SZ-Kolumne "Alles Gute":Als Invalide der Welt ein Stück voraus

Corona und Alltag
(Foto: Steffen Mackert)

Die Rehaklinik ist ein guter Ort in Corona-Zeiten. Wer eine der letzten OPs vor dem Lockdown hinter sich hat, bekommt einen Eindruck der Zeit nach den Ausgangsbeschränkungen.

Von Anna Zimmermann

Im Speisesaal ist es so still, dass ich mich manchmal umgucke, ob ich nicht allein hier sitze. Die Dame an der Essensausgabe will die Stille, die keine angenehme ist, verscheuchen, also legt sie eine CD ein: "I Feel Good". Gemeiner hört sich gerade kein Lied an. Schließlich sind wir in einer Reha-Klinik, das Sich-gut-fühlen kommt erst wieder.

Normalerweise sind hier mehr als 300 Patienten untergebracht, im Speisesaal sitzen aktuell 13 Personen. Irgendwo müssen noch ein paar alte Menschen sein, die sieht man jedoch nur, wenn sie im Rollstuhl an einem vorbei geschoben werden. Während wir immer weniger werden, wird es in der anderen Hälfte der Klinik immer voller: Dort liegen die Covid-19-Patienten. Wenn man mit seinen Krücken draußen an dem abgeschlossenen Trakt vorbeigeht, hört man das Husten. Auf meinem Stockwerk bin ich allein, und auch auf den drei Stockwerken unter mir wohnt niemand mehr. Man könnte also toben, wenn man könnte. Doch aufgenommen wird hier nur, wer akut verletzt ist oder eine der wenigen noch geplanten OPs hinter sich hat. Damit haben sich die Kategorien des üblichen Reha-Quartetts erweitert von "Die meisten Schmerzmittel" und "Am wenigsten geschlafen" zu "Letzte Endoprothese vor dem Corona-Stopp".

Man wäre lieber nicht hier. Denn das würde bedeuten: kein Unfall, keine OP, keine Schmerzen. Aber mit den Tagen hat sich herausgestellt, dass die Rehaklinik gerade ein guter Ort ist in diesen seltsamen Zeiten. Normalerweise gäbe es hier zweimal wöchentlich Krankengymnastik, jetzt haben wir jeden Tag volles Programm mit unzähligen Anwendungen von morgens bis abends. Die Ärzte und Therapeuten haben viel Zeit, was heißt: Sie haben viel Zeit für uns. Im Gegensatz zum Rest des Landes konnten wir in den letzten Wochen jeden Tag ins Fitnessstudio und ins Schwimmbad. Und wer fit genug ist, schafft es bis in das Wäldchen hinter der Klinik, für Stadtmenschen sowieso ein echter Luxus. Wir Invaliden sind der Welt ein Stück voraus.

Weil wir seit Wochen unter uns sind und niemanden sehen konnten wegen des bis zu dieser Woche noch geltenden Besuchsverbots, brachen wir auch gemeinsam das Gesetz. Wir saßen abends zu sechst oder acht zusammen und tranken Wein. Ein Patient hat sich sogar eine mobile Bar gebastelt, er kühlt das Bier in seiner Umhängetasche mit den Kühlpads, die eigentlich für sein Knie vorgesehen sind. Ja: We feel good.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure täglich über die schönen, tröstlichen oder auch kuriosen kleinen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

Zur SZ-Startseite
WI Pflegeserie Pflegestufen

SZ PlusGesundheitscheck
:Pflegegrade im Überblick

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen entscheidet über viel Geld. Umso wichtiger ist es, dass sich Pflegebedürftige auf das Gespräch gut vorbereiten - und sich nicht fitter geben als sie sind.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: