hat der liebe Gott nicht gut gemacht. Allen Dingen hat er Grenzen gesetzt, nur nicht der Dummheit."

In den sozialen Medien finden sich seitdem immer mehr GT-Fahrer, die behaupten, man habe ihr Auto mutwillig beschädigt. Zum Beispiel in BI (Bielefeld), aber auch in RÜG (auf Rügen/Landkreis Vorpommern-Rügen). In MS (Münster) sollen zwei Frauen mit GT-Nummernschild bedroht worden sein. Allein wegen ihrer - zuletzt mit Corona, Tönnies und Quarantäne thematisch etwas aufgeladenen - amtlichen Herkunftszeichen.

GT-Landrat Adenauer nennt es ebenso "diskriminierend" und "stigmatisierend", dass in MS Menschen aus GT überall zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes verpflichtet sind. Und in OS (Osnabrück) sollen GT-ler dieser Tage sogar vom Museums- und Freibadbesuch ausgeschlossen worden sein. Es ist schon ein Ärger, mit dem Kennzeichen. COE ("Chaos ohne Ende"), möchte man mit Coesfeld sagen.

Vielleicht liegt die Lösung des Problems im Jahr 2008

Aus nachvollziehbaren Gründen sind auf Facebook nun Anleitungen zu finden, wie man durch geschicktes Überkleben GT in GI (Gießen) oder GF (Gifhorn) umändern kann. Aber das ist natürlich alles strafbar. Das Haller Kreisblatt, welches das Foto vom handgeschriebenen "Dieses Auto fährt eine Bielefelderin!"-Zettel veröffentlicht hat, berichtet von etwa 23.000 Güterslohern, die täglich nach Bielefeld pendeln. Ob sie sich nun alle um ihr Auto Sorgen machen müssen? Wegen ihres Nummernschilds? (Laut Bericht des Kreisblatts benutzt die Bielefelderin seit Jahren das Fahrzeug ihrer Mutter aus Rheda-Wiedenbrück, Kreis Gütersloh).

Vielleicht liegt die Lösung des Problems ja im Jahr 2008, als der CDU-Mann Peter Trapp (aus B) und der NRW-Grüne Johannes Remmel (aus SI) das Sommerloch damit füllten, sehr laut über die Abschaffung der Ortskürzel auf deutschen Kfz-Kennzeichen nachzudenken. BM (Bergheim/Rhein-Erft-Kreis) für "Bereifte Mörder", WBS (Worbis/Landkreis Eichsfeld) für "War bei Stasi" und WST (Westerstede/Landkreis Ammerland) für "Wir stechen Torf", das trägt tatsächlich wenig zur Überwindung regionaler Konflikte bei.

Doch anders als beispielsweise im Vereinigten Königreich hat sich diese Regelung in Deutschland noch nicht durchgesetzt. Fast möchte man an dieser Stelle mit einer kleinen Reminiszenz für das so herrlich am Ochsenweg gelegene Städtchen Rendsburg (RD) schließen: "Rundum dämlich".

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