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Geburten in Finnland und Norwegen:Babyboom dank Corona

Im Lockdown vergeht die Lust, in vielen Ländern sank die Geburtenrate. Anders in Finnland und Norwegen: Dort sehen Statistiker "wirklich verwirrende" Zahlen.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die historische Erfahrung lehrt, dass nach Zeiten schwerer globaler Krisen weniger Kinder geboren werden. Auch globale Pandemien machen da keine Ausnahme. Nach dem Höhepunkt der Spanischen Grippe in den USA 1918 kamen im Jahr darauf dort 13 Prozent weniger Kinder zur Welt. Eigentlich logisch: In Zeiten finanzieller Unsicherheit und Zukunftsangst möchten viele kein Kind in die Welt setzen.

Studien etwa der Universität Bocconi in Mailand zeichnen ein ähnliches Bild für die Covid-Pandemie: Von 22 reichen Industriestaaten erlebten demnach gleich sieben - darunter Italien, Spanien und Ungarn - einen starken Rückgang der Geburten um bis zu neun Prozent. Die meisten anderen Länder - auch Deutschland - lagen mit einer leichten Zu- oder Abnahme innerhalb des statistischen Fehlerbereiches. "Babyflaute statt Babyboom" betitelte die Zeitschrift Scientific American ihr globales Corona-Baby-Resümee.

Und doch gibt es Ausreißer: Länder wie Finnland und Norwegen. Dort verzeichneten die Statistiker in den ersten zwei Quartalen dieses Jahres verblüfft einen erstaunlichen Anstieg der Geburten - wider alle Erwartungen. "Wirklich verwirrend" nannte die finnische Bevölkerungsforscherin Venla Berg die Zahlen. Und das norwegische Institut für Volksgesundheit FHI schreibt in seinem soeben erschienen Jahresbericht, man sehe einen "Trend, der im krassen Gegensatz steht zu früheren Erfahrungen aus Gesundheitskrisen".

Besonders erstaunlich ist der Trend, weil die Geburtenraten in Finnland und in Norwegen davor ein Jahrzehnt lang in freiem Fall waren. Ihren Tiefststand erreichten sie im Jahr 2020. In dem Jahr brachten norwegische Frauen im Durchschnitt nur mehr 1,48 Kinder zur Welt, finnische Frauen gar nur mehr 1,37 (in Deutschland waren es im gleichen Jahr 1,53). Das Norwegische Statistikamt SSB verzeichnete nun im ersten Halbjahr 2021 landesweit einen Anstieg der Geburten von knapp fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr.

"Das Timing ist einwandfrei."

Ob das wirklich ein Corona-Effekt sei, wisse man noch nicht, sagte die Demografin Ane Margrete Tømmerås vom SSB dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NRK. "Aber das Timing ist einwandfrei. Der Anstieg begann im Dezember 2020." Also exakt neun Monate nach dem ersten Lockdown in Norwegen. Vor allem der Norden des Landes - eine Region, in der viele Gemeinden mit Abwanderung zu kämpfen haben - verzeichnete erstaunliche Zahlen. Das Lofoten-Krankenhaus meldete zeitweise doppelt so viele Geburten wie 2020, die Region Nordland sah ein Plus von 20 Prozent im ersten Halbjahr, Tromsø kam auf immerhin noch zehn Prozent.

Camilla Stoltenberg, Direktorin des Volksgesundheitsinstitutes, mag nicht mehr an einen Zufall glauben. Ihre Interpretation: Norwegens Babyboom zeuge von einer "beeindruckenden Zuversicht". Anders als in vielen anderen Ländern habe der nordische Wohlfahrtsstaat dafür gesorgt, dass eine mögliche Erkrankung oder ein Jobverlust die Menschen nicht vor existenzielle Sorgen gestellt habe. Finnland und Norwegen hatten zudem aufgrund einer konsequenten Corona-Politik mit die niedrigsten Infektions- und Todeszahlen Europas.

"Es gab das Vertrauen der Norweger in den Pandemiekampf der Behörden", sagte Stoltenberg der Zeitung Aftenposten, "und einen Glauben, dass dies gut ausgehen wird."

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