SZ-Kolumne "Alles Gute":Friede dem Hassfach

Corona und Alltag
(Foto: Steffen Mackert)

In Corona-Zeiten sind nicht nur Ärzte und Supermarktkassierer wichtig, auch Mathelehrer können ihr Image verbessern.

Von Oliver Klasen

Schutzmaskenhersteller, Pizzalieferdienste, Videotelefoniesoftwareentwickler: Über Branchen, die von der Krise profitieren, ist schon viel geschrieben worden. Eine Gruppe, die zwar nicht ökonomisch, aber vom Image her klar Krisengewinner ist, wurde jedoch bisher übersehen: Mathelehrer. Wenn sie Schülerinnen und Schülern in Vor-Corona-Zeiten die binomischen Formeln, den Satz des Thales oder die Volumenberechnung von Körpern bei Rotation um die y-Achse näherzubringen hatten, dann stand ja immer diese Schülerfrage im Raum: "Und wofür zur Hölle brauchen wir das jemals?"

Jetzt redet plötzlich die halbe Nation über die Exponentialfunktion. Mit ihr kann man die Ausweitung der Pandemie mathematisch beschreiben. Zu verstehen, was exponentielles Wachstum ist, wäre gerade ziemlich nützlich. Man sitzt abends am Küchentisch und hört den Podcast des Virologen Alexander Kekulé, der gerade erklärt, dass man die Reproduktionszahl R umrechnen könne in die Verdopplungsgeschwindigkeit, "mit so einer Logarithmusfunktion". Ach, hätte man damals in Mathe mal aufgepasst, in den späten Neunzigern im Gymnasium, und sich nicht nur für den Streit zwischen den Musikgruppen Blur und Oasis oder das nächste Treffen mit Valérie interessiert.

Gerade in Deutschland gilt es fast als chic, schlecht in Mathe zu sein. Man brüstet sich, trotz drei Punkten in der Matheklausur das Abi geschafft zu haben. Man kennt den Unterschied zwischen Prozent und Prozentpunkten nicht. Und wenn die Tochter (6. Klasse) fragt, wie das noch mal war mit ggT und kgV, denkt man als Erstes an dieses Lied von den Fantastischen Vier.

Mathe in Häppchen - auch für Eltern

Vielleicht haben viele Eltern ja jetzt durch das erzwungene Homeschooling die Chance, ihren Frieden zu machen mit diesem Hassfach und das Klischee abzulegen, alle Mathelehrer seien Karohemd und Cordhose tragende Zahlenteufel, die endlos lange Herleitungen an die Tafel kritzeln. Die Eltern könnten mit ihren Kindern Lehrvideos ansehen, zum Beispiel von Daniel Jung, einem Mathetrainer, dem auf Youtube mehr als 600 000 Menschen folgen und der unzählige Erklärfilmchen produziert hat, Mathe in Häppchen sozusagen.

In diesen Tagen gibt es quer durchs Land viele, die es so machen wie Daniel Jung: Lehrerinnen und Lehrer, die improvisieren, Flipcharts in ihre Arbeitszimmer stellen und sich mit ihren Klassen auf Skype zusammenschalten. Und die jetzt auf die Frage, wozu zur Hölle man die Exponentialfunktion später einmal braucht, die ziemlich coole Antwort geben können: "Um Leben zu retten."

In jeder Krise passiert auch Gutes, selbst wenn man es nicht immer auf den ersten Blick erkennen kann. In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute.

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