Comics:Großer Bruder

Das Pariser Centre Pompidou ehrt den Comic-Helden und Büro-Anarchisten Gaston zu seinem 60. Geburtstag mit einer eigenen Ausstellung. Eine längst überfällige Hommage an einen großen Lebenskünstler.

Von Martin Zips

Im Grunde ist es genau der richtige Ort für eine Ausstellung über den Büro-Anarchisten Gaston. Die Bibliothek des Pariser Centre Pompidou. Ein ständiges Kommen und Gehen, Aufstehen und Hinsetzen. In schweren Büchern blättern die Besucher, an Computern surfen sie - selbst noch am späten Samstagabend. Überall Studenten, Senioren, auch Obdachlose, denen die Stadt draußen zu kalt geworden ist. Mittendrin: Eine wunderbare Schau, die "Gaston Lagaffe" würdigt - den belgischen Zeichner André Franquin (1924 - 1997) vor 60 Jahren geschaffenen Anti-Helden. Gaston ist ein Star der europäischen Comic-Kultur, sein Ausspruch "M'enfin" ("Was denn?") Kult.

An die Champs-Élysées hat es Gaston freilich nicht geschafft. Dort, im Grand Palais, werden dieser Tage Tim und Struppi geehrt, in einer Schau über ihren Schöpfer Hergé (1907 - 1983), der ein Landsmann Franquins ist. Hunderte Menschen drängten sich am vergangenen Wochenende an seinen Bleistift- und Tusche-Entwürfen vorbei, nur im Louvre war mehr los. Schon zu Lebzeiten waren Hergé und Franquin so etwas wie die ungleichen Brüder ein- und derselben Familie. Der eine strukturiert-intellektuell. Der andere kreativ-chaotisch. Als Leser musste man sich da entscheiden.

Heute würde ein Freigeist wie Gaston natürlich sofort entlassen

Die Gaston-Ausstellung im Centre Pompidou jedenfalls ist kleiner, feiner, sympathischer als die audioguidisierte Hergé-Schau. In direkter Nachbarschaft zu tropfenden Kaffeeautomaten, staubigen Bücherständern und abgewetzten Sitzgruppen würdigt sie den sonnigen Comic-Hippie, der in eine ansonsten triste Welt lebensfrohen Trubel bringt.

Gaston, ein leicht irrer Bürobote, war von Franquin im Februar 1957 für den belgischen Verlag Dupuis erschaffen worden. Vier Jahrzehnte lang füllte jede seiner zeichnerisch wie humoristisch herausragenden "Katastrophen" je eine Seite im Comic-Magazin Spirou. Dort begannen auch Lucky-Luke-Schöpfer Morris und Schlümpfe-Zeichner Peyo ihre Karrieren.

Konsequenterweise arbeitet auch Gaston in einem Comicverlag - dort versucht er sich mit dem Bau absurder Maschinen und Musikinstrumente sowie der Mitnahme seiner Haustiere (Lachmöwe, Katze, Fisch) irgendwie einzubringen. Letztlich löst er immer nur Kopfschütteln aus. Ein unrentabler Arbeiter, der heute sofort entlassen würde.

Doch Gastons Fans, draußen in den Jugendzimmern, sahen in ihm stets den Freigeist, den Philosophen und Poeten. Einen Kämpfer gegen stupiden Bürokratismus, wie er jungen Leuten schon früh in Person von Grundschulbeamtinnen und Klavierlehrern begegnete. Gaston war (und ist) der große Bruder seiner Leser. Ein lässiges Vorbild in Jeans und Rollkragenpullover. Einer, der das Leben liebt. Und seinen stinkenden Oldtimer. Gaston, das wird in der Ausstellung deutlich, ist jener, der sein Zeichner immer gern gewesen wäre. Am Ende hätte Franquin eigentlich stolz sein können auf sein Lebenswerk. In Wirklichkeit aber litt er unter schweren Selbstzweifeln und Depressionen. Sein Todestag, der auch der Todestag von Gaston ist, jährt sich am 5. Januar zum 20. Mal.

Die Gaston-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou ist bis 10. April zu sehen. 11 bzw. 12 Uhr bis 22 Uhr. Außer Dienstag. Eintritt frei. Hergé im Grand Palais: Bis 15. Januar. Außer Dienstag. 13 Euro.

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