Chronologie des Mordfalls Lena:Zwei Nächte unschuldig in U-Haft

Die elfjährige Lena stirbt am Samstagabend in einem Emder Parkhaus. Am Dienstag nimmt die Polizei einen tatverdächtigen Schüler fest. Der gesteht die Tat nicht und wird am Freitag wieder freigelassen - die Staatsanwaltschaft hat keine Zweifel an der Unschuld des Jugendlichen. Die Suche nach dem Täter geht weiter. Ein Überblick über die bisherigen Ereignisse.

Im Mordfall des elfjährigen Mädchens aus Emden ist ein bislang dringend tatverdächtiger 17-jähriger Berufsschüler, der in Untersuchungshaft saß, wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Polizei und Staatsanwaltschaft schließen ihn als Täter aus. Zur Frage, ob es einen anderen Verdächtigen gebe, macht die Polizei keine Angaben. Ein Überblick über die bisherigen Ereignisse.

[] Samstag, 24. März, gegen 17:00 Uhr: Das elfjährige Mädchen und ein gleichaltriger Freund brechen von zu Hause mit ihren Fahrrädern auf. Sie wollen in den Emder Wallanlagen Enten füttern.

[] Samstag, 24. März, 17:30 bis 19:00 Uhr: Während dieser Zeit geschieht die Tat. Die beiden Kinder halten sich zunächst in der Nähe des Parkhauses neben einem Kino auf. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Junge während des Verbrechens nicht dabei war. Er läuft nach Hause und informiert seine Mutter, dass er seine Freundin verloren hat. Diese verständigt die Eltern des Mädchens. Bei der Suche im Parkhaus entdecken ein Wachmann und die Mutter Lenas Leiche in einem Notausgang.

[] Samstag, 24. März, 19:30 Uhr: Die Polizei wird alarmiert und untersucht den Tatort. Das tote Mädchen wird zur Obduktion in die Gerichtsmedizin nach Oldenburg gebracht. Die Polizeiinspektion Leer/Emden richtet die Mordkommission "Parkhaus" mit 40 Beamten ein.

[] Sonntag, 25. März, 17:46 Uhr: Die Polizei verbreitet eine erste Pressemitteilung über das Verbrechen. Die Auffindesituation und das Ergebnis der Obduktion wiesen eindeutig auf ein Gewaltverbrechen hin, teilen Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Der Täter sei flüchtig, die Tatumstände noch unklar.

[] Montag, 26. März, 09:00 Uhr: Die Emder Polizei teilt mit, dass sie mit Hochdruck nach dem Täter fahnde. "Es wird jedem einzelnen Hinweis nachgegangen", sagt eine Polizeisprecherin. Die Mordkommission wertet dabei auch die Videoaufzeichnungen aus dem Parkhaus aus.

[] Montag, 26. März, 18:00 Uhr: 1500 überwiegend junge Menschen treffen sich nach Aufrufen im Internet auf dem Emder Bahnhofsvorplatz zu einer Schweigeminute. Anschließend legen sie Blumen vor dem Parkhaus nieder und zünden Kerzen an. Der Leiter der ermittelnden Mordkommission, Werner Brandt, gibt erste Details der Ermittlungen preis: "Wir suchen nach einem dunkel gekleideten Jugendlichen oder jungen Mann", außerdem sei die Tat "eindeutig sexuell motiviert" gewesen.

[] Dienstag, 27. März: Im Laufe des Nachmittags stellen die Ermittler zwei Sequenzen aus der Videoüberwachung des Parkhauses ins Internet, um mehr Hinweise aus der Bevölkerung zu bekommen. Zudem setzt die Stadt Emden eine Belohnung von 10.000 Euro aus.

[] Dienstag, 27. März, gegen 19:00 Uhr: Die Polizei nimmt einen 17 Jahre alten Emder in der Wohnung seines Vaters fest, die in der Nähe des Tatorts liegt. Noch am selben Abend wird der junge Mann vernommen - er legt kein Geständnis ab. Den Tipp gab ein 15-jähriger Schüler, der den Verdächtigen auf einem Parkhaus-Video am Gang erkannt haben will.

Noch am selben Abend ruft ein 18-Jähriger über Facebook dazu auf, die Emder Polizei zu stürmen und den mutmaßlichen Täter herauszuholen. Der Inspektionsleiter Martin Lammers zeigt sich darüber verärgert. Er spricht später von 50 Menschen, die bis zum frühen Morgen um vier Uhr vor der Polizeiwache die Herausgabe des 17-Jährigen forderten. Er appelliert: "Unterlassen Sie das, und lassen Sie die Polizei ihre Arbeit machen." Er kündigt an, strafrechtlich gegen den Initiator vorzugehen.

[] Mittwoch, 28. März: Auf Facebook wird ein "Kondolenzbuch für den kleinen Emder Engel" eröffnet. Die Seite zählt bis Mittwochnachmittag mehr als 8500 Mitglieder. Viele von ihnen sprechen den Eltern und Angehörigen ihr Beileid aus. "Ruhe in Frieden ..., man findet einfach keine Worte", schreibt ein User. Ein anderer Eintrag lautet: "Zurück bleiben Trauer, Verzweiflung, Tränen und die Fragen nach dem Warum."

[] Mittwoch, 28. März, gegen 18:45 Uhr: Das Amtsgericht Emden erlässt einen Haftbefehl gegen den Berufsschüler. Der 17-jährige Verdächtige räumt auch vor dem Haftrichter die Tat nicht ein. "Er hat sich zur Sache eingelassen, aber kein Geständnis abgelegt", sagt eine Polizeisprecherin. Dennoch gebe es "Verdachtsmomente, die für den Verdächtigen als Täter sprechen". Er wird in Untersuchungshaft genommen. Alle Annahmen bleiben weiterhin vage Spekulation. Mehr Klarheit soll eine Auswertung der DNS-Spuren bringen.

[] Mittwoch, 28. März, abends: Die Angststarre in der ostfriesischen Hafenstadt scheint sich zu lösen. "Eine gewisse Erleichterung ist da", sagt Oberbürgermeister Bernd Bornemann (SPD) nach der Festnahme des Mannes. Ungeachtet aller Unschuldsvermutungen kursieren angebliche Namen und die Adresse des Verdächtigen im Internet. "Die Angaben im Internet sind alle nicht wirklich verifizierbar und mit Vorsicht zu genießen", warnt Stadtsprecher Jens Gerdes, "die Spekulationen bekommen durch die dünne Faktenlage eine enorme Dynamik."

[] Donnerstag, 29. März, 10:00 Uhr: Ermittler informieren über den bisherigen Ermittlungsstand. Gericht und Staatsanwaltschaft vermuten, dass der Mann das Mädchen "bewusst" umgebracht habe, um eine vorangegangene Sexualstraftat zu vertuschen, sagt der Direktor des Amtsgerichts Emden, Otto Hüfken: "Das wäre ein Mordmerkmal, dadurch würde es sich um Mord und nicht um Totschlag handeln." Die Bild-Zeitung berichtet vorschnell "Die Kripo ist sicher: Der Killer ist ein Schüler!", obwohl die Ermittlungen der Polizei noch nicht abgeschlossen sind.

[] Donnerstag, 29. März, 12:00 Uhr: Auf einer Pressekonferenz teilen die Ermittler mit, dass sich der mutmaßliche Mörder bei seinen Vernehmungen in Widersprüche verwickelt hat. Der Verdächtige habe zwar Fragen der Polizei zu einem möglichen Alibi beantwortet, sagt der Leiter der Mordkommission, Werner Brandt. Diese Angaben hätten jedoch "gestürzt" werden können. "Er hat kein Alibi zur Tatzeit". Die Polizei geht weiterhin allen Hinweisen nach. Am Tatort seien zwar "möglicherweise DNS-fähige" Spuren gefunden worden, sagt Brandt. Ein Abgleich mit Genmaterial des Verdächtigen stehe aber noch aus.

[] Freitag, 30. März, 11:00 Uhr: Überraschende Wende: Der 17-Jährige ist entlastet und wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft hat keine Zweifel an der Unschuld des freigelassenen Jugendlichen. "Wir haben Fakten vorliegen, die eine Täterschaft des Jugendlichen ausschließen", sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck in Emden. Ob die Analyse von DNS-Spuren im Landeskriminalamt in Hannover dazu beitragen hat, bleibt offen. Zur Frage, ob es einen anderen Verdächtigen gebe, macht die Polizei keine Angaben.

[] Freitag, 30. März, 11:30 Uhr: Lena wird im engsten Familienkreis und unter strengem Polizeischutz auf dem Emder Stadtfriedhof beigesetzt. Nur einem Kamerateam und einem Fotografen werden die Teilnahme erlaubt.

[] Freitag, 30. März, 12:30 Uhr: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht sich für harte Strafen nach Aufrufen zur Lynchjustiz aus. Der Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut sagt, wer hinter den "Lynchaufrufen steckt, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen". Es dürfe nicht toleriert werden, dass "einige soziale Netzwerker glauben, in unserem Rechtsstaat Wild-West-Methoden wiederbeleben" zu können. Witthaut erklärt, in einem solchen Mordfall arbeiteten die ermittelnden Beamten unter enormen Zeitdruck und unter dem Brennglas von Medien und Bevölkerung. Die "aufgebrachte Menschenmenge" vor der Emdener Polizeiinspektion sorge für eine "zusätzliche, unnötige und nicht zu akzeptierende Störung".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: