Gewalttat in Colorado Springs:Wegrennen oder doch lieber kämpfen?

Gewalttat in Colorado Springs: Menschen haben vor dem "Club Q" in Colorado Springs Kerzen aufgestellt.

Menschen haben vor dem "Club Q" in Colorado Springs Kerzen aufgestellt.

(Foto: Damian Dovarganes/AP)

Ein Mann erschießt fünf Menschen in einem Club in Colorado, dann überwältigt ihn ein Partygast. Der wird nun als Held gefeiert - dabei hat er nicht das getan, was Experten in solchen Situationen raten.

Von Moritz Geier

Er hätte weglaufen können. Nicht nachdenken, nur rennen, weg von den Schüssen, weg von dem Horror, so wie Experten es dringend empfehlen in solchen Situationen. Er hätte sich auch verstecken können, hinter einem umgefallenen Tisch vielleicht, hätte in Deckung gehen können, wenn es keinen Ausweg mehr gab. Aber jener Mann, den sie in den USA jetzt als Helden feiern, hat sich nicht gehalten an die gängigen Handlungsmaximen.

Er hat sich den Schüssen genähert. Hat dem Mann, der mit einem Sturmgewehr und einer Handfeuerwaffe wahllos in die Gruppe der Feiernden schoss, eine Waffe entrissen und ihn damit niedergeschlagen, das hat der Bürgermeister von Colorado Springs der New York Times erzählt. Dann soll er den am Boden liegenden Täter, offenbar mit Hilfe mindestens eines weiteren Partygastes, so lange festgehalten haben, bis die Polizei eintraf.

Fünf Menschen hatte der 22-jährige Angreifer zuvor getötet, 18 weitere verletzt. Die Ermittler gehen von einem Hassverbrechen aus, der Club ist bei der LGBTQ-Szene beliebt, zum Tatzeitpunkt fand hier eine Transgender-Party statt. Und während sie jetzt im Land die Bruchstücke dieser Nacht zusammenkehren, spendet immerhin die Geschichte des mutigen Helden ein bisschen Trost. "Er hat Dutzende und Aberdutzende Leben gerettet", sagte der Clubbesitzer bei einer Trauerveranstaltung.

Aber zu den vielen Fragen, die nun zu klären sind, gehört womöglich auch die, ob die Handlungsanweisungen, die auch Schülerinnen und Schülern im Land für den Fall eines Amoklaufs beigebracht werden, eigentlich richtig sein können, wenn am Ende derjenige gefeiert wird, der sich nicht an sie hält?

Run, hide, fight, das ist der Dreisatz, den in den USA alle Jugendlichen runterbeten können, er gilt genauso für Erwachsene: Also sofort wegrennen, falls Schüsse fallen, das sei immer die beste Reaktion. Verstecken solle man sich, falls wegrennen nicht mehr möglich ist. Und kämpfen nur als Ultima Ratio. Eben nicht zu versuchen, der Held zu sein, das ist der Grundsatz dieser Handlungsmaxime: Rette dein Leben und bringe es nicht noch mehr in Gefahr.

Dem FBI zufolge sind beinahe 70 Prozent aller Amokläufe vorbei, bevor die Polizei eintrifft

Juliette Kayyem, eine Sicherheitsexpertin, die unter Ex-Präsident Obama im Heimatschutzministerium tätig war, hat diesen Grundsatz gerade öffentlich hinterfragt. In einem Gastbeitrag im Magazin The Atlantic schrieb sie, dass Fälle wie der in Colorado Springs zur Einsicht beitrügen, dass das Bekämpfen eines Todesschützen vielleicht doch eine sinnvolle Option sei in einer Zeit, "in der von Waffen, die nicht auf den Straßen sein sollten, so schnell so viel Schaden angerichtet werden" könne. Denn Polizisten können oft auch nicht mehr helfen: Dem FBI zufolge sind beinahe 70 Prozent aller Amokläufe vorbei, bevor sie eintreffen.

Der Angriff in Colorado dauerte dank des mutigen Partygastes nur rund eine Minute. Ob sein Handeln aber zur Maxime taugt, ist eine ganz andere Frage. Wer einen bewaffneten Mann überwältigen will, braucht nicht nur Geschick, sondern auch ganz viel Glück. 2019 starb ein 21-Jähriger, als er auf einen Schützen zustürmte, der in einem Klassenzimmer der University of North Carolina das Feuer eröffnet hatte. Trotzdem rettete er mit der Aktion seine Mitschüler.

"Ich bin nicht bereit zu sagen, dass meine jungen Kinder kämpfen sollen, wenn sie - Gott behüte - an einen Amokschützen geraten", so drückt Kayyem das Dilemma aus. "Aber ich bin bereit zuzugeben, dass ich mir womöglich wünsche, dass jemand vor Ort ist, der es für sie tut."

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