Cannabis-Legalisierung:Wie Uruguay zum Vorbild für die Welt wird

  • Uruguay ist das erste Land der Welt das Cannabis vollständig legalisiert hat.
  • Die Entscheidung beruhte auf der Erkenntnis, dass man die organisierte Kriminalität am effektivsten bekämpft, wenn man Drogen entkriminalisiert.
  • Manche Rohstoffe für Drogen, wie die Koka-Pflanze, sind in ihren Ursprungsländern traditionelle Alltagsprodukte, deren Anbau durch die Politik kriminalisiert werden.
  • Erst durch die hohen Preise, die in Europa und den USA auf dem Drogenmarkt erzielt werden, wird der Drogenanbau und -handel lukrativ.
  • In einigen US-Bundesstaaten und europäischen Ländern ist zumindest der Verkauf und Konsum von weichen Drogen wie Cannabis inzwischen legal. In Deutschland ist man davon noch weit entfernt.

Von Boris Herrmann, Montevideo, und Sebastian Schoepp

Uruguay ist das erste Land, das Cannabis vollständig legalisiert hat

Es grünt in Montevideo. Auf den Balkonen, auf den Häuserdächern, in den Gärten wächst der Hanf. Und er wächst mit der Lizenz des Staates. Cannabis, die Nutzpflanze mit den betörenden Eigenschaften, darf in Uruguay neuerdings legal angepflanzt werden. Das hat eine neue Generation von Heimgärtnern hervorgebracht.

Cannabis-Legalisierung: Szene auf einer Cannabis-Messe in Montevideo

Szene auf einer Cannabis-Messe in Montevideo

(Foto: AP)

An allen Ecken eröffnen sogenannte Grow Shops. Dort gibt es alles, was der selbstversorgende Konsument begehrt: spezielle Cannabis-Erde, Cannabis-Dünger, mobile Cannabis-Gewächshäuschen und die Pfeife, um die Ernte später wegzurauchen gibt es natürlich auch. Auf den ersten Blick sieht Montevideo aus wie eine Stadt im Kifferglück.

Dass der Schritt von Präsident Mujica kam, ist nicht überraschend

Uruguay ist das erste Land der Welt, das Cannabis 2013 vollständig legalisiert hat. Die Debatte verlief nicht reibungslos, die Opposition führte mehrfach Umfragen ins Feld, wonach eine knappe Mehrheit der Bevölkerung dagegen sei. Doch letztlich setzte sich Präsident José Mujica durch. Einer habe den ersten Schritt tun müssen, sagte er. "Wir sind dabei, den Krieg gegen die Drogen zu verlieren." Die Folgen des Verbotes seien schlimmer als die Folgen des Konsums selbst.

Das dieser Schritt von Mujica kam, der mit 79 Jahren im Februar sein Amt an seinen Nachfolger abgegeben hat, ist nicht überraschend. Er war bekannt für einen unkonventionellen Politikstil, wohnt in einer Gartenlaube, fährt einen alten Käfer, flog auch als Präsident Holzklasse und spendete einen Großteil seines Gehalts. Der alte Guerillero traute sich schlicht mehr als andere. Dieser Stil hat ihn zu einem der beliebtesten Politiker des amerikanischen Kontinents gemacht. 2013 kürte der britische Economist Uruguay nicht zuletzt wegen seiner liberalen Drogenpolitik zum "Land des Jahres".

Der Krieg gegen die Drogen ist verloren

Uruguays Abschaffung der Prohibition ist ein Zugeständnis an eine Debatte, die in Lateinamerika seit Jahren läuft. Sie ist der Einsicht geschuldet, dass der "War on drugs", der Krieg gegen die Drogen, verloren ist. US-Präsident Richard Nixon hatte diesen Krieg Anfang der 1970er Jahre ausgerufen, nachdem eine enorme Zahl von GIs in Vietnam süchtig geworden war. Soldaten wurden dort gezielt mit Morphium aus mexikanischem Mohn behandelt, andere versorgten sich mit Heroin aus Südostasien und begannen, in den USA zu dealen.

Seitdem hat der Drogenkrieg Hunderttausende Tote gefordert und Milliarden Dollar verschlungen, in Afghanistan ebenso wie in Kolumbien oder Mexiko. Gebracht hat es nichts, im Gegenteil; weltweit steigt der Konsum - und der Gewinn der Drogenkartelle. Die Einnahmen des globalisierten Rauschgifthandels werden pro Jahr auf 600 Milliarden US-Dollar geschätzt. Allein Südamerika exportiert jährlich mehr als 700 Tonnen Kokain.

