Süddeutsche Zeitung

Colorado:Zu früh freigelassen

Rene Lima-Marin saß zehn Jahre in Haft, dann kam er auf freien Fuß, baute sich ein neues Leben auf. Bis sich herausstellte: Seine Entlassung war ein Justizirrtum.

Von Kerstin Lottritz

Wer fast 100 Jahre Haft vor sich hat, kann kaum hoffen, das Gefängnis lebend zu verlassen. Umso mehr muss es Rene Lima-Marin verblüfft haben, als er im Jahr 2008 nach zehn Jahren hinter Gittern plötzlich freigelassen wurde. Zu 98 Jahren Gefängnis war er im Alter von 19 Jahren verurteilt worden - wegen schweren Raubes, Entführung und Einbruch. Völlig überraschend also war die lange Haftstrafe plötzlich für ihn vorbei.

Der US-Amerikaner nutzte seine zweite Chance im besten Sinne: Er verdiente seinen Unterhalt als Glaser, war in der Gewerkschaft aktiv, heiratete, bekam einen Sohn und kaufte ein Haus. Nebenher engagierte er sich in Jugendzentren, um Kriminalität vorzubeugen. Ein echter Vorzeigeamerikaner also. Doch dann entdeckte ein ehemaliger Staatsanwalt, dass die Freilassung von Rene Lima-Marin nicht hätte geschehen dürfen, und so muss der Familienvater nun vielleicht doch noch die restlichen Jahrzehnte seiner Haftstrafe verbüßen. Lima-Marin kämpft derzeit vor einem Gericht in Colorado um seine Freiheit. "Ich wurde meinen Kindern und meiner Frau weggenommen", sagte der 38-Jährige bei der Anhörung am Mittwoch unter Tränen. Er flehte den Richter an, ihn zu seiner Familie zurückzulassen. "Ich bin der Kopf des Haushaltes. Ich sollte ihn führen und leiten."

Als Rene Lima-Marin vor 18 Jahren wegen mehrerer Vergehen zu insgesamt 98 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, machte ein Gerichtsschreiber einen Fehler. Er notierte in der Akte, die Strafen für die Taten seien gleichzeitig zu verbüßen und nicht nacheinander, so wie es der Richter in einer Zeit harten Durchgreifens entschieden hatte. So kam Lima-Marin nach zehn Jahren frei.

Lange Zeit blieb der Fehler unentdeckt, bis der ehemalige Staatsanwalt in den Akten stöberte. Seit Januar 2014 ist Lima-Marin nun wieder in Haft. Das hat eine Welle der Empörung und des Mitgefühls ausgelöst. Fast 285 000 Menschen haben mittlerweile eine Online-Petition unterschrieben, in der Jasmine Lima-Marin die Freiheit ihres Mannes fordert. "Wollen wir als Gesellschaft wirklich akzeptieren, dass ein Justizfehler es rechtfertigt, eine Familie auseinanderzureißen", fragt seine Frau. Ihr Mann habe als Jugendlicher Straftaten begangen, die wolle sie nicht schönreden. Aber er habe als Räuber eine nicht geladene Waffe benutzt, niemand sei verletzt worden. Bezirksrichter Carlos Samour jr. machte dem Familienvater bei der Anhörung am Mittwoch jedoch keine Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung: "Ich werde Ihnen keinen Zeitrahmen nennen, weil ich mir Zeit nehmen werde."

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Quelle:
SZ vom 23.12.2016
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