Süddeutsche Zeitung

Nach den Explosionen in Tianjin:Angst vor der Giftwolke

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Angst vor toxischer Belastung

Nach zwei Serien von Explosionen auf dem Hafengelände in der nordchinesischen Metropole Tianjin geht nun die Angst vor gefährlichen Chemikalien um. Die Behörden ordneten eine Evakuierung des Gebiets in einem Umkreis von drei Kilometern an. Der Zeitung Beijing News zufolge begann die Polizei am Morgen damit, die Menschen in Sicherheit zu bringen. Über Lautsprecher wurden die Menschen aufgerufen, das Gebiet zu räumen. Augenzeugen berichteten von Verwirrung und einer chaotischen Lage.

Die Polizei richtete Straßensperren ein. Auch eine vorübergehende Unterkunft in einer Grundschule für Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben, wurde geräumt. Als Grund für die Evakuierung nannten die Behörden der Nachrichtenagentur Xinhua zufolge drehende Winde - was darauf schließen lässt, dass tatsächlich giftige Gase befürchtet werden. Die Menschen wurden auch aufgefordert, einen Mundschutz zu tragen.

Natriumcyanid und weitere giftige Substanzen

Die Behörden haben inzwischen bestätigt, dass hochgiftiges Natriumcyanid und andere gefährliche Chemikalien wie die brandfördernden Substanzen Kaliumnitrat und Ammoniumnitrat am Unglücksort gelagert worden waren. Die genaue Menge sei unklar. Natriumcyanid soll bereits in Abwasserproben in der Gegend nachgewiesen worden sein. Die Zersetzung von Ammoniumnitrat kann bei höheren Temperaturen zu Detonationen führen. In Deutschland fällt seine Handhabung daher unter das Sprengstoffgesetz.

Einem Bericht der Zeitung Xinjingbao zufolge, der später der Zensur zum Opfer fiel, sollen allein 700 Tonnen Natriumcyanid auf dem Containergelände untergebracht gewesen sein. Die Substanz ist beim Kontakt mit Wasser hochentflammbar. Die Agentur China News Service berichtete, es seien auch Tanks mit den leichtentzündlichen Flüssigkeiten Methanol oder Ethanol explodiert.

In der Luft von Tianjin soll ein schlechter Geruch hängen. Menschen beklagten gereizte Atemwege. Feuerwehrleute nahe des Unglückortes hätten tränende Augen, berichteten Augenzeugen.

Erneute Explosionen am Samstag

Am Mittwoch war es in Tianjin zu enormen Detonationen gekommen, bei denen mindestens 104 Menschen ums Leben kamen und viele verletzt wurden. Zudem werden noch zahlreiche Menschen vermisst. Am Samstagmorgen erschütterten dann weitere Explosionen die Unglücksstelle.

Wie die Nachrichtenagentur China News Service berichtete, sei am Samstag plötzlich wieder ein größeres Feuer aufgeflammt. Reporter vor Ort hätten sieben oder acht Explosionen gehört. Starker Rauch sei von mindestens drei Stellen hochgestiegen, berichtete die Agentur.

Angehörige stürmen Pressekonferenz

Aufgebrachte Angehörige von vermissten Feuerwehrleuten stürmten eine Pressekonferenz und wurden von Sicherheitskräften zurückgedrängt. Nie zuvor in der Geschichte der Volksrepublik sind bei einem Unglück so viele Feuerwehrleute ums Leben gekommen wie in Tianjin.

"Als die Explosion passierte, waren Feuerwehrleute dabei, den Brand zu löschen, und Nachschub war gerade eingetroffen. Sie wurden völlig überrascht, so dass die Opferzahl hoch ist", sagte der Chef der Feuerwehr von Tianjin.

Die Feuerwehrleute waren zu dem Einsatz in dem Gefahrgutlager gerufen worden, ohne zu wissen, was dort brannte oder gelagert war. Die hohe Opferzahl löste Diskussionen aus, ob Feuerwehrleute für solche Situationen ausreichend ausgebildet sind.

Die Bergungsarbeiten kommen angesichts der anhaltende Gefahr durch die Chemikalien nur langsam voran. Mehr als 1000 Feuerwehrleute sind im Einsatz. Zudem rückte ein Team von Militärspezialisten im Umgang mit gefährlichen Chemikalien ins Trümmergebiet vor, um nach Überlebenden zu suchen, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete.

Papst betet für Opfer

Papst Franziskus hat den Opfern der Explosionskatastrophe sein Mitgefühl ausgesprochen. Er bete für alle Betroffenen des Unglücks, sagte er beim Angelusgebet auf dem Peterplatz in Rom.

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