Süddeutsche Zeitung

Freibäder in Corona-Zeiten:Eine Badetuchlänge Abstand

In manchen Bundesländern dürfen jetzt die Freibäder öffnen. Die gute Nachricht: Im Chlorwasser hat Corona höchstwahrscheinlich keine Chance. Aber die Ansteckungsgefahr lauert anderswo.

Von Titus Arnu

Das Mittelmeer liegt in Rödelheim. Der Frankfurter Stadtteil wirkt auf den ersten Blick nicht besonders mediterran, aber das Brentanobad hat aus südhessischer Sicht fast ozeanische Ausmaße: Das Becken hat eine Länge von 220 Metern, eine maximale Breite von 50 Metern und ist mit einer Wasserfläche von 11 000 Quadratmetern das größte Schwimmbad Deutschlands. Man kann dort Strandkörbe mieten, italienisches Eis schlecken und Beachvolleyball spielen. Besser gesagt: Man könnte.

Denn "Frankfurts Mittelmeer", wie die städtischen Bäderbetriebe das Mega-Bad nennen, ist noch geschlossen, wie die meisten Schwimmbäder in Deutschland. Das Becken ist mit Wasser gefüllt, doch die Liegewiesen sind leer. In der Kasse: Ebbe. Wegen der Corona-Pandemie haben Frei-, Hallen- und Strandbäder ihren Betrieb in diesem Frühjahr noch nicht aufnehmen können - bis jetzt. In Nordrhein-Westfalen dürfen von diesem Mittwoch an etwa 340 Freibäder unter strengen Auflagen wieder öffnen. Andere Bundesländer planen die Freigabe für Ende Mai. In Hessen gelten die derzeitigen Corona-Bestimmungen noch bis 6. Juni, so lange ist der Zugang zum Rödelheimer Mittelmeer mindestens noch gesperrt. Wenig erfrischend ist auch die Lage in Bayern, dort wird frühestens im Juni angebadet.

Temperaturen bis zu 28 Grad, Sonnenschein, verlängertes Wochenende - solche Aussichten locken normalerweise Tausende Besucher in die Freibäder. Doch diese Saison ist alles anders. Wegen der Pandemie waren Freizeiteinrichtungen lange komplett gesperrt, nun erlauben manche Bundesländer die behutsame Wiederaufnahme des Bäderbetriebs. Auch Badestrände an Nord- und Ostsee sowie Badeseen sind nach und nach wieder zugänglich.

Über die Umsetzung der von Bundesland zu Bundesland leicht unterschiedlichen Bestimmungen muss jede Kommune einzeln entscheiden. Jedes Schwimmbad hat den Betrieb so zu organisieren, dass die strengen Hygienevorgaben erfüllt werden. Die Lage ist so unüberschaubar und kleinteilig wie die Finnische Seenplatte.

Das Freibad als Ersatz-Mittelmeer

Das Brentanobad könnte in der Tat eine Art Ersatz-Mittelmeer werden in diesem Sommer, wenn es denn mal die Tore öffnen dürfte. Schwimmbäder und Badeseen sind für viele Menschen, die ihren Sommerurlaub im Ausland storniert haben, eine große Naherholungshoffnung. Die Bäder könnten einen Boom erleben in dieser Saison, doch ausgerechnet jetzt ist der Zutritt, wenn überhaupt, nur beschränkt möglich. Für den Badegast, der nach ein bisschen Urlaubsgefühl und Abkühlung lechzt, klingen die Wasserstandsmeldungen zum Badebetrieb zudem recht verwirrend. Kann man sich im Wasser anstecken oder nicht? Wie wird der Einlass geregelt? Kann ein Rettungsschwimmer die Abstandsregeln einhalten, wenn er jemanden vor dem Ertrinken rettet? Und macht das dann alles noch Spaß oder nur nass?

Die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen (DGfdB) verweist recht trocken darauf, dass die Konsequenzen der Bädereröffnung noch nicht vollständig abzusehen sind. Sicher zu sein scheint, dass vom Schwimmbadwasser kein großes Ansteckungsrisiko ausgeht. "Nach aktuellem Kenntnisstand sind unter Berücksichtigung der üblichen Managementmaßnahmen in Badegewässern keine relevanten Konzentrationen an SARS-CoV-2 zu erwarten, die zu einer Infektion führen können", teilt das Umweltbundesamt mit. Der "Eintrag von Coronaviren in Badegewässer" durch infizierte Personen sei zwar möglich, eine Ansteckung erscheint aber wegen der Verdünnung und des Chlors im Wasser äußerst unwahrscheinlich.

Gefährlicher sind Kontakte zwischen Badegästen an der Kasse, in den Umkleideräumen oder Toilettenanlagen. Deshalb gelten in den Bädern, die nun wieder aufmachen, strenge Einlassbeschränkungen. An den Kassen werden Spuckschutzwände aufgestellt, auf dem Boden kleben Markierungen, überall stehen Warnschilder.

