SZ-Kolumne "Alles Gute":Golfplatz für alle

Corona und Alltag
(Foto: Steffen Mackert)

Leerstehende Schwimmbäder, ungenutzte Stadien und Golfplätze: In Corona-Zeiten beginnen die Menschen, den öffentlichen Raum anders wahrzunehmen - und zweckentfremden ihm mancherorts einfach. In San Francisco versprühte das sogar einen Hauch von Robin Hood.

Von Christian Helten

Das Coronavirus hat Platz genommen im Leben der Menschen, es macht sich seit vielen Wochen dort breit. Und es hat - ganz wörtlich - sich den Platz genommen, den die Menschen noch vor ein paar Monaten für sich beanspruchen konnten. Sportplätze, Schwimmbäder, Theater und Konzertsäle, lauter einst lebendige Orte bleiben ungenutzt, beinahe leblos wirken sie, diese ungezählten Quadratkilometer ohne Sinn.

In diese dystopische Leere purzelte vor kurzem ein Tweet aus Kalifornien. In San Francisco, konnte man lesen, wird auch Platz genommen, ein Golfplatz, um genau zu sein. Auf den 18 Loch von Presidio, der Landspitze am Beginn der Golden Gate Bridge, durfte eine Weile wegen der Corona-Beschränkungen nicht gespielt werden. Dafür waren die Grünflächen für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Sie halfen, eines der großen Corona-Großstadtprobleme zu lösen: In Metropolen sind Grünflächen ja schon an normalen Sommer- und Frühlingstagen Mangelware, mit coronabedingten Mindestabstandsregeln wird es umso schwieriger, dort sein Plätzchen zu finden. Die fast 59 Hektar des Golfplatzes von Presidio kamen da gerade recht.

Einigen Jubel löste diese Nachricht wohl auch deshalb aus, weil Golfplätzen ein Reiche-Schnösel-Image anhaftet. Das mag zwar zumindest in diesem Fall ungerecht sein - der Golfplatz ist öffentlich, für 74 Dollar dürfen Bürger von San Francisco dort spielen - aber das Image hält sich nun mal hartnäckig, und ein Golfplatz, der wegen des Coronavirus plötzlich allen gehört: das versprüht einen Hauch von Robin Hood.

Wie sieht eine sinnvolle Zweckentfremdung aus?

Wenige Tage später sperrte Bürgermeister London Breed die Straßen, die den Golden Gate Park durchschneiden, für Autos. So sollten mehr Menschen mit ausreichend Abstand zueinander joggen und spazieren können. Ähnlich in Italien: Im Zentrum von Mailand will man 35 Kilometer Straßen nach Ende des Lockdowns für Radfahrer und Fußgänger reservieren; man befürchtet, dass sonst zu viele Menschen aus Angst vor Ansteckungen in Bussen oder Bahn wieder mit dem Auto zur Arbeit pendeln.

All das zeigt: Die Menschen beginnen zu hinterfragen, wofür der öffentliche Raum da ist, und wie man Orte, die in der Krise ihre eigentliche Funktion verloren haben, sinnvoll zweckentfremden kann. Ob das nun Sportstadien sind, in denen Essen an Bedürftige verteilt wird, oder der Parkplatz des geschlossenen Möbelhauses, der zur Rollschuh-Rennbahn für Kinder wird.

Inzwischen darf in Kalifornien wieder gegolft werden. Für die Mitarbeiter des Presidio Golfclubs bedeutete das eine Extraschicht mit Besen und Rechen. Einige der Bunker, so erzählte es ein Manager des Presidio Golfclubs einer Lokalzeitung, hätten ausgesehen wie Sandkästen auf dem Kinderspielplatz. Das Coronavirus hat Platz genommen. Aber die Menschen machen jetzt Platz. Für sich selbst.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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