Süddeutsche Zeitung

Corona:Die meisten Au-pairs dürfen nicht ins Land

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Dabei bräuchten viele Familien gerade in Corona-Zeiten besonders dringend Unterstützung. Der Protest gegen die Regelung wächst - im Netz und in einem Brief an den Innenminister.

Von Ann-Kathrin Eckardt

Corona macht derzeit viele Pläne zunichte, doch manchmal ist es besonders bitter, zum Beispiel dann, wenn man dem Ziel schon sehr nahe ist. So wie Tika. Nur zwei Tage noch, dann hätte die 24-jährige Georgierin ihren Pass von der deutschen Botschaft zurückbekommen. Der Abholtermin stand schon im Kalender. Im Pass hätte das Visum für Deutschland geklebt. Dann würde sie sich jetzt etwa 30 Stunden in der Woche in München um die drei Kinder von Ines Schroeder kümmern, bei der Familie wohnen, ein paar Hundert Euro Taschengeld bekommen, einen Sprachkurs besuchen und nebenbei noch ein neues Land, eine neue Kultur kennenlernen. Doch 48 Stunden vor dem Termin erklärte Deutschland Georgien zum Risikogebiet. Verschärfte Einreisebedingungen traten unverzüglich in Kraft. Für Tika hieß das: aus der Traum.

Für Ines Schroeder und ihren Mann hieß es: drei Kinder im Alter von zehn, sieben und drei würden bald ohne Betreuung sein, zumindest zeitweise. Schroeder ist Oberärztin auf einer der Corona-Intensivstationen im Münchner Universitätsklinikum Großhadern. Ihr Mann ist ebenfalls als Arzt in leitender Position für die Behandlung von Corona-Patienten verantwortlich. Ohne Au-pair, sagt Schroeder, ist der Alltag der Familie kaum zu bewältigen: "Für die Randzeiten früh morgens oder abends findet sich auch nicht mal eben so eine Nanny."

Schroeder tat, was sie konnte, sie telefonierte mit der Botschaft in Georgien, mit dem Auswärtigen Amt, mit dem Bundesgrenzschutz - ohne Erfolg. Derzeit arbeitet sie 75 Prozent. Sollte die Klinik, wie im Frühjahr, Ärztinnen und Pfleger dazu aufrufen, aufzustocken, "ich müsste passen", sagt Schroeder.

Manche werben aus Verzweiflung Au-pairs von anderen Familien ab

Wie der 43-Jährigen und ihrem Mann ergeht es derzeit vielen Familien, vor allen Angestellten im Gesundheitsbereich. Wegen ihrer Arbeitszeiten beschäftigen sie besonders häufig Au-pairs - normalerweise. Doch seit März werden in Deutschland kaum noch welche vermittelt, wegen strenger Einreisebeschränkungen, aber auch, weil viele kleinere Vermittlungsagenturen im Ausland der Pandemie bereits zum Opfer gefallen sind. Dabei bräuchten berufstätige Eltern zwischen Job, ständig drohender Quarantäne und Homeschooling Unterstützung gerade jetzt dringender denn je. Vor allem, wenn auch noch die sonst einspringenden Großeltern ausfallen. Für einige Familien ist ein Au-pair dann der einzige Weg, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bewerkstelligen zu können. "Ich verstehe einfach nicht, warum man die Mädchen nicht nach der Einreise in Quarantäne schicken kann", sagt Schroeder. Die Kosten für Tests, für eine Quarantäne-Zeit im Hotel - sie würden, wenn nötig, alles bezahlen.

Ähnlich ratlos sind Au-pair-Verbände und Agenturen. "Warum soll von Au-pairs ein höheres Risiko ausgehen als von Studenten?", fragt Sandrine Link, Vorsitzende von Au-pair-Society, denn Studierende dürfen aus Drittstaaten inzwischen wieder einreisen. Ebenso Au-pairs aus EU-Staaten, sie dürfen seit Juli wieder kommen. "Aber auch ein Mädchen aus Spanien oder Italien kann doch Corona haben", sagt Link. Ohnehin aber machen europäische Bewerberinnen weniger als die Hälfte der normalerweise etwa 15 000 Au-pairs aus, die jedes Jahr nach Deutschland kommen. Und meist bleiben sie auch nur ein paar Monate und kein ganzes Jahr. Die meisten Au-pairs in Deutschland kommen normalerweise aus Kolumbien und Georgien, gefolgt von der Ukraine, Russland, Madagaskar, Simbabwe, Brasilien und Vietnam.

Kein Wunder also, dass die Wartelisten bei den Vermittlungsagenturen derzeit lang sind. Sehr lang. Im Netz finden sich unter #AuPairIsNotTourism zahlreiche flehende Bitten von Gastfamilien und Au-pairs, sie doch bitte so schnell wie möglich wieder ins Land zu lassen. Manche Gastfamilien sind sogar so verzweifelt, dass sie junge Frauen, die mit Au-pair-Visum schon im Land sind, von anderen Familien abwerben.

Die Au-pair-Verbände haben nun einen Brief an Horst Seehofer geschrieben

Bereits im Sommer hatten Verbände, Agenturen und Gastfamilien Briefe nach Berlin geschickt und Petitionen aufgesetzt, doch ohne großen Erfolg. Aus Drittstaaten, die auf der sogenannten "Positiv-Liste" stehen - aktuell sind das Australien, Neuseeland, Singapur, Thailand und Uruguay - dürfen Au-pairs zwar kommen, "aber aus diesen Ländern haben wir so gut wie nie Bewerberinnen", sagt Christina Hirschmann vom Familienservice, einer Vermittlungsstelle für Au-pairs.

Mehr als 200 Organisationen, die in Deutschland, aber auch im Ausland Au-pairs vermitteln, haben deshalb Ende Oktober erneut einen Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer geschrieben. Darin heißt es: "Viele junge Menschen warten schon lange darauf, hierherzukommen, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen und die deutsche Kultur und Lebensweise bei einer deutschen Familie kennenzulernen. Auch unter den momentanen Beschränkungen ist genau dies nach wie vor sehr gut möglich." Die Einreise von Au-pairs, so die Forderung, solle den Studenten aus Drittstaaten gleichgestellt werden. "Bei unseren Nachbarländern wie Belgien, Dänemark und den Niederlanden ist dies bereits möglich."

Es werde geprüft, sagt das Ministerium

Das Bundesinnenministerium verweist auf Anfrage auf die "Empfehlung des Rates zur vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU und die mögliche Aufhebung dieser Beschränkung" vom 30. Juni 2020. Daran halte man sich, so eine Sprecherin. Allerdings habe die Europäische Kommission am 28. Oktober Auslegungshinweise zu dieser Ratsempfehlung veröffentlicht. Die Bundesregierung prüfe aktuell, ob sich daraus Änderungsbedarf für die nationale Umsetzung, auch mit Blick auf Au-pairs, ergebe.

"Das mit dem Prüfen haben sie auch im Sommer schon gesagt", sagt Sandrine Link, Vorsitzende von Au-pair-Society. Die Hoffnung, dass ihr Brief an Horst Seehofer diesmal etwas bewirkt, hat sie trotzdem noch nicht aufgegeben.

Ines Schroeder und ihr Mann mussten sich in der Zwischenzeit etwas anderes einfallen lassen. Schroeder stellt nun mit drei verschiedenen Babysitterinnen Woche für Woche einen ausgeklügelten Betreuungsplan auf die Beine. Der ist wackelig, anstrengend und störanfällig - aber besser als nichts.

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