Von der alten Kaiserstadt Xi'an nach Chengdu zum Beispiel, 643 Kilometer sind das, über karge Lössplateaus und durch wilde zerklüftete Berglandschaft. Wenn man 1987 die Strecke fuhr - "Hart schlafen", das kostete nur die Hälfte -, brauchte der Zug dafür einen Tag und eine Nacht. Im Durchschnitt brachte er es auf keine 30 Kilometer pro Stunde; dafür gab es Spucknäpfe und gratis heißes Wasser. Bis heute brauchen die alten Züge 16 Stunden für die Strecke. Noch in diesem Jahr aber werden auch hier die neue Zeit und die neuen Züge Einzug halten, und zwar mit WLAN und USB-Anschlüssen. Neue Fahrtzeit: drei statt 16 Stunden.
Chinas KP-Chef Xi Jinping hat dann seine eigene Eisenbahn: Das Land bekommt neue Hochgeschwindigkeitszüge, und sie hören dem Parteichef und seiner Politik zu Ehren alle auf den Namen "Fuxing", was man als Erwachen, Erneuerung oder Wiedergeburt übersetzen kann. Und wie sich das gehört für den Mann, der in seinem "Chinesischen Traum" nicht weniger verspricht als eben die Wiedergeburt der chinesischen Nation, sind Xis neue Züge nun die schnellsten der Welt - ein Geschenk des Staatsapparates an den Parteichef kurz vor dem großen Krönungsparteitag im Oktober.
Der Shinkansen und der TGV kommen nicht über 320 hinaus
Zwischen Peking und Shanghai fahren sie schon, seit ein paar Tagen. Einmal quer durch China von der Hauptstadt im Norden zur Wirtschaftsmetropole im Süden. 1318 Kilometer. Vierzehn Mal am Tag ist das nun in genau vier Stunden 28 Minuten zu schaffen. Die Staatspresse jubelt seit Tagen: Chinas Hochgeschwindigkeitszüge dürfen endlich wieder zeigen, was in ihnen steckt, die Regierung hat ihnen vergangene Woche die Bremse gelöst: 350 Kilometer pro Stunde sollen die weißen Pfeile auf der Strecke Peking - Shanghai nun wieder fahren dürfen statt 300 in den vergangenen Jahren. Endlich wieder Nummer eins. Der Shinkansen in Japan und der TGV in Frankreich kommen im täglichen Betrieb schließlich nicht über 320 hinaus. Der deutsche ICE 3 hat eine zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 330 Kilometern pro Stunde, fährt aber im Durchschnitt deutlich langsamer. "Schnell wie eine Kugel", freut sich China Daily.
China entdeckte die Hochgeschwindigkeitsbahn erst spät. Aber das Land gab von Anfang an Vollgas. Die erste Strecke war die von Peking in die Nachbarstadt Tianjin, eröffnet zu den Olympischen Spielen 2008: Die Züge schafften die knapp 120 Kilometer in einer halben Stunde. Fühlte sich an wie Vorort-S-Bahn. Mit einem Mal begannen Leute, von Tianjin nach Peking zur Arbeit zu pendeln. Und das war erst der Anfang. China hat heute das größte Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt, mehr als 20 000 Kilometer sind es, bis zum Jahr 2030 sollen noch einmal 10 000 Kilometer dazukommen. Die Züge veränderten in kurzer Zeit das Land. Überall in China wurden an den neuen Bahnhöfen neue Satellitenstädte aus dem Boden gestampft. Und viele Reisende stiegen vom Flieger auf den Zug um. Chinas Flieger sind notorisch verspätet, die Züge hingegen pünktlich. Die Eisenbahnbehörde meldet Jahr für Jahr einen Zuwachs von fast einem Drittel mehr Reisenden.
Allerdings sorgte sie nicht immer für positive Schlagzeilen. Im Jahr 2011 entgleiste einer der Hochgeschwindigkeitszüge bei Wenzhou und stürzte eine Brücke hinab. Danach wurde die Geschwindigkeit gedrosselt, es galt von da an die Obergrenze von 300 Kilometern pro Stunde, die erst jetzt wieder aufgehoben wurde. Der Unfall warf ein Schlaglicht auf die gewaltige Korruption im Eisenbahnsektor, auf Pfusch und Nepotismus. Im Jahr 2013 wurde das Eisenbahnministerium aufgelöst, der korrupte Minister vor Gericht gestellt (das Publikum bestaunte seine mehr als 100 Wohnungen und angeblich 18 Mätressen). Das Ministerium hinterließ einen sagenhaften Schuldenberg von umgerechnet 426 Milliarden Dollar. Bis heute weisen Kritiker immer wieder darauf hin, dass fast alle Hochgeschwindigkeitsstrecken Verlust einfahren - die Verbindung zwischen Peking und Shanghai ist hier die große Ausnahme.
Bislang trugen Chinas schnelle Züge alle den Namen "Hexie", Harmonie. Taufpate war dabei der alte Parteichef Hu Jintao gewesen, er hatte als Ziel die Schaffung einer "harmonischen Gesellschaft" ausgerufen. Hu galt als schwacher Führer. Xi Jinping hat längst klargemacht, dass er seinen Vorgänger vergessen machen will. "Tschüss Harmonie!", hieß es diesen Sommer bei der Vorstellung der neuen Züge in einem spöttischen Social-Media-Kommentar der Pekinger Global Times. Die neuen Züge sollen nun nicht nur die schnellsten der Welt sein, die Staatsmedien berichten stolz, es seien auch die ersten, die komplett in China selbst hergestellt würden. Gerne übergangen wird dabei die Tatsache, dass weiterhin Technik von ausländischen Firmen wie Siemens verbaut wird. Egal. Xis "Wiedergeburt"-Flitzer sollen Hus "Harmonie"-Züge auf allen Feldern überholen.