Flugzeugabsturz in China:Eine Maschine fällt nicht einfach vom Himmel

Flugzeugabsturz in China: An der von Bergen umgebenen Absturzstelle bei Wuzhou in der Autonomen Region Guangxi haben die Rettungskräfte neben Trümmerteilen auch Ausweisdokumente und Geldbörsen gefunden.

An der von Bergen umgebenen Absturzstelle bei Wuzhou in der Autonomen Region Guangxi haben die Rettungskräfte neben Trümmerteilen auch Ausweisdokumente und Geldbörsen gefunden.

(Foto: Uncredited/dpa)

Mehr als zehn Jahre lang gab es in China keine großen Flugzeugunfälle. Umso mehr wird nach dem Unglück im chinesischen Internet über die Ursache spekuliert. Jedes kleine Detail kann jetzt zur Aufklärung beitragen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es sind lange Zahlenkolonnen, die derzeit Rätsel aufgeben. Sie beschreiben, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Höhe die Boeing 737-800 der China Eastern Airlines in den letzten Minuten ihres Fluges unterwegs gewesen ist, bevor die Maschine am Montag in ein bergiges Waldgebiet nahe der Stadt Wuzhou krachte. Alle 132 Menschen an Bord des Fluges MU5375 von Kunming nach Guangzhou sind dabei vermutlich ums Leben gekommen, die Behörden haben aber noch keine offiziellen Opferzahlen bekannt gegeben.

Die am Flughafen Guangzhou wartenden Angehörigen wurden Medienberichten zufolge nicht direkt über den Absturz informiert, sie erfuhren von dem Unglück wie die meisten Chinesen über die sozialen Medien. In den Hauptnachrichtensendungen des Staatsfernsehens war der Absturz dann das bestimmende Thema. Staatspräsident Xi Jinping sagte, er sei "schockiert", und ordnete um­fassende Rettungsaktionen sowie eine Untersuchung des Unfalls an.

Es ist das erste große Flugzeugunglück in China seit mehr als zehn Jahren. Und eines, das die Sicherheitsexperten bislang vor Rätsel stellt. Über die Ursache des Unglücks wurde am Montag in Chinas Internet wild spekuliert. Was man weiß, ist: Die knapp sieben Jahre alte 737-800 war in gutem Wetter auf 29 000 Fuß (knapp neun Kilometer) Reiseflughöhe unterwegs, als sie von einem Moment auf den anderen mit einer Sinkrate von fast 31 000 Fuß pro Minute nahezu senkrecht zu Boden schoss. Zum Vergleich - das ist mehr als das Zehnfache eines normalen Sinkfluges und etwa hundert Mal so viel wie unmittelbar vor einer Landung. Die Arbeit der Unfall-Untersuchungskommission wird sich darauf konzentrieren, zu verstehen, was genau in diesem Moment eigentlich passiert ist. Es muss etwas extrem Ungewöhnliches gewesen sein: Unfälle sind sowieso äußerst selten und dass eine Maschine mitten im Reiseflug plötzlich vom Himmel fällt, kommt so gut wie nie vor.

China Eastern hat ihre mehr als 100 übrigen 737-800 für den Moment aus dem Verkehr gezogen und deswegen Hunderte Flüge storniert. Andere chinesische Airlines setzen die Maschinen aber weiter ein. Die 737-800 ist das Vorgängermodell der 737 MAX, die in China nach zwei Abstürzen in Indonesien und Äthiopien immer noch nicht wieder eingesetzt wird. Die für die MAX-Abstürze ursächliche Flugsteuerungssoftware ist an Bord der 737-800 nicht verbaut.

Flugzeugabsturz in China: Mit einer buddhistischen Zeremonie, bei der Kerzen angezündet werden, wird auf einem Feld nahe der Unglücksstelle der Opfer des Flugzeugabsturzes gedacht.

Mit einer buddhistischen Zeremonie, bei der Kerzen angezündet werden, wird auf einem Feld nahe der Unglücksstelle der Opfer des Flugzeugabsturzes gedacht.

(Foto: Carlos Carcia Rawlins/Reuters)

Am Tag nach dem Absturz ist das offizielle Verfahren in Gang gekommen. Die Civil Aviation Administration of China (CAAC) führt als Behörde des Landes, in dem der Unfall stattgefunden hat, die Untersuchung. Wie in solchen Fällen international üblich, hat das US-amerikanische National Transportation Safety Board (NTSB) einen offiziellen Vertreter benannt, da es sich bei Boeing um einen US-Hersteller handelt. Auch der Flugzeugbauer ist an der Analyse beteiligt. Gemäß den Richtlinien der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) muss China innerhalb von 30 Tagen einen ersten Unfallbericht veröffentlichen, in dem der bis dahin erarbeitete Ermittlungsstand wiedergegeben wird. Da Untersuchungen oft Jahre dauern, sind die ersten Berichte nicht immer besonders aussagekräftig.

Bislang sind so gut wie keine Indizien aufgetaucht, die eindeutig auf eine bestimmte Ursache hindeuten. Die Zahlenkolonnen sind nicht nur wegen der dramatisch hohen Sinkrate erstaunlich. Bei einem derartigen Sturzflug hätte die Maschine in weniger als 60 Sekunden auf den Boden prallen müssen, doch es dauerte am Ende etwa zwei Minuten. Die vom Trackingdienst Flightradar 24 veröffentlichten Daten zeigen, dass die Maschine etwa 40 Sekunden vor dem Aufprall noch einmal kurz - und ebenfalls sehr steil - an Höhe gewann, um dann nach wenigen Sekunden wieder schnell zu fallen.

Neben den Daten spielt die Spurensuche am Boden eine enorm wichtige Rolle. Die beiden Flugschreiber, die sogenannten Blackboxes, nach denen nun gesucht wird, sollen bei der Aufklärung helfen. Einer der beiden zeichnet alle relevanten technischen Daten des Fluges auf, der andere die Gespräche im Cockpit. Jedes Detail kann wichtig sein. Aufschlüsse geben kann unter anderem die Größe der Trümmer und ihre Lage. Entscheidend für die Analyse kann auch sein, was die Experten am Boden nicht finden. Wenn etwa das Leitwerk nicht auffindbar wäre, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass es bereits in der Luft abgebrochen wäre und die Maschine damit endgültig nicht mehr zu steuern gewesen wäre.

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