Tauchermaske statt Mundschutz

Damit die Badbetreiber angesichts der vielen unterschiedlichen Bestimmungen nicht ins Schwimmen geraten, hat die DGfdB rechtzeitig einen Pandemieplan erarbeitet. Darin stehen Empfehlungen für den seuchengerechten Schwimmbetrieb. Kern des Pandemieplans: die Limitierung der Besucherzahl je nach Größe der Becken und Liegeflächen. Das größte Freibad Nordrhein-Westfalens, das Grugabad in Essen, in das normalerweise bis zu 6000 Menschen passen, dürfte demnach nur 500 Badegäste hineinlassen. Die Badegäste sollen mindestens 1,50 Meter Abstand halten, auch beim Schwimmen und auf der Liegewiese. An der Kasse und am Kiosk soll man Mundschutz tragen, beim Kraulen ist allenfalls eine Tauchermaske sinnvoll. Wen es nach der kalten Dusche in der Nase kitzelt, der niese "möglichst immer in die Armbeuge", empfiehlt die DGfdB, und danach bitte nicht gleich ins Wasser springen, sondern sich noch mal waschen.

In Berlin, wo die Freibäder am 25. Mai öffnen dürfen, umgeht man das Problem mit den Duschen und Umkleidekabinen - indem sie geschlossen bleiben. Das Konzept der Berliner Badebetriebe sieht außerdem vor, dass die Besucher vorab online Eintrittskarten kaufen müssen, die nur für ein bestimmtes Zeitfenster gültig und in limitierter Zahl erhältlich sind. "Je nach Entwicklung" sollen die Regeln später angepasst werden.

"Man muss sehen, wie das von den Ordnungsbehörden am Eingang geregelt wird", sagt Achim Wiese, Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Auch für die Kontrollen am Beckenrand und auf den Liegewiesen bräuchte man eigentlich mehr Personal als sonst. "Fachkräftemangel ist im Bäderbereich seit Jahren ein Problem", sagt Christian Ochsenbauer, Geschäftsführer der DGfdB, "jetzt brauchen wir aufgrund der besonderen Situation fast doppelt so viel Personal."

Trübe Aussichten in Bayern

Während in NRW, Berlin und Sachsen die ersten Schwimmbäder öffnen, geht in Bayern laut Ministerpräsident Markus Söder vor Juni "nichts". Weil die Aussichten recht trüb erscheinen, haben sich manche Kommunen bereits dazu entschlossen, die Saison ganz ins Wasser fallen zu lassen. "In Bayern wäre es höchste Zeit, konkreter zu werden, denn sonst ist der Zeitpunkt irgendwann zu spät", sagt Bäderverbandschef Ochsenbauer. Es dauert drei Wochen, bis ein Schwimmbad betriebsbereit ist, und im Spätsommer lohnt es sich dann nicht mehr, überhaupt aufzumachen.

Wer in der Nähe von Seen oder Flüssen wohnt, hat Glück, denn die Ausübung von Wassersport ist dort grundsätzlich erlaubt, heißt es auf der Seite des bayerischen Innenministeriums. Dazu zählen Schwimmen, Bootfahren, Stand-up-Paddeln, Kitesurfen und Windsurfen. Die DLRG erwartet regen Badebetrieb - und ist dementsprechend in Alarmbereitschaft. 80 Prozent der durchschnittlich 500 Badetoten pro Saison ertrinken in Binnengewässern. "Wir sind einsatzbereit und werden unsere Kernaufgaben wahrnehmen", sagt Achim Wiese von der DLRG. Er empfiehlt, nur an offiziell von Wasserrettern überwachten Badestellen zu schwimmen, die Baderegeln der DLRG zu befolgen und keinesfalls in Flüssen zu baden, das sei zu gefährlich.

Weil DLRG-Helfer oft in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, was im Moment nicht erlaubt ist, rechnet er in Ausnahmefällen auch mit Personalengpässen. Jede Wachstation wurde mit Schutzausrüstungen ausgestattet. Wenn jemand vor dem Ertrinken gerettet werden muss, lassen sich die Abstandsregeln nicht mehr einhalten, das ist logisch, aber auf Mund-zu-Mund-Beatmung verzichten die Rettungsschwimmer im Zweifelsfall. "In der modernen Notfallmedizin wird sowieso gelehrt, dass man Mund und Nase bedecken soll und dann eine Herzdruckmassage vornimmt", sagt Achim Wiese.

Auch an Nord- und Ostsee machen sich Wasserretter, Strandkorbvermieter und Eisverkäufer bereit für die ersten Badegäste. Seit Anfang der Woche haben drei Strandabschnitte bei St. Peter-Ording an der Nordsee geöffnet, es gelten die pandemiebedingten Abstands- und Hygieneregeln. Die Lage ist dort noch ziemlich entspannt. Das liegt zum einen an der weitläufigen Landschaft. "Wir haben zwölf Kilometer Strand, so richtig eng wird es eigentlich nie", sagt Claudia Nißen, zuständig für Marketing bei der Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording. Zum anderen liegt es am typisch norddeutschen Wetter, wie Nißen berichtet: "Zwölf Grad und Wolken, die Wassertemperatur beträgt elf Grad, da ist kein riesiger Andrang zu befürchten."

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