Selbst stramme Konservative fordern, das Tabu zu brechen

Deshalb forderten schon 2009 die drei Ex-Präsidenten César Gaviria aus Kolumbien, Ernesto Zedillo aus Mexiko und Fernando Henrique Cardoso aus Brasilien, das Tabu zu brechen. Trotz aller Anstrengungen und Opfer wachse der Anbau und Handel stetig, hieß es in dem Bericht ihrer "Comisión Latinoamericana sobre Drogas y Democracia".

Das habe zu "unannehmbaren Auswüchsen der Gewalt, einer Korrumpierung der Behörden und einer Kriminalisierung der Politik" geführt. Das gängige Repressionsmodell beruhe auf "Vorurteilen, Befürchtungen und ideologischen Standpunkten". Drogen seien ein Tabuthema, weshalb jede öffentliche Debatte über eine alternative Politik unterdrückt werde, kritisierten die drei Politiker, übrigens keine linken Kiffer, sondern eher stramme Konservative.

Konsumenten würden in geschlossene Zirkel abgedrängt, wo sie empfänglich seien für das organisierte Verbrechen. Die "prohibitionistische Strategie" der USA weise Defizite auf. Es sei an der Zeit, sich einem "Paradigmenwechsel" zu stellen. Sie schlugen vor, die Dollar-Milliarden statt in den Drogenkrieg lieber in Aufklärung, Prävention und Therapie zu investieren. Cardoso erinnerte an Al Capone, den legendären Gangsterboss, der in Chicago zu Zeiten der Alkohol-Prohibition mit Schnapsschmuggel reich geworden war. Die Begleitkriminalität stürzte die Stadt ins Chaos. Kaum wurde die Prohibition aufgehoben, war auch der Banden-Spuk verschwunden.

Ein Traditionsprodukt wird pervertiert

Heute ist ganz Lateinamerika Chicago. Dabei wird nicht nur die öffentliche Ordnung durch Narco-Kartelle untergraben, es wird auch ein Traditionsprodukt pervertiert. Das Koka-Blatt wächst im andinen Hochland von Peru, Kolumbien und Bolivien. Während die Plantagen in Peru und Kolumbien Domäne der Narco-Banden sind und mit Hilfe der DEA immer wieder zerstört werden, wobei die Sprühflugzeuge ganze Landstriche vergiften, ist die Pflanze in Bolivien legal. Dort ist Koka ein Alltagsprodukt, seit präkolumbischer Zeit wird es zu medizinischen Zwecken genutzt.

Und Koka hat einen hohen Stellenwert in der bolivianischen Gesellschaft. Bauern kauen Koka genauso wie Banker in den Hochhäusern von La Paz. Präsident Evo Morales, der erste indigene Staatschef Südamerikas, war früher selber Kokabauer und kämpft seit Jahren dafür, das Blatt von der Drogenliste der Vereinten Nationen zu entfernen. Vergeblich - wer in Bolivien eine Tüte harmloser Koka-Lutschbonbons als Souvenir kauft und damit an einem deutschen Flughafen erwischt wird, wird behandelt wie ein Schwerverbrecher.

Kokain herzustellen, ist extrem aufwendig

Dabei ist die Verwandlung von Koka in Kokain extrem aufwendig. In illegalen Labors werden die Blätter mit großen Mengen Kalk, Kerosin, Diesel, Schwefelsäure und Kalium vermengt und in Plastikwannen mit Gummistiefeln zu einer Masse getrampelt und zum Setzen liegengelassen. Aus 328 Kilogramm Koka kann ein Kilogramm "Pasta basica" gewinnen. Die wiederum ergibt nach weiteren Eingriffen ein Viertelkilo Kokain-Hydrochlorid, das eigentliche Kokain.

Ein Kilo Koka kostet auf dem Markt etwa fünf Dollar, ein Kilo Kokain je nach Marktlage und Verfolgungsdruck auf dem Schwarzmarkt in New York, Madrid oder München bis zu 100.000 Euro. Die Gewinne entstehen durch die Illegalität. Die westliche Leistungsmaschinerie schätzt Koks als Treibstoff, und wer den Stoff will, kommt dran, Verbot hin oder her.

