China nach dem Erdbeben:"Amputieren statt heilen"

Mehr als 2000 Menschen konnten nach dem Beben in China lebend geborgen werden. Doch die medizinische Versorgung ist katastrophal, Zehntausende Obdachlose mussten bei null Grad im Freien übernachten.

Nach dem verheerenden Erdbeben mit mehr als 600 Toten im tibetischen Hochland im Westen Chinas sind die Bergungsarbeiten angelaufen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mussten Zehntausende Obdachlose die Nacht zum Donnerstag im Freien verbringen. Nach einer Meldung des staatlichen Hörfunks wurden 2038 Menschen lebend geborgen.

Die Erdstöße der Stärke 7,1 hatten die Stadt Jiegu, den Verwaltungssitz der Präfektur Yushu, im Süden der Provinz Qinghai zu 80 Prozent zerstört. Etwa 15.000 Häuser seien eingestürzt, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Bergungstrupps suchten in den Trümmern nach Verschütteten. Es fehle dringend an medizinischer Hilfe, Medikamenten, Nahrung und Trinkwasser.

Hilfe läuft schleppend an

Die Zahl der Verletzten, die am Vortag auf 10.000 geschätzt wurde, gaben die Behörden am Donnerstagmorgen mit etwa 8000 an. Etwa 100.000 Menschen seien von dem Erdbeben betroffen. Einige tausend Rettungskräfte und medizinisches Personal aus den Nachbarprovinzen wurden mobilisiert.

Die Hilfe für das weit abgelegene Erdbebengebiet lief aber nur langsam an. Erdrutsche hatten die Straße zum Flughafen blockiert. Inzwischen konnte aber eine behelfsmäßige Umgehung gebaut werden. Vizeministerpräsident Hui Liangyu traf am Mittwochabend im Erdbebengebiet ein, um die Rettungsarbeiten zu koordinieren, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete.

Das Militär organisierte Transportflugzeuge, um Hilfsgüter nach Yushu zu bringen. Tausende Zelte sowie Zehntausende wattierte Decken und Mäntel wurden für die Erdbebenopfer bereitgestellt. Mindestens 56 Schüler sind in eingestürzten Schulen ums Leben gekommen, berichteten chinesische Staatsmedien.

"Ich habe Hunger und Durst"

Etwa 50 in den Trümmern vermisste Schüler einer Grundschule und einer Berufsschule hätten nur geringe Chancen zu überleben. Die geretteten Schüler brauchten Hilfe. "Alle Schüler halten sich auf dem Spielplatz auf und haben kein Trinkwasser und keine Nahrung", sagte der Funktionär Xiao Yuping von der Bildungsbehörde der Nachrichtenagentur Xinhua.

In der zerstörten Stadt Jiegu seien mehr als 40 Zelte aufgebaut worden, während die meisten Obdachlosen aber in der kalten Nacht auf sich alleingestellt waren. "Ich habe Hunger und Durst. Wir warten seit heute früh auf Hilfe", sagte Zhaxi Toinzhub, deren drei Kinder noch unter den Trümmern begraben waren, laut Xinhua.

Mit Händen oder Eisenstangen gruben die Menschen nach Verschütteten. Es fehlte an schwerem Räumgerät. Viele Menschen flüchteten mit Autos oder Traktoren aus dem Erdbebengebiet. "Es gibt nichts zu essen", klagte ein Polizist.

Die vielen Verletzten konnten nicht oder nur notdürftig behandelt werden. In einem Zelt auf dem Spielplatz der Sportkommission lag der 55-jährige Tsering Dorje in den Armen seiner Frau im Koma, nachdem ihm der Arm in einer einstündigen Operation amputiert werden musste. "Mein Mann lag begraben unter den Trümmern", sagte sie laut Xinhua.

Die Familie befürchtete, dass er nicht überleben werde. "Wir konnten ihn nicht in ein Krankenhaus bringen. Die meisten Kliniken sind eingestürzt oder zu gefährlich", sagte der Arzt Karma Sherab. "Das einzige, was wir tun können, ist, Wunden mit einfachen Mitteln zu reinigen oder schlicht zu amputieren statt zu heilen."

Einer Mutter, die mit ihrer im Gesicht blutenden, 20-jährigen Tochter Hilfe suchte, zeigte der Doktor seine leere Arzttasche. "Uns fehlt alles. Wir haben keinen Alkohol, keine Nadeln, keine Betäubungsmittel", sagte Karma Sherab in dem Xinhua-Bericht.

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