China:Energie, die ein Paradies verschlingt

Erneut steht eine einmalige Landschaft, die zum Weltnaturerbe zählt, vor der Zerstörung durch ein riesiges Staudamm-Projekt.

Von Kai Strittmatter

Peking - Oben, knapp unter dem Himmel: die eisbedeckten Kappen des Jade-Drachen-Bergs. An dessen Fuß: das Land der Naxi, der Tibeter, der Bai und anderer Völker, Land dreier großer Ströme, so unberührt, dass die Gemeinden hier streiten, welche das Recht hat, sich "Shangri-la" zu nennen, nach dem tibetischen Paradies.

China: Chinesische Mädchen führen einen traditionalen Tanz vor. Die Kulisse: Die Yulong-Berge nahe der Stadt Lijiang.

Chinesische Mädchen führen einen traditionalen Tanz vor. Die Kulisse: Die Yulong-Berge nahe der Stadt Lijiang.

(Foto: Foto: AP)

Unten, tief unten: ein noch junger, tobender Fluss, der sich seit Anbeginn ihrer Existenz einen Weg zwischen den fast 6000 Meter hohen Schneebergen gegraben hat. Jetzt, fünf Millionen Jahre später, ist da eine Schlucht, in der die Wasser des Himalaya Chinas Tiefebene entgegen stürzen: im Bett des Jangtse, des Schicksalflusses Chinas, den sie hier "Goldsand-Fluss" nennen.

Es ist eine Schlucht, die weltweit ihresgleichen sucht, 15 Kilometer lang, an der engsten Stelle 30 Meter weit. Ein Tiger soll dort hinüber gesprungen sein, daher ihr Name: Tigersprungschlucht. "Ohne Zweifel der dramatischste Anblick auf der ganzen Länge des Flusses", schreibt der Autor Simon Winchester in seinem Buch über den Jangtse. "Eines der spektakulärsten und kostbarsten Naturwunder Chinas", urteilt ein Beamter von Chinas Umweltschutz-Behörde Sepa.

Beeindruckt hat die Schlucht auch die Behörden der Provinz Yunnan: "Vom höchsten zum tiefsten Punkt fällt das Wasser 196 Meter", schreiben sie in einem Bericht - "der ideale Ort für ein Wasserkraftwerk." Also haben sie angefangen, eines zu bauen. Heimlich. Ohne die vom Gesetz vorgeschriebenen Machbarkeitstudien. Ohne die Erlaubnis der Regierung in Peking abzuwarten. Wie ist so etwas möglich? "Das nennt man ,chinesische Besonderheiten'", sagt Zhao Ang sarkastisch.

Zhao ist Aktivist beim "River Network": einer von vielen Umweltschützern, die sich in China vereint haben, um die Tigersprungschlucht und Dutzende andere Orte vor den Dammbauern zu retten. Es ist ein ungleicher Kampf: ein Häuflein Naturschützer auf der einen, Provinzgewaltige und mächtige Energiekonzerne auf der anderen Seite. Barometer dafür wie ernst es der Regierung ist mit dem Schwur, sie wolle Chinas ungezügelte Entwicklung künftig "nachhaltig" gestalten.

Es war Chinas Presse, die die Dammpläne ans Licht brachte: Das Südliche Wochenende berichtete von acht geplanten Staudämmen am Goldsandfluss. Reporter der Kantoner Zeitung fragten einen Ingenieur, warum man mit den Arbeiten begonnen habe, ehe die Machbarkeitsstudien über die Geologie, die Umsiedelung der Anwohner und die Umwelt genehmigt waren. "Unser Land hat große Energie-Knappheit", antwortete der Ingenieur: "Da können wir die Elektrizität besser verkaufen, wenn wir früh loslegen."

Die Stadtherren des bei Touristen beliebten Naxi-Städtchens Lijiang erwarten viel Geld vom Damm: bis zu 40Millionen Euro Steuern im Jahr. Yunnans Provinzregierung will Wasser aus dem neuen Stausee umleiten in den völlig verschmutzten Dianchi-See, aus dem Kunmings Trinkwasser kommt. Beim Drei-Schluchten-Damm flussabwärts hofft man, die neuen Dämme stoppen die Versandung. Alte Umweltsünden sollen repariert werden durch neue.

Energie, die ein Paradies verschlingt

In der Gegend leben ethnische Minderheiten. Sie erfuhren aus der Presse, dass ihre Heimat überflutet und 100.000 von ihnen umgesiedelt werden sollen. Ende September wagten neun chinesische Umweltschutz-Organisationen einen einmaligen Schritt: Sie veröffentlichten einen Protestbrief. Sie wiesen auf das Erdbeben von 1996 hin, das Lijiang großteils zerstörte und warnten vor "nicht wieder gutzumachenden Schäden".

"Die Leute hier sind nicht reich, aber sie kommen gut zurecht", heißt es im Brief. "Wenn ihre Heimat überflutet wird, müssen sie auf höhere Berghänge und ins Grasland ziehen. Das wird die Ernten und ihr Einkommen stark verschlechtern."

Ein mutiger Brief. Zhao Ang vom "River Network" ist aber nicht optimistisch: "Wir sind so schwach." Hinter dem Projekt steht die "Huaneng"-Gruppe, eines der mächtigsten Energieunternehmen. Angeführt wird es von Li Xiaopeng: Er ist Sohn von Li Peng, Premier während des Massakers am Tiananmen 1989 - und als Ex-Wasserbau-Ingenieur die treibende Kraft hinter dem Drei-Schluchten-Damm.

Diese Woche luden in Peking die UN zu einem Symposium über Wasserkraft. Wasserbau-Minister Wang Shucheng prophezeite dem Staudammbau eine große Zukunft, die erst in 25Jahren den Höhepunkt erreiche. Zhang Guobao von der Entwicklungs- und Reform-Kommission warf Medien vor, mit ihrer Kritik gegen "Presse-Ethik" verstoßen zu haben. Vertreter der Konzerne hinter den Damm-Plänen in Shangri-la-Land äußerten sich zuversichtlich, dass die Projekte am Nu-Fluss wie die am Goldsandfluss "so bald wie möglich anlaufen".

So ließ sich He Gong zitieren, Präsident der Huadian-Gruppe. Dreistromland: Goldsandfluss, Nu-Fluss und Mekong schlängeln sich hier durch. So majestätisch und unberührt, dass die Unesco die "drei parallelen Flüsse" zum Weltnaturerbe erklärte: im Juli 2003. Da planten Chinas Dammbauer schon auf Hochtouren.

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