Seit Jahren predigen daher südamerikanische Politiker, sie könnten noch so viel gegen Drogenhändler kämpfen - solange die Konsumenten in den USA und Europa märchenhafte Preise für den begehrten Stoff zahlten, werde sich an dem Problem nichts ändern. Doch mit den USA ist ein grundlegender Wandel nicht zu machen, jedenfalls nicht beim Kokain.

Ist Cannabis legal, wird es zum Lifestyle-Produkt

Bei leichten Drogen hingegen machen es einige US-Bundesstaaten bereits vor. In Colorado und Washington etwa ist Cannabis legal, es wird nicht mehr in dunklen Ecken vertickt, sondern ist ein Lifestyle-Produkt, das in allen möglichen Geschmacks-, Wirkungs- und Darreichungsformen in schicken Lokalen gereicht wird - es geht zu wie in einer erlesene Teehandlung oder bei einer Weinprobe.

Andere Bundesstaaten sind eingeschwenkt - mindestens bei einer Legalisierung von Cannabis für therapeutische Zwecke. In Europa betreiben die Niederlande und Portugal seit Jahren erfolgreich eine liberale Drogenpolitik - ohne dass der Cannabis-Konsum gestiegen sei, wie eine aktuelle Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung feststellt.

In Spanien genügt die Gründung eines Vereines mit therapeutischen Zielen. Vor nicht langer Zeit nutzte eine katalanische Gemeinde diese Regelung, um selber Cannabis anzubauen - unter breiter Billigung der Bevölkerung. In spanischen Großstädten dreht sich längst kein Polizist mehr um, wenn über einem Park im Sommer die Rauschwaden aufsteigen.

In Deutschland hat Legalisierung nicht die geringste Chance

Die FES-Studie fordert ein "weltweites Umdenken in der Drogenpolitik". Doch in Deutschland hat Legalisierung vorläufig nicht die geringste Chance, wie eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags im November ergab. Zwar zeigten sich viele Abgeordnete, auch auf Seiten der Regierungskoalition, liberalen Expertenmeinungen gegenüber aufgeschlossen. Doch eine veränderte Beschlusslage zeichnet sich nicht ab.

Dabei gibt es längst eine breite Fachdiskussion über das Thema. Expertengruppen wie der Schildower Kreis, Kriminalbeamte und Strafrechtsprofessoren fordern eine Entideologisierung. Fachleute legen dar, dass es ein Fortschritt sein könnte, Drogen aus der Illegalität zu holen. Kontrollierte Abgabe könnte Gesundheitsschäden durch gestreckten Stoff verhindern und kriminelle Milieus austrocknen, die Drogenkarrieren befeuern, denn es ist in erster Linie das Umfeld, das zum Griff nach härteren Stoffen verführt. Außerdem würden die Strafverfolgungsbehörden entlastet.

Richter und Staatsanwälte sind aber an die harte Linie gebunden, solange in Deutschland laut Gesetz weiterhin jeder Kiffer oder Kleinhändler wie ein Gangster verfolgt werden muss. Wer beim Dealen mit einer größeren Menge erwischt wird, muss mit jahrelangen Gefängnisstrafen rechnen, auch bei sonst günstiger Sozialprognose. Leben von jungen Leuten, die sich sonst nichts haben zuschulden kommen lassen, werden zerstört.

Besonders drakonisch sind die Strafen in Bayern

Die Argumente für die Aufrechterhaltung dieses System wirken oft moralinsauer und rückwärtsgewandt. Es gebe im Zusammenhang mit Drogen "blinde Ideologie" und "weltfremde Ziele", heißt es dazu in der Studie der FES. Besonders drakonisch sind die Strafen in Bayern, wo es von Justiz und Polizei gleichzeitig oft mit einem Augenzwinkern hingenommen wird, wenn alkoholisierte Horden im Fasching oder zu anderen alkoholgetränkten Festivitäten in öffentliche Einrichtungen die Türen eintreten oder Mitmenschen mit Bierkrügen malträtieren.

Da ist Uruguay einen Schritt weiter. Das Land mag geografisch weit weg liegen, hat aber - anders als die Andenländer Südamerikas - ein von europäischen Einwanderern geprägtes Gesellschaftsystem mit einer breiten Mittelschicht, das unserem sehr ähnlich ist. Dort werden sogar Steuergelder aus dem Cannabis-Verkauf generiert. Da der Wirkstoff in der Medizin gebraucht wird, sind auch Pharmafirmen an dem Produkt interessiert. Was bei uns eine verbotene Droge ist, kurbelt dort die Wirtschaft an. Und die Polizei kann sich mit anderen Dingen befassen.

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