Colorado:Mutter von Columbine-Amokläufer: "Ich würde ihn bitten, mir zu verzeihen"

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Die Columbine High School am ersten Schultag nach dem Amoklauf

(Foto: REUTERS)

17 Jahre nach dem Amoklauf an der Columbine High School spricht Sue Klebold. Sie trage die Mitverantwortung am Tod ihres Sohnes - nicht aber am Massaker.

Von Sacha Batthyany

Am 20. April 1999 töteten Dylan Klebold und Eric Harris zwölf Schüler und einen Lehrer an der Columbine High School in Colorado. Es war der bis dahin schlimmste Amoklauf an einer amerikanischen Schule. Das Ereignis traumatisierte nicht nur die Angehörigen und die Überlebenden. Wie kamen ein 17-Jähriger und ein 18-Jähriger auf die Idee, selbst auf am Boden liegende Menschen zu schießen, sie mit Sprengstoff in die Luft jagen zu wollen? Welche finstere Macht trieb sie an? Und wer trug letztlich die Verantwortung: die Täter allein, die Eltern, die Aufsichtsbehörden, die Gesellschaft?

All diese Fragen stellt sich seit langem auch Sue Klebold. Als Mutter von einem der beiden Mörder entzog sich die frühere Lehrerin nach der unglaublichen Tat lange Zeit der Öffentlichkeit. Sie blieb allein mit ihrem Schmerz, ihrer Fassungslosigkeit. 17 Jahre nach Columbine hat sie ein Buch veröffentlicht: "Liebe ist nicht genug. Ich bin die Mutter eines Amokläufers". Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung fasst sie ihre Erkenntnisse zusammen und spricht offen über die Trauer, die sie seitdem begleitet. Sie habe damals zu wenig mit ihrem Sohn geredet, vor allem nicht die richtigen Fragen gestellt. "Ich war nicht da für ihn, vielleicht hätte ich ihn retten können. Dafür trage ich Verantwortung. Aber nicht für das Schulmassaker, nicht für die Tatsache, dass er die Schule in die Luft sprengen wollte."

"Für mich ist es heute so, als wäre er an Krebs gestorben"

Die Autorin sucht nach Gründen, warum ihr Sohn so abdriften und schließlich zum Mörder werden konnte. "Dylans Denken hatte sich so sehr verdüstert, dass er seinen moralischen Kompass verloren hatte. All die Werte, die er gelernt hatte, waren von seiner Störung überdeckt. Er begann, irrational zu denken und zu handeln. So sehe ich das heute. Irgendetwas ging schief in seinem Kopf, deshalb hat er anderen - und sich selbst - Schmerzen zugefügt. Er war krank. Für mich ist es heute so, als wäre er an Krebs gestorben."

Wenn sie heute von Amokläufen wie dem in München höre, dann brauche sie erst einmal etwas Abstand. Nach solchen Gewalttaten denke sie immer erst an die Eltern, "die irgendwo am anderen Ende der Welt leben und keine Ahnung haben von den geheimen Fantasien ihrer Kinder". Klebold: "Ich lese mir die Medienberichte erst Tage später durch, wenn das erste Getöse vorüber ist und die Spekulationen versiegen. Mich interessiert, ob der Täter suizidal war, ob er Medikamente nahm oder in Behandlung war. Und woher kamen die Waffen? Was wurde übersehen?"

Und was würde sie ihren Sohn fragen, wenn Sie ihn noch einmal sehen würde? Sue Klebold fällt die Antwort spürbar schwer. "Ich würde ihn bitten, mir zu verzeihen, dass ich ihm nicht geholfen habe. Dass ich nicht bemerkte, wie schlecht es ihm ging."

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