"Das gelbe Fieber soll euch vor allem am heutigen Tag wieder kräftig befallen", ruft der kaiserliche Zeremonienmeister während des Empfangs der chinesischen Ehrengäste im Dietfurter Rathaus. Nach mehreren Schlägen auf einen Gong erscheint Kaiser "Fu-Gao-Di". Er zieht vorbei an Zhang Yue, dem wahrhaftigen, aus München angereisten Generalkonsul der Volksrepublik China. Als er den falschen Kaiser sieht, fragt der Generalkonsul: "Muss ich mich jetzt vor Ihnen verneigen?" Da lachen alle.
Es ist wieder Chinesen-Fasching im Altmühltal. Das hat Tradition im oberpfälzischen Dietfurt: Seit 1954 wird der Ort am "Unsinnigen Donnerstag" zu "Bayrisch China". Gerade schüttelt Vizebürgermeister Oliver Kuhn dem echten Generalkonsul die Hand. Sein Gesicht hat sich Kuhn für den Chinesen-Fasching gelb gefärbt; manche würden von "Yellowfacing" sprechen. Auch Franziskanerpater Johannes-Matthias Tumpach trägt fernöstliche Faschingstracht. Weil das eben so ist, in Bayrisch China. Generalkonsul Zhang wird im Rathaus mit einem Faschingsorden geehrt, im Beisein von Dutzenden chinesischen Berichterstattern. Dann rufen die Dietfurter: "Kille Wau!" Einen Sinn hat der Spruch nicht, klingt aber irgendwie chinesisch. Draußen auf dem Rathausplatz, den sie an diesem Tag wieder "Platz des Himmlischen Friedens" nennen, schmettern die Narren derweil das Lied: "Wir singen alle laut Tschei Mitschi Tscheng./Das ist das Zauberwort, ihr wird's es seng." Seng ist Oberpfälzisch für sehen.
All das soll mit dem Steuereintreiber des Bischofs von Eichstätt begonnen haben. Der habe seinem Oberhirten einst geklagt, die Dietfurter hätten sich vor ihm "wie die Chinesen hinter ihrer Mauer" verschanzt. Eine mittelalterliche Legende. Gut für den Fasching.
Vor exakt 18 Jahren war der SZ-Reporter schon einmal hier. Das Goethe-Institut hatte der SZ damals die 23-jährige Studentin Hu Wei aus Ningbo als Begleiterin vermittelt. Hu Wei war damals noch ganz allein unter lauter gelb geschminkten Dietfurtern. Als der damalige Kaiser "Ko-Houang-Di" auf seinem Prachtwagen vor dem Gasthaus Scheippl an der jungen Frau vorbeifuhr, da sagte sie sehr ernst: "Das ist so, als würden wir uns in China über den Papst lustig machen." Ein leicht angetrunkener Dietfurter Junge fragte sie sodann: "Gibst ma a Busserl, Wei?"
Seitdem hat sich viel verändert. Heutzutage diskutiert man darüber, ob manche Karnevalskostüme nicht ziemlich rassistisch, sexistisch, beleidigend, herabsetzend oder diskriminierend seien. Im Rheinland haben sich die "Frechener Negerköpp" kürzlich in "Wilde Frechener" umbenannt, im Kölner Gürzenich musste sich der Redner Bernd Stelter von einer Frau mit Doppelnamen beschimpfen lassen, weil er einen Witz über Frauen mit Doppelnamen gemacht hatte. Und in den Niederlanden malen sie den Nikolaus-Helfer "Zwarte Piet" mittlerweile lieber grün an als schwarz. Auch das mit dem Busserl war früher für den ein oder anderen womöglich ein bisschen leichter. Es ist halt das Zeitalter der Political Correctness. Und Hu Wei? Sie ist heute Germanistik-Professorin in Peking. Ja, sie erinnere sich noch gut, antwortet sie per Mail. Aber diesmal könne sie wirklich nicht mitkommen zum Chinesen-Fasching. Die vielen Vorlesungen, ihre Familie, die Entfernung und: "Die Welt hat sich drastisch verändert." Ob sich auch der Dietfurter Fasching verändert hat?
"Tschei ei ei ei Mitschi Tscheng", singen auch an diesem Unsinnigen Donnerstag wieder Tausende vor dem Rathaus. Von einer Art Wachturm aus begrüßen zwei Kommentatoren außer dem neuen Wirt des Dietfurter China-Restaurants, Herrn Yuen, sowie Generalkonsul Zhang auch alle "Fischköppe aus Norddeutschland", die "Rothäute" vom "Indianerstamm Verflixte Gmixde" und die Vertreter des Riedenburger "Zigeuner-Faschings". Als der Umzug nicht mehr enden will, verlässt Franziskanerpater Tumpach ein bisschen genervt die Ehrentribüne. "Die wollten, dass wir echten Mönche oben auf der Bühne dem Faschings-Kaiser huldigen", seufzt er bei einer Zigarre. "Das haben wir natürlich nicht gemacht."
Echte Chinesen sind - anders als noch vor 18 Jahren - diesmal gleich zu Hunderten in Dietfurt angereist. Yang Ying und Guangwei Pan aus München zum Beispiel, die sich gerade über die Schriftzeichen an einem Geschäft Gedanken machen: "Versteht man nicht." Oder ein Arzt aus Shanghai. Er sagt: "Ich find's einfach nur lustig und fotografiere." "Dietfurt ist in China sehr bekannt", sagt Generalkonsul Zhang in perfektem Business-Englisch. "Das Staatsfernsehen hat schon oft berichtet." Einer seiner Mitarbeiter klaubt unter der Ehrentribüne Bonbons und anderes Wurfmaterial auf.
Kaiser von Dietfurt, jahrzehntelang war das der Friseur Hans Geyer. Friseure werden in der Oberpfalz "Bodawaschl" genannt, also kürte man Geyer zum Kaiser "Boo-Da-Washy". Er starb im Jahr 2000, kurz vor dem Fasching. Sein Nachfolger, der gelernte Maurer Manfred Koller, sagt ein paar Tage vor dem Spektakel beim Mittagessen im Restaurant von Herrn Yuen: "Wir sehen Bayrisch China als wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung."
Der Name "Fu-Gao-Di" spiele nicht nur auf Gaudi an, sondern bedeute auch: "Glücksbringender großer Kaiser". Dietfurt (6000 Einwohner) pflege eine Städtepartnerschaft mit Nanjing (8,3 Millionen Einwohner), auch im Altmühltal gewönnen asiatische Firmen an Einfluss. Und auf Chinesen-Witze, wie aus dem "R" ein "L" zu machen, also aus Metzgerei "Metzgelei", verzichte man mittlerweile. Auch den Satz "Vom Neger bis zum Eskimo/alles fangt zu rennen o" habe er aus einer Rede gestrichen. "Von Jahr zu Jahr werden wir besser", meint Koller, dessen Gesicht seit 19 Jahren auch privat ein filigraner Mandarin-Bart schmückt. "Ihr macht das wirklich gut", lobt Wirt Yuen und legt Koller die Hand auf die Schulter. "Ich kann das beurteilen." Seit einem halben Jahr ist Yuen zusammen mit seiner Familie der einzige echte chinesische Bürger Dietfurts. Sein Lokal am örtlichen Sportplatz laufe wunderbar. Nur während des Karnevals komme er wegen der vielen Feste auf kaum mehr als drei Stunden Schlaf pro Nacht. "Macht aber nichts."
Hat Bayrisch China also eine Zukunft? Generalkonsul Zhang meint: "Im Karneval sind solche Kostüme doch kein Problem." Dann schaut er den Reporter streng an: "In China machen wir das auch." Sein Mitarbeiter mit Krawatte präzisiert, sehr ernst: "Ok-to-ber-fest." Na dann.