Süddeutsche Zeitung

Social-Media-Hype Clubhouse:Willkommen im Club

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Was heute die Social-Media-App Clubhouse ist, war früher die Burschenschaft. Über unsere unstillbare Sehnsucht, ständig irgendwo mit dabei sein zu müssen.

Von Martin Zips

"Rund um den Globus begehren Menschen Einlass in die angesagtesten Clubs", lautet der Werbetext der Schweizer Agentur. "Doch der bleibt vielen dauerhaft verwehrt. Private Member Clubs suchen sich ihr Publikum aus und nur, wer in den Besitz einer der seltenen Clubkarten kommt, wird auch an der Tür durchgelassen." Ein schrecklicher Zustand für all jene, die zwar nach sozialem Aufstieg dürsten, denen die Stufen zum Erfolg aber verschlossen bleiben. Die Agentur verspricht hier Abhilfe: "Suchen Sie nach einer Lösung, das eigene Ansehen durch exklusive VIP-Clubmitgliedschaften effektiv aufzuwerten, arrangieren wir für Sie hochkarätige Clubmitgliedschaften - entweder zum Schein oder tatsächlich", heißt es in dem Werbetext.

Vereine, Clubs, Logen, Zirkel - immer wieder scheitert der auf Erfolg getrimmte Mensch an seinen Nichtzugehörigkeiten. Waren es früher Burschenschaften oder "das Kränzchen", von denen er hätte profitieren können, so sind es heute die digitalen Communitys, deren Zugänge ihm oft vorenthalten bleiben. Schon seit Tagen wartet man ungeduldig etwa auf eine Einladung der neuen, angeblich sehr exklusiven Social-Media-App "Clubhouse". Doch sie kommt einfach nicht. Gehört man vielleicht schon längst nicht mehr dazu?

Nicht, dass all das eine neue Erfahrung wäre. Schon auf Instagram und Facebook war man oft ausgesperrt von vielem Interessanten, weil man als "Freund" nicht zugelassen wurde. Im Mittelalter, da legte der Absender sein Anliegen noch in einen dieser von den Balkonen herunterhängenden Körbe und schützte das Papier mit einem schweren Stein vor Wind. Alles in der Hoffnung, der Adressat im Obergeschoss werde die Nachricht schon irgendwann lesen. Und beantworten. Andernfalls bekam der Wartende nur "einen Korb". Heute wird er digital blockiert. Das ist zwar simpler, tut aber genauso weh.

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Man würde ja so gerne dazugehören zu dieser oder jener netten oder gar erfolgsversprechenden Seilschaft, vom Soziologen Nicholas A. Christakis und dem Politikwissenschaftler James H. Fowler gerne auch "Dictyonomie" genannt (von griechisch "dictyo", "Netz"). Und natürlich strebt man nach oben, so wie der junge Karl in Hans Falladas Roman. Karl: "Ich kann nicht essen - wenigstens so lange nicht, bis über meine Zukunft entschieden ist!" Die Haushälterin: "Da wird nicht viel zu entscheiden sein! Du wirst Verkäufer werden müssen, bei deinem Onkel Ernst!"

Nur dumm, dass es einem als "Karl 2021" an knallharten Klüngeln fehlt. Weder gehört man zu den Paladinen der Wirtschaft, noch trifft man im Golfclub auf irgendeinen Autokraten. Und Clubhouse antwortet immer noch nicht! Die Schweizer Agentur immerhin beruhigt: Schon früher sei es "nur einem sehr kleinen und elitären Kreis vorbehalten gewesen, Eintritt in die Clubs zu erhalten, in denen Künstler, Intellektuelle, Diplomaten und hochrangige Geschäftsmänner eingelassen wurden". Und bitte beachten Sie: "Schönheit, Reichtum und gesellschaftliches Ansehen alleine reichen noch lange nicht aus, um in den Genuss einer VIP-Clubmitgliedschaft zu kommen. Damals wie heute gelten Empfehlungen und Vitamin B als die besten Türöffner." Bei Interesse bitte melden.

Wenn nur nicht diese Zugangsbeschränkungen wären. Sie sorgen für zusätzlichen Stress. Mit künstlicher Verknappung (nicht mehr als 144 000 Himmelsplätze) waren schon die Zeugen Jehovas erfolgreich. Aber auch in angesagten Wohngemeinschaften wie dem Soho-House kommt das Glück als Limited Edition daher. Der Countdown läuft. Ein Viertel der Stellen in Deutschland werden laut dem Institut für Arbeitsmarktforschung nur aufgrund persönlicher Empfehlungen vergeben. Da hilft einem auch Groucho Marx nicht weiter, der keinem Club angehören wollte, der ihn als Mitglied nimmt.

Ein anderer Marx, Karl nämlich, empörte sich über die "Koterie", wie man die Freunderlwirtschaft noch zu seinen Lebzeiten nannte. Der Machtantritt eines Lords, so schrieb er 1859, habe "einer Koterie der herrschenden Klasse" das Signal gegeben, "herbeizustürzen und die Posten zu besetzen, die eben frei geworden waren, nachdem man die andere Koterie gewaltsam vertrieben hatte". Heute klingt das so: "Aufgrund unserer engmaschigen Zusammenarbeit mit einem globalen Partner-Netzwerk ist es uns möglich, Ihnen zum Schein eine eindrucksvolle VIP-Mitgliedschaft an die Hand zu reichen oder für Sie hochkarätige VIP-Clubmitgliedschaften zu arrangieren." So steht es im Werbetext der Agentur. "Nutzen Sie die Karte, um mit Prominenten, Künstlern und mit der High Society ins Gespräch zu kommen." Ob man hier endlich sein Passwort für Clubhouse bekommt?

Vielleicht sollte man es einfach so halten wie Thomas Mann. Der Literaturnobelpreisträger sagte einmal, er habe nie "einer Schule oder Koterie angehört, die gerade obenauf war". Und, klar, "ich bin darum auch nie von einer Schule getragen, von Literaten selten gelobt worden". Nach oben aber, wie man es gemeinhin so gerne nennt, hat er es dennoch geschafft.

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