Süddeutsche Zeitung

Chile:Verhütung nur für Reiche

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Es ist ein Urteil, das Frauen in Chile erzürnt: Ein Gericht verbietet Gratisabgabe der "Pille danach". Der Streit spiegelt einen tiefsitzenden Konflikt in der Gesellschaft Chiles wider.

Sebastian Schoepp

Sie war 2006 angetreten mit dem Versprechen, den Frauen im Macho-Land Chile das Leben leichter zu machen. Doch nun machen Kirche, Gerichte und konservative Opposition Präsidentin Michelle Bachelet das Leben schwer. Das Verfassungsgericht hat verboten, dass staatliche Gesundheitszentren die "Pille danach" weiterhin kostenlos an bedürftige Frauen abgeben dürfen. Die Mitte-Links-Regierung hatte damit die Verhütung ungewollter Schwangerschaften, vor allem in Armenvierteln, erleichtern wollen. Allerdings bleibt der Verkauf in Apotheken legal. Daran entzündete sich nun lautstarker Protest.

Zehntausende Menschen, darunter Abgeordnete, Ärzte und Schauspieler, demonstrierten am Dienstag gegen das Urteil. 80 Prozent der Mitarbeiter der Gesundheitszentren streikten. Bachelet selbst befeuerte den Protest, in dem sie sagte, das Urteil sei unsozial. Wer es sich leisten könne, habe weiter Zugriff auf die "Pille danach". Auch Befürworter des Verbots demonstrierten, es kam zu Krawallen. Die Präsidentin berief eine Sondersitzung des Kabinetts ein.

Der Streit spiegelt einen tiefsitzenden Konflikt in der Gesellschaft Chiles wider. Der Lebensstil in dem wirtschaftlich prosperierenden südamerikanischen Land unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht groß von dem in Europa. Doch gerade ältere Menschen und religiöse Kreise wollen an der aus der Kolonialzeit ererbten Moral festhalten. Deshalb hat Chile ein sehr strenges Abtreibungsrecht. Abgeordnete der konservativen Opposition hatten gegen die Verteilung der "Pille danach" geklagt, weil diese das Abtreibungsverbot aushebele. Sie bekamen Recht. Die Mehrheit im Gericht fiel mit fünf zu vier Stimmen knapp aus.

Die Schriftstellerin und sozialistische Abgeordnete Isabel Allende sagte, Chile sei ein laizistisches Land, weshalb die Haltung, die hinter dem Verbot stecke, nicht akzeptabel sei. Einige Bürgermeister erwägen nun, die Pille zum symbolischen Preis von einem Peso (0,1 Eurocent) abzugeben.

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Quelle:
SZ vom 24.4.2